Wie kann man in ungewissen Zeiten seine Handlungsfähigkeit behalten? Und wie schippert man das eigene Unternehmen bei orkanartigem Gegenwind in den sicheren Hafen? Die Antwort könnte in einer Planungsmethode liegen, die aus der amerikanischen Entrepreneurship-Forschung stammt und in Deutschland seit knapp zehn Jahren an Bekanntheit gewinnt. „Effectuation“ lautet das Zauberwort. Mit ihr werden realistische Ziele verwirklicht und das Unvorhergesehene in den unternehmerischen Alltag aufgenommen. Ein harter Brocken für den kausal-logischen Managertyp. Lustvolles Unternehmertum mit Spirit für den kulturell kreativen Entrepreneur.
Immer dort, wo Prognosen versagen und man sich mit dem Unverhofften konfrontiert sieht, versagen auch die herkömmlichen Mittel des Managements. Mittlerweile weiß die Effectuation-Forschung rund um Saras D. Sarasvathy (University of Virginia, USA), dass erfahrene Unternehmer nach den Prinzipien des Effectuation ihre Entscheidungen treffen und danach handeln. Klassische Manager bevorzugen eine kausale Logik, die bei Unsicherheiten versagt. Sprich, sie erstellen Businesspläne und Vorhersagen, die bei schockartigen Ereignissen zu noch mehr Vorhersagen führen und damit den Schock verstärken, ohne das Problem wirklich zu lösen. Beispiel Wirtschaftskrise – eine Prognose jagt die andere und nur wenige Voraussagen treffen ein. Bei ungewissen Situationen mit ungewissem Ausgang führen Vorhersagen kaum zu praktikablen Lösungen. Doch diese Schocks passieren. Nassim Nicholas Taleb nennt sie „Schwarze Schwäne“, die nur dadurch zustande kommen, weil man sie aus den Wirtschaftswissenschaften schlichtweg verbannt. Man blendet die Möglichkeit solcher Extremereignisse einfach aus. Sie dürfen nicht passieren. Ähnlich einem Jahrhunderthochwasser sieht man sich dann einem Jahrhundertcrash an der Börse gegenüber und hätte diesen niemals voraussagen können. Damit ist das Dilemma bereits benannt: Schocks passieren, aber sie werden in Prognosen nicht berücksichtigt. Effectuation hingegen bindet diese Schocks ein, kalkuliert mit ihnen sogar und nützt diese für das weitere Vorgehen. Man bleibt handlungsfähig. Und realistische Ziele werden plötzlich möglich.
Was steckt aber hinter diesem „Zaubermittel“ für Unternehmer mit pionierhaftem Spirit? Bei Effectuation verzichtet man auf Vorhersagen, investiert kleine Kapitalmengen, kalkuliert das Risiko des Scheiterns schon zu Beginn ein. Damit halten sich Verluste in Grenzen und man erreicht realistische Ziele. Das oberste Prinzip dabei: das eigene Können, die aktuell vorhandenen Ressourcen genauestens erkennen und sich den realistischen Möglichkeiten stellen. Nicht zu viel planen und stattdessen raus mit der Idee um Mitstreiter zu gewinnen.
Um eine Idee als Effectuator zu verfolgen, wird diese zu Beginn auf ihre Machbarkeit, ihren Wert und Nutzen hinterfragt. Auch wird man sich bei einem solchen Vorgehen die Frage nach den eigenen passenden Mitteln stellen müssen, statt diese woanders einzufordern. Am Ende steht dann noch die entscheidende Frage, ob man die geborene Idee wirklich umsetzen will. Ist das Ergebnis dieser ersten Sondierung positiv, kann man bereits an die Umsetzung gehen – herkömmlich würde man stattdessen einen Businessplan und Prognosen erstellen. Beim Umsetzen gilt: viele kleine Schritte, viele kleine Verbindlichkeiten und raus auf den „Marktplatz“. Das ist der Handlungsraum der Anteilseigner, die man mit ins Boot holt, statt sich von Konkurrenten abzugrenzen. Wer nämlich eine Idee zur Marktreife bringen möchte, muss mit den Menschen sprechen, die Interesse an der Umsetzung dieser Idee haben und sich beteiligen wollen. Auch hierbei gilt, fehlt das Interesse gleich zu Beginn, kann rechtzeitig abgebrochen werden. Das Risiko von fehlgeleiteten Investitionen bleibt dadurch minimal; ein Projektabbruch ist jederzeit möglich, um explodierende Schäden zu vermeiden. Außerdem fördert der „Marktplatz“ weitere Ideen oder Informationen zutage, welche die ursprüngliche Idee in ein konkretes Projekt verwandeln und die Beteiligten ein für sie maßgeschneidertes Produkt kreieren lassen.
