Über unseren Bundespräsidenten Christian Wulff wurde in den vergangenen Tagen so viel geschrieben, dass man schon mal den Überblick verlieren und sich in fragwürdige Argumentationsketten verheddern kann. So ist es denn auch nicht verwunderlich, wenn einige Menschen hinter der Demontage unseres Staatsoberhaupts eine Verschwörung wittern und Wulff zum letzten aufrechten Demokraten stilisieren. Mit diesem Blick durch die rosarote Brille soll an dieser Stelle aufgeräumt werden.
Ausgangspunkt für die Überlegung, bei Wulff handle es sich um einen lupenreinen Demokraten, sind einige seiner Reden, in denen er unter anderem von der Wichtigkeit des Bundesverfassungsgerichts schwadroniert, davon, dass die Versündigung an der jungen Generation ein Ende haben müsse. Diese Worthülsen werden nun von nicht Wenigen zum Anlass genommen, Herrn Wulff in einem Licht darzustellen, welches heller nicht scheinen könnte, obschon es genau andersherum sein müsste: Unser Bundespräsident müsste in einem schattigen Keller hocken, statt sich der Sympathien von Menschen gewiss zu sein, die ihn aus zuweilen fadenscheinigen Gründen im Amt belassen wollen.
Einer dieser Gründe ist wohl, dass der Wulff-Nachfolger in jedem Falle schlimmer sei als Wulff selbst. Ob nun Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), Frank the tank Steinmeier (SPD) oder der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Joachim Gauck, sie alle werden auf einmal als schlechtere Alternative zu Wulff dargestellt, weil… ja weil es die Springer-Presse ist, die sich jetzt auf Wulff eingeschossen hat und es sich somit ja nur um eine konzertierte Aktion handeln kann, so die landläufige Meinung.
Dass sämtliche Medien hinter dieser großen Story her waren und die „Bild“ das Wettrennen lediglich für sich entschieden hat, wird ebenso gekonnt außer Acht gelassen, wie der Umstand, dass zum Abtreten nationalstaatlicher Rechte an die Europäische Union nun wirklich kein Bundespräsident seinen Hut nehmen muss. Die politische Kraftlosigkeit des Amtes schützt den amtierenden Bundesgrüßaugust wie seine Vorgänger davor, im alltäglichen Politbetrieb zwischen die Fronten zu geraten und zerrieben zu werden. Davon abgesehen kann man nun nicht ernsthaft das Argument hervorbringen, ausgerechnet Wulff würde die angeblich unvermeidliche Aushöhlung des Demokratischen aufhalten wollen. Würde ihm dies nachgesagt worden sein, so wäre er gar nicht erst in das Amt gehievt worden.
Nun wird ja von den Vertretern der Wulff-sollte-aus-dem-Amt-gemobbt-werden-Theorie vorgebracht, dass der Bundespräsident möglicherweise den ESM stoppen wollte und deshalb von Merkel und Schäuble den Hyänen der schreibenden Zunft zum Fraß vorgeworfen wurde. Auch hier wird darauf verzichtet, darauf hinzuweisen, dass gar nicht so klar ist, ob der Bundespräsident ein Gesetz überhaupt hinsichtlich seiner Verfassungskonformität überprüfen darf. Auch die Prämisse, Wulff wolle das ESM-Gesetz nicht unterschreiben, ist durch keine Aussage von Wulff gedeckt, wobei an dieser Stelle zugegeben werden muss, dass Herr Wulff in den vergangenen Tagen auch eher damit beschäftigt war, seine politische Haut zu retten, denn seinen präsidialen Aufgaben nachzukommen.
Spätestens jetzt dürfte er aber willfährig alles unterschreiben, was Merkel und Co. ihm vorlegen. Immerhin hängt seine Präsidentschaft am seidenen Faden der Gnade Merkels. Unsere sprunghafte Kanzlerin hat in der Vergangenheit oft genug bewiesen, wie schnell sie ihr Fähnchen neu ausrichtet, wenn die Mehrheitslage es erfordert. Insofern kann die Demontage Wulffs, solange dieser im Amt bleibt, sogar als Erfolg für Merkel verstanden werden, immerhin muss sie nicht befürchten, mit Störfeuer aus dem Schloss Bellevue bedacht zu werden. Andererseits hat Wulff in seiner kurzen Amtszeit alles vermieden, was von Frau Merkel als störend empfunden werden könnte. Im Prinzip ändert sich für Merkel demnach nichts, warum sollte sie Wulff also absägen wollen?
Jedenfalls ist es auch und gerade mit einem Bundespräsidenten Wulff möglich, eine europäische Diktatur, die von vielen Menschen befürchtet, von anderen beschworen wird, zu errichten. Dies liegt nicht etwa daran, dass unser amtierender Präsident ein Faible für Diktaturen hätte, sondern ist dem schlichten Umstand geschuldet, dass das Amt des Bundespräsidenten mit politisch schwachen Kompetenzen ausgestattet ist. Da müsste man schon eher befürchten, dass unserem Bundesverfassungsgerichtspräsidenten etwas zustößt oder dieser über eine Affäre stolpert, da er doch unlängst über die Grenzen der europäischen Integration innerhalb unserer Verfassung gesprochen hat.
Die Normenkontrollfunktion des Bundesverfassungsgerichts wird auch beim ESM zum Tragen kommen, wie bei so gut wie jedem anderen Gesetz mit europäischem Einschlag. Zu denken, Wulff würde deshalb abgesägt werden, weil er als letzter Verfechter einer Demokratie auf deutschem Boden für die Belange des Volkes eintreten würde, grenzt an Realitätsverweigerung. Er wird deshalb demontiert, weil er die Wahrheit mindestens gebogen hat, weil er sich mit fragwürdigen Freunden umgibt, die die für einen Bundespräsidenten so wichtige Unabhängigkeit untergraben und weil sein Verhalten in seiner ganz persönlichen Krise gezeigt hat, dass er dem Amt nicht gewachsen und dessen Würde mit Füßen getreten hat.
Mag ja sein, dass der Nachfolger von Wulff keinen Deut besser, ja womöglich sogar wesentlich schlechter als Wulff ist. Dies kann allerdings nicht als Feigenblatt dafür herhalten, Wulff im Amt zu belassen. Wäre dem so, müssten wir unser Kreuz künftig alle bei Merkel und ihrer CDU machen, denn sie belässt Wulff aus ähnlich niederen Beweggründen im Amt.