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Der Wirtschaft geht es gut, die Preise stagnieren, die Beschäftigung ist hoch. Gute Voraussetzungen, um die Armut in Deutschland abzubauen – so könnte man meinen. Doch das Gegenteil ist der Fall! Die Armut bleibt nicht nur auf hohem Niveau stehen, sie verfestigt sich auch noch. Die Grenzen zwischen den einzelnen Einkommensklassen werden immer undurchlässiger und der Aufstieg hängt schon längst nicht mehr allein davon ab, ob die Betroffenen Arbeit haben oder nicht. Besonders alarmierend ist, dass in den fünf Jahren von 2011 bis 2015 die Kinderarmut sogar angestiegen ist. Und betroffen sind vor allem jene, die es im Leben ohnehin schon nicht besonders leicht haben – alleinerziehende Eltern und Familien mit drei oder mehr Kindern.
Die Schere öffnet sich stetig weiter
Arm ist in der EU, wer weniger als 60 % des mittleren Einkommens in einem Land im Monat zur Verfügung hat. Das sind in Deutschland im Jahr 2016 bereits 12,5 Millionen Menschen. Doch mit Statistiken ist das ohnehin so eine Sache. Deutschland gilt als ein reiches Land, aber wie das bekannte Beispiel bereits sagt: Wenn zwei Menschen ein Huhn haben und einer isst es alleine auf, sind statistisch gesehen beide satt. Und der Reichtum in Deutschland konzentriert sich fest in den Händen der oberen zehn Prozent, die darüber hinaus immer reicher werden. 1998 besaß dieses obere Zehntel rund 45,1 % des Nettovermögens während die untere Hälfte der Einwohner gerade einmal 2,9 % zusammensparen konnten. Den Unterschied verdeutlicht ein einfaches Beispiel. Wenn zehn Kinder einer Klasse gemeinsam 100 Euro besitzen, dann gehört einem davon 45 Euro. Fünf andere dagegen haben weniger als 60 Cent. Erschreckende Zahlen? Nur wenn, man nicht die Entwicklung ansieht, denn 2013 besaß das obere Zehntel bereits 51,9 %, die arme Hälfte der Gesellschaft mittlerweile aber nur noch weniger als 1 %. In unserem Beispiel bedeutet dies, dass fünf von zehn Kindern mit weniger als 20 Cent auskommen müssen, während unser reicher Knabe für sich allein rund 260 Mal so viel ausgeben kann. Und das sind dann wirklich erschreckende Zahlen.
Nimm von den Armen, gebe den Reichen
Wirklich verwunderlich ist dieser Trend allerdings nicht, wenn Sie sich einige Dinge vor Augen führen. Wir leben in einem sozialen und wirtschaftlichen System, in dem Reichtum belohnt wird. Ein einfacher Blick auf die Banken und ihre Gebührenkataloge reicht, um dies zu verdeutlichen. Nahezu alle Banken erlassen ab einem gewissen monatlichen Geldeingang ihren Kunden die Kontoführung. Wer allerdings ein Konto mit Pfändungsschutz eröffnen will, weil er ohnehin schon verschuldet ist, muss dafür horrende Strafgebühren zahlen. Auch politisch ist keine Wende in Sicht. Fast alle Vorschläge zu dem Thema beschäftigen sich mit der Verringerung der Armut über Steuerentlastung. Wer allerdings arm ist, zahlt ohnehin schon weniger Steuern und wird somit auch nur geringfügig entlastet – wer noch ärmer ist, fällt unter die Freigrenze und bekommt gar nichts. Profitieren tun hingegen die, die sich hochbezahlte Steuerberater leisten können und jedes mögliche Schlupfloch nutzen, um die angeblich unerträgliche Abgabenlast auf ein Minimum zu drücken.
Der Aufstieg rückt in weite Ferne
Eine Änderung dieser Situation ist nicht in Sicht – ganz im Gegenteil. Statt die sogenannte „soziale Mobilität“ zu erhöhen, verfestigen sich auch die Schranken zwischen den Einkommensschichten immer mehr.
Vergleichen wir den Zeitraum von 1991 bis 1995 mit dem von 2009 bis 2013, ergibt sich ein düsteres Bild:
- Früher schaffte es beinahe die Hälfte der Armen (47 %), innerhalb von fünf Jahren in die untere Mitte aufzusteigen. Heute ist es gerade mal etwas mehr als ein Drittel (36 %).
- 1991 betrug die Armutsquote 11 %. 2013 waren 15,3 %, 2016 trotz guter Wirtschaftslage 15,4 %.
- Nur einem von drei Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss gelingt der Aufstieg. Bei einem Abitur steigen hingegen von vier Betroffenen beinahe drei auf.
- Die höchste Rate der Aufsteiger stellen Menschen mit einem Hochschulabschluss.
Bildung ist also – wenig überraschend – der Schlüssel zum Aufstieg. Doch Bildung kostet erst einmal Geld und genau das ist es, was den Armen fehlt. Die Zeiten sind glücklicherweise vorbei, in denen die Kinder auf den Feldern aushelfen mussten, anstatt in die Schule zu gehen. Doch wer heute als armer, junger Erwachsener vor die Wahl gestellt wird, eine schlecht bezahlte Beschäftigung aufzunehmen oder stattdessen eine Ausbildung zu machen oder gar zu studieren, entscheidet sich schnell für das – vermeintlich – leicht verdiente Geld. Und verbaut damit seine Zukunft. Der Mindestlohn befördert diesen Trend paradoxerweise sogar noch, denn die bessere Bezahlung macht eine Ausbildung noch weniger attraktiv. Nun wird auch klar, warum die Armut sich immer weiter verfestigt, wenn sich der große Teil der Ressourcen in den Händen einiger reicher Bürger befinden.
Schaffe, schaffe, Miete zahle
Von einem eigenen Häusle können die Armen nur in ihren kühnsten Träumen fantasieren. Trotz Vollzeitjob und Mindestlohn ist ihr Verdienst so gering, dass sie davon kaum oder überhaupt nicht leben können und Vater Staat ihnen das bescheidene Gehalt auch noch aufstocken muss. Eine Änderung ist nicht in Sicht, denn sie würde harsche Maßnahmen und vor allem auch einen politischen Willen dazu erfordern. Stattdessen wird die Armut noch wirtschaftlich genutzt – auf den Kosten derer, die nichts haben, aber hart arbeiten, ließ sich schon immer der beste Profit erwirtschaften. Solange die Wirtschaft gut läuft, mag dieses System noch funktionieren. Aber was geschieht, wenn das Wachstum auch hier ins Straucheln gerät?
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