Ich hab doch bis vor kurzem gar nichts gewusst…, von den Sprachstörungen. Ich meine, wann hat der Junge auch schon mal mit mir geredet? Außer abends, wenn es Zeit für die Tablette war. Da kann man doch jetzt nicht mir den Vorwurf machen. Schließlich arbeite ich von früh bis spät, damit es dem Jungen mal…, aber jetzt bin ich auf einmal der Böse. Ich hätte ihn vernachlässigt, werfen sie mir vor. Wer ist denn mit ihm zu Arzt gerannt, zu diesem Psychiater? Ich war das. Und ich hab alles gemacht was der Arzt gesagt hat. Das der uns nichts von den Nebenwirkungen erzählt hat, ist doch nicht meine Nachlässigkeit. Der ist doch der Experte. Dem glaubt man doch, wenn er etwas verschreibt, dass das auch hilft. Hat es ja irgendwie auch. Der Junge war ganz still in der letzten Zeit. Hat nur noch vor seinem Computer gesessen und keine Anfälle mehr bekommen.
Und als wir in die Schule zitiert worden sind, da hätte uns die Lehrerin ja auch mal darüber informieren können, was der Junge da so durchmacht, jeden Tag. Aber die hat nur von seinen Noten gesprochen und davon, dass seine Versetzung gefährdet ist. Hätt´ ich gewusst, dass er da jeden Tag geschlagen wird, von seinen Mitschülern, dann hätte ich doch wenigstens…, na ja weiß ich nicht, aber er hat ja, wenn überhaupt, nur gesagt er wäre mit dem Fahrrad hingefallen. Und ich kann mich ja auch nicht um alles kümmern. Denn ich arbeite ja von früh bis spät. Ich schufte wie ein Wahnsinniger und mach mich krumm, lass mich von Herrn Berger den ganzen Tag herum kommandieren, mache mehr Überstunden als alle anderen, damit die Abteilung am Ende des Monats gut da steht. Und dann die Doppelbelastung, seit Erika im vorzeitigen Ruhestand ist. Ihre kleine Rente reicht ja gerade mal für ihre Medikamente. Den Rest unseres Lebensunterhaltes muss ich nun ganz alleine aufbringen. Und wer dankt es mir? Niemand. Kein einziges nettes Wort mehr von ihr. Sie sitzt nur noch stumpf auf der Couch, wenn sie nicht gerade mal im Bett herum liegt, was auch alles ist was sie da macht. An Sex ist ja seit Monaten nicht mehr zu denken. Da würde sich doch jeder auch mal ein wenig Vergnügen woanders holen. Schließlich arbeite ich von früh bis spät, damit wir die Raten bezahlen können und die Hypotheken für das Haus.
Und jetzt tut uns der Junge das an. Gut, vielleicht hat Christiane ja recht gehabt damals, als sie meinte wir sollten ihn auf diese neue Schule schicken. Aber ich meine, Mitbestimmung beim Stundenplan, Abschaffung des 45 Minuten Taktes, Altersübergreifende Gruppenarbeit mit Lehrer und Sozialarbeiter, mit nicht mehr als 15 Schülern…, das ist doch keine richtige Schule. So ´was hätte uns mal früher einfallen sollen, dann hätt´s aber was mit dem Stock gegeben. Außerdem, so weit kommt es noch, dass ich mir von meiner doofen Schwägerin sagen lasse, wohin mein Sohn in die Schule geht. Und was heißt, wir hätten ihn ja mal fragen können, was er will. Als wenn der das selber entscheiden könnte, was gut für ihn ist. Das habe ich bei dem neuen Handy gesehen. So einen Quatsch, sie haben ihm das auf dem Schulhof weg genommen. Da sind doch Lehrer die aufpassen, das da nichts passiert. Undankbarer Bengel.
Und jetzt wollen sie mir das alles in die Schuhe schieben. Ich wäre nicht sorgsam genug mit der Waffe umgegangen. Was hat der Junge an meinem Nachttisch zu suchen? Und wie bitteschön hätte ich schnell genug reagieren sollen, wenn mal wirklich ein Einbrecher im Haus gewesen wäre, wenn ich die Patronen an einem anderen Ort aufbewahrt hätte? Die machen sich das so einfach, die Herren von der Kriminalpolizei. Und was diese Schweine von der Presse jetzt alles schreiben. Die sollten sich mal in meine Lage versetzen. Schließlich muss ich das jetzt alles bezahlen.
Ein Beitrag von Oliver Wellmann