Beispiele aus der Praxis zeigen, dass viele erfolgreiche Unternehmer oft aus dem Bauch heraus mit Effectuation arbeiten. Denn wenn die Eigenmittel knapp sind, das Unternehmen in eine Krise oder in Turbulenzen gerät, Prognosen nur mehr schwer die unternehmerische Zukunft abschätzen lassen, etwas wirklich Neues entstehen soll oder auch das Ungeplante laufend einem den berüchtigten Strich durch die Rechnung macht – dann ist Effectuation eine Option. Ein Josef Zotter gilt als österreichisches Beispiel für einen Effectuator schlechthin. Aus der Insolvenz heraus gebar er seine Schokoladekreationen und gilt heute als Marktführer dieser einzigartigen handgemachten Spezialitäten. Aber auch im wissenschaftlichen Bereich ist man im deutschsprachigen Raum aktiv. Neben Dietmar Grichnik von der Universität St. Gallen in der Schweiz befindet sich auch ein Zentrum der Effectutation-Forschung im deutschen Aachen. Dort wirkt René Mauer, der mit Michael Faschingbauer aus Österreich dieses Planungsinstrument zu unseren Unternehmern bringt.
Michael Faschingbauer, der österreichische Effectuator und Autor des Managementbuches des Jahres 2010, meint: “Effectuation ist wie polynesisch Segeln – man fährt einmal los und bindet auf dem Weg die Kurskorrekturen mit ein, entdeckt so eine Inselwelt, die zuvor kaum vorstellbar war. Wäre man nicht nach Indien aufgebrochen, hätte man niemals Amerika entdeckt.“ Schließlich war das Ziel ein anderes. Amerika kam den Entdeckern einfach nur dazwischen, war etwas Unvorhergesehenes.
Als Journalistin bin ich selbst immer auf der Suche nach den Alternativen zu unserem derzeitigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. So nahm ich unlängst an einem Effectuation-Workshop teil und erlebte hautnah den Spirit auf dem „Marktplatz der Gestalter“. Denn wenn wir wissen, wer wir sind und was wir können, werden wir auch demnach entsprechende Ergebnisse produzieren. Wir werden Erreichbares umsetzen, statt nur von mythischen Zielen zu träumen. Wir werden die Überraschungen am Weg der Zielerreichung als „Quelle der Innovation“ einbinden lernen und mit vielen kleinen Schritten fantasievolle Lösungen hervorbringen. Das Risiko an Investition bleibt dabei auf den Betrag des leistbaren Verlustes beschränkt. Das Motto gilt: „Tun, was wir tun können, nicht was man tun sollte“. Die Perspektiven, die sich dadurch ergeben, übersteigen bei Weitem die Innovationskraft des kulturell-kreativen Unternehmertums eines Günter Faltin und seiner Teekampagne. Faltins Bruch mit dem Konventionellen ist bei Faschingbauer „Ideen-Tuning“ mit bestehenden Mitteln und Stakeholdern, führt in ein sofortiges Umsetzen.
Die Formel ist einfach. Vielleicht für manche erschreckend einfach, weil sie den Businessplan auf jenen Anwendungsbereich reduziert, wo er hingehört: auf Vorhaben, deren Ausgang vorausgesagt werden kann. Ein „richtig Machen“ gibt es im Grunde nicht. Das Richtige stellt sich ja immer erst im Nachhinein, auf dem Weg zum Ziel heraus. Also weg von allzu eng gefassten Plänen, hin zum offenen Handeln und Einbinden von Zufällen, die einer Idee dann zum „Home-Run“ verhelfen.
Die Redakteurin plant mit Effectutation ihre eigenen journalistischen Projekte. Die Erfolge stellten sich dabei rasch ein und ihrem PROJEKT LIFE gelang damit eine spontane Teilnahme bei der Ars Elektronica in Linz im September 2010 und die Nominierung zum dm-Nachhaltigkeitspreis 2011, der von der deutschen UNESCO-Kommission und dem dm-Markt ausgeschrieben wird.
Links zum Thema:
www.projektlife.net
www.zotterschokoladen.at