Während der Rest der Welt sich mit – oft aufgezwungenem – Multikulturalismus abfinden muss, berichtet die kanadische Tageszeitung Globe and Mail von der Ausweisung der wenigen weißen Einwohner aus einer indianischen Kleinstadt, auch Reservat genannt, vor den Toren Montreals. Natürlich, von dem Umstand ausgehend, dass vor einem halben Jahrtausend der ganze Kontinent ausschließlich von Indianern und Inuits bewohnt war, dass es, während dieser Jahrhunderte, Millionen von Eingeborenen waren, die Kriegen, Seuchen und Ausrottungsversuchen zum Opfer gefallen sind, mag ihre Abneigung gegen die Eroberer verständlich sein. Trotzdem, man stelle sich vor, eine andere kanadische – oder auch deutsche – Stadt würde ähnliche Schritte wagen.
Zuerst ein paar Sätze zum rechtlichen Status von kanadischen Indianerreservaten: Erst lange nach Kolumbus begann man sich in Europa für den nördlichen Teil Amerikas zu interessieren. Zwar erreichte John Cabot schon im Jahr 1497, also fünf Jahre nach Kolumbus, die Küste von Nova Scotia, doch erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts, als die Preise für Biberfälle in Europa anstiegen, machte man sich zu ausgedehnten Expeditionen auf. Spekulationen, einen direkten Seeweg nach China zu finden, blieben unerfüllt. Nachdem die Engländer Mitte des 18. Jahrhunderts den Franzosen die Vorherrschaft abgenommen hatten, weitete sich, zur Zeit der Napoleonischen Kriege, die wirtschaftliche Bedeutung Kanadas auch auf die Versorgung mit Holz aus.
Mit der Urbevölkerung, den Indianern, wurde anfangs zusammen gearbeitet. Als Handelspartner waren sie den Europäern ebenso willkommen wie als Verbündete in den eigenen Kriegen. Lästig wurden sie eigentlich erst, als die Europäer Schritt um Schritt alle Gebiete für sich alleine beanspruchen wollten. Immer mehr Verträge wurden ausgehandelt, die den Lebensraum der eingeborenen Bevölkerung auf sogenannte Reservate beschränkte.
Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten, genießen die Indianer Kanadas Sonderrechte, die sich nicht nur auf das Leben in Reservaten beschränken. Weist sich ein Indianer beim Einkauf von Konsum- oder Gebrauchsgütern als solcher aus, so wird die Mehrwertsteuer vom Preis abgezogen. Im Reservat selbst wird überhaupt keine Steuer eingehoben, und Provinzregelungen, wie etwa Rauchverbote in Gaststätten, Glücksspielgesetze und ähnliches finden somit keine Beachtung.
Viele der Bewohner von Reservaten, die weit abgelegen von Großstätten liegen, sind auf soziale Hilfe angewiesen und, dementsprechend, ist das dortige Leben auch von vielen sozialen Problemen, wie etwa Alkoholismus, geprägt. Anders in Kahnawake. Bloß etwa 15 km von Montreal entfernt, blüht der Handel mit steuerfreien Zigaretten, florieren Pokerklubs und noch eine ganze Menge anderer Geschäfte. Mehr als 400 Online-Casino-Seiten berufen sich auf eine Lizenz aus Kahnawake. Kurz gesagt, man kann nicht behaupten, dass die rund 8.000 Bewohner dieses Ortes finanziell schlecht gestellt sind.
Zwar führt eine stark befahrene Hauptstraße durch dieses Reservat, doch gibt es auf Seitenstraßen, die dazu dienen könnten, häufigen Staus auszuweichen, mehrere Hinweisschilder, die darauf verweisen, dass Weißen die Durchfahrt verboten sei. Nun, sich als Weißer dort anzusiedeln, war immer schon praktisch ausgeschlossen. Allerdings, zum Geschäftemachen sind sie natürlich schon willkommen. Nicht nur, dass sich rund ein Drittel der Montrealer Raucher mit steuerfreien Zigaretten eindeckt, Pokerspieler ihrem, in Montreal nur im staatlichen Spielkasino erlaubten, Hobby nachgehen, auch Angestellte kommen gelegentlich zum Arbeiten von außerhalb des Reservats. Sie sind unübersehbar fleißiger.
Die Zahl derer, die von der plötzlich veranlassten Ausweisung betroffen sind, ist nicht größer als 25. Und in fast allen Fällen handelt es sich um Lebenspartner von Indianern bzw. Indianerinnen. So erzählt die Zeitung Globe and Mail die Geschichte von Alvin Delisle, einem 66jährigen Mohawk, und Pauline Labelle, einer, um sechs Jahre jüngeren, Francokanadierin. Seit zehn Jahren leben sie nun, unverheiratet, zusammen. Die einzige Möglichkeit, eine Trennung zu vermeiden, wäre, aus dem eigenen Haus ausziehen, was nicht zuletzt zu beträchtlichen Unkosten führen würde. Rechtliche Schritte sind geplant.
Die Grundsatzfrage, die es hier zu behandeln gäbe, wäre, ob die Erhaltung der eigenen Kultur beziehungsweise das Fortführen der Blutlinie genügend Anlass dafür wären, derartige Maßnahmen, auch vor kanadischen Gerichten, durchzusetzen. Sollten die Gerichte den Mohawks Recht geben, was für Konsequenzen könnte dies für andere, nichtindianische Städte im Land, in denen Zuwanderer anderer Rassen und Religionen nicht immer wirklich Begrüßung finden, bedeuten?
Über den Anlass dieser drastischen Maßnahmen, die mit Sicherheit die Gemüter erregen wird, lässt sich nur spekulieren. Seit rund einem Jahr werden Zigarettentransporte zwischen einzelnen Reservaten immer öfter von der Polizei kontrolliert und auch beschlagnahmt, was den Preis für 200 Zigaretten in Kahnwake in „ungeahnte Höhen“, ich spreche von einem Anstieg auf etwa 15 Euro für 200 Stück, getrieben hat. Ob sich diese, möglicherweise als Revanche geplante Aktion, die mit den Lebenspartnern letztendlich auch die eigenen Stammesbrüder betrifft, wirklich lohnt, ist fraglich.
Das folgende Video, in deutscher Sprache, hat zwar das Pokerspiel in Kahnawake zum Kernthema, bietet aber einen interessanten Einblick in diese indianische Kleinstadt vor den Toren Montreals.
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