Dieser Brief trug zunächst den Titel „Lieber Jesus“, das war aber nicht fetzig genug. Deswegen wurde er nach reiflicher Überlegung abgeändert und komplett überarbeitet. Das Manuskript wurde uns umgehend von einer neuen Organisation anonym zur Verfügung gestellt. Diese Gruppe nennt sich WIKI-SPRINGERLE-Sektion FJW. Nun richtet sich der Brief an:
„Liebes Weihnachtsfest“,
es ist schön, dass Du wieder vor der Tür stehst. Glaube mir, ich – nein wir, seit August, als es zu schneien begann, seit dem vermissten wir Dich sehr. Sehr alt bist Du geworden mit den Jahren, ist schmunzelnd festzustellen. Dich selbst belastet es nicht, immer noch frisch und spritzig bist Du, das ist sehr schön.
Deine Ursprünge liegen im alten Germanenreich, schon damals feierten unsere Vorfahren das Lichterfest und freuten sich wie wir, wenn es wieder so weit war. Schenkte man damals gerne eine gebeizte Mammutkeule oder einen nagelneuen Satz Feuersteine, auch ein Speer wurde gerne genommen, so haben sich die Geschenke mit und für uns im Lauf der Jahre verändert. Heute tut es ein DVD-Player mit entsprechenden Filmen, wie die Serie mit der feschen Eva, das sehen wir alle gerne. Auch ein auf Hochglanz poliertes Sturmgewehr erfreut die Herzen. Unsere Mädchen und Buben, zum Beispiel in Afghanistan, sie freuen sich über eine Flatrate für das Handy. So ist man im Schützengraben aktuell und stets im Bild und weiß Bescheid, wo es lang geht.
Die Mama freut sich sehr über ein neues Fondueset mit extraspitzen Gabeln. Damit gabelt man nicht nur biologisch einwandfreies Schweinefleisch auf, auch ein Kachelmann (= extrovertierter Fliesenfachverkäufer) kann damit abgewehrt werden. Die Kinder sind auf Webcams ganz wild. Reizend, das meinen dann andere Menschen, wenn sie voller Hingabe die Direktübertragungen aus dem Kinderzimmer beobachten. Es ist mittlerweile eine nackte Tatsache, wir Deutschen sind tatsächlich gar nicht so, wie die anderen immer gedacht haben.
Du tust also alles erdenklich Gute für uns, Du als unser liebstes Fest. Auch die Reihung von Sonn- und Feiertagen ermöglicht uns endlich wieder dies an gepflegtem Familienleben, von dem die Großeltern manchmal erzählt haben. Heiligabend geht noch, alle packen aus, wer nichts kriegt, der packt halt ein. Dann wird gegessen und getrunken. Am ersten Feiertag wird zusammen gegessen und getrunken – und am Abend streiten dann alle miteinander, es ist wirklich sehr, sehr schön. Am zweiten Feiertag wird zuerst gestritten und dann gegessen und getrunken. Anschließend fahren wir alle mit dem Auto nach Hause. Der strenge Polizist lächelt leise beim Anblick der etwas wirr fahrenden Kolonne – und er lässt Gnade vor Recht ergehen, ging es ihm doch gestern ebenfalls so.
Selbst die etwas sozial anfälligeren Familien erleben eine schöne Zeit. Die Kinder freuen sich riesig auf die Gutscheine für ein tägliches Mittagessen in der Schule. Dieses Essen gibt es voraussichtlich ab Mitte 2014, stell Dir vor, an jeden Tag. Mama hat sich für Heiligabend und für jeden Feiertag eine Flasche Korn kaltgestellt. Papa leistet sich ein neues Spritzenbesteck oder neue Pornokassetten, auch eine Palette mit 24 Dosen Bier darf nicht fehlen.
Die Tafel spendiert drei Dosen abgelaufener Tomatensuppe, alle freuen sich über das warme Essen. Und weil der Mann vom Kontrolldienst daheim so munter im Streit verharrt, deswegen kommt er über die Feiertage auch nicht zu Besuch. Alte und kranke Menschen empfangen in reichem Maß Liebe, Zuwendung und ein paar Wiener Würstchen. Sie müssen über diese Tage auch kein schlechtes Gewissen haben, wegen der üppigen Rente. Du, geliebtes Weihnachtsfest, Du sorgst auch für sie.
Und wenn die Herrschaften dann das neue Buch von mir geschenkt bekommen, dann ist alles gut, es ist dann ein perfektes Fest.
Die Ausländer sind meistens mit dem Fest nicht sehr vertraut und gehen in der Regel auch nicht in die Kirche. Sie nutzen lediglich unser hervorragendes Sozialsystem aus, dessen Stabilität wir durch die Bank ausschließlich der lieben Angela Merkel verdanken. Auf diesem Wege senden wir herzliche Weihnachtsgrüße an sie und die lieben Menschen von der Union.
Liebes Weihnachtsfest, jetzt kommt ein klitzekleiner Hauch von Kritik – oder sagen wir besser ein Verbesserungsvorschlag – von uns. Kannst Du es nicht einrichten, dass diese Ausländer an den Festtagen arbeiten müssen, es wäre doch mehr als gerecht. Und dann – muss es für Papa H4 unbedingt eine neue Spritzgarnitur sein? Gibt es nicht auch auf dem Gebrauchtwarenmarkt genug annehmbare Qualitäten? Wie gesagt, keine Kritik, nur eine kleine Randnotiz. Egal, wie Du das Fest gestalten wirst, alles ist gut.
Zum Schluss noch der Vollständigkeit halber, natürlich haben der Jesus und der liebe Gott auch mit diesem Fest zu tun.
Über die Geschenke von den Beiden gibt es immer wieder große Verwirrung – sie probieren es aber jedes Jahr wieder. Nun gut – sie werden schon ihre Gründe haben. Und eigentlich ist es auch nicht weiter schlimm, an diesem Fest sollen sie auch einen Platz haben – an unserer Tafel. Oh, das Papier geht zu Ende, leider bleibt für den lieben Gott und für den Jesus kein Platz mehr. Macht aber nichts, alle haben dafür Verständnis.
Jetzt, allerliebstes Weihnachtsfest, jetzt feiern wir alle zusammen und lassen es richtig krachen. Ein herzhaftes „Prosit“ an Dich und in die Runde. Für Dich singen wir nun zusammen „Ein Stern, der Deinen Namen trägt“. Und dann, dann trinken wir wieder. Komme wieder im nächsten Jahr, ich freue mich auf Dich.
Allerherzlichste Weihnachtsgrüße
F.J.W. (immer im Bild)
PS.: Der liebe Gott und Jesus bedankten sich persönlich mit einem netten Schreiben bei F.J.W. dafür, dass er keine Geschichte über sie geschrieben hatte. Das kann ich gut verstehen.
© Peter Reuter