Mittwoch , 16 Oktober 2024
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Von Geldes Gnaden

privatisierte naturBis in die Antike reicht die Vorstellung zurück, Kaiser und Könige seien aus Gottes Gnaden mit ihrer Aufgabe betraut gewesen. Dem „dummen“ Volk ließ sich so was leicht einreden, es wurde bei der Stange gehalten, denn schließlich, wenn Gott selbst so entschied. – Neben den Hohenzollern und den Habsburgern wurde inzwischen auch Gott entmachtet. Dafür herrschen die Märkte, denen sich nicht nur die Völker, sondern auch die demokratisch gewählten Regierungschefs zu fügen haben. Und so wie Gottes Wille dereinst kritiklos hingenommen wurde, unterwirft sich der moderne Mensch – sich gar noch auf Logik berufend – den Regeln der Marktwirtschaft.

„Geld ist der Gott unserer Zeit“, schrieb Heinrich Heine Mitte des 19. Jahrhunderts. Ob Rothschild, den Heine damals als „seinen Propheten“ bezeichnete, diese Ehre auch heute noch zuteil wird, gilt als umstritten. Leicht lässt sich glauben, dass diese legendäre Bankiers-Dynastie ihren internationalen Einfluss eingebüßt haben könnte, nachdem ihr Name nicht mehr regelmäßig in den Zeitungen steht.

Es sind aber weder die Namen der Wucherer, die mir durch den Kopf gehen, noch die der Monarchen, es ist die Bereitwilligkeit der Menschen, sich dem angenommenen Höheren zu unterwerfen. Sich dabei selbst noch der Überzeugung hingebend, dem einzig wahren Ideal zu folgen. Jeden Andersdenkenden gleichzeitig der Dummheit, des Aberglaubens oder der Manipulierbarkeit zu bezichtigen.

Nachdem es der Religionen viele gibt, lassen sich nicht alle in derselben Weise beurteilen. Somit nehme ich, der allgemeinen Vertrautheit und unserer eigenen Tradition wegen, das Christentum als Beispiel heraus. Worauf beruht der Glaube? Auf einer Schriftensammlung und der entsprechenden Interpretation. Wird die christliche Lebenseinstellung dem Menschen in jungem Alter vermittelt, verhält sich zumindest ein Großteil der Mitmenschen nach den entsprechenden Vorgaben, spricht für den Einzelnen wenig dagegen, die Thesen als Wahrheit anzuerkennen. Und zu diesen zählt die Allmacht Gottes. Nichts geschieht gegen seinen Willen, ohne sein Einverständnis. Dass er trotzdem den Teufel immer wieder gewähren lässt, erklärt der treue Pfarrer damit, dass er die Menschen eben auf die Probe stellt. Doch in derart bedeutenden Angelegenheiten wie der Herrschaft über die Völker, mit denen er auserwählte Dynastien beauftragte, da konnte getrost davon ausgegangen werden, dass es sich um die Erfüllung Gottes Willen gehandelt haben muss. Beelzebubs Streiche währen doch nicht über Jahrhunderte.

Durfte in diesem Umfeld jemand wagen, nach Beweisen für Gottes Existenz oder zumindest seiner Güte zu fragen? Selbstverständlich. Und es gibt auch eine Antwort: Denn schließlich war es Gott, der Himmel und Erde, uns selbst eingeschlossen, erschaffen hatte. Gott lässt der Sonne Licht auf die Felder scheinen, lässt Regen herniederfallen, und lässt dadurch die Früchte wachsen, die dementsprechend als Gottes Geschenk zu betrachtet wären. Alles, was der Mensch zum Leben braucht, ungeachtet späterer Bearbeitung, entstammt erst einmal der Natur, also der Schöpfung.

Tempora mutantur – die Zeiten ändern sich. Nahrung gibt es – selbstverständlich gegen Geld – im Supermarkt zu kaufen. Und was auf den Feldern vor sich geht, darum kümmern sich die Landwirte, und zwar keineswegs umsonst. Auch wenn der religiösen Vorstellung nach nur Gott dafür verantwortlich sein kann, dass beachtliche Mengen an Öl und anderen Rohstoffen unter der Erde darauf warten, unserem Komfort zu dienen, kein Gebet der Welt hilft, den Tank des Autos zu füllen, sondern nur ein paar Euroscheine.

Einen wissenschaftlichen Beweis für die Existenz Gottes zu erbringen ist ebenso unmöglich wie seine Nichtexistenz nachzuweisen. Doch welche Bedeutung soll diese Frage überhaupt noch haben, wenn es letztendlich immer nur Geld ist, das darüber entscheidet, ob ich mein Dasein in Komfort oder in Misere verbringe? Es mag ja durchaus richtig sein, dass es Gott ist, der durch seine Lebensenergie den Weizen auf den Feldern wachsen lässt, doch Geld druckt er mit Sicherheit keines. Und genau dieses ist zwingend von Nöten, um an den Weizen oder das damit gebackene Brot zu gelangen.

wilhelm IILesen wir in alten Briefen, auch aus rein privater Korrespondenz, die von den Herrschern der Vergangenheit erhalten sind, so stoßen wir immer wieder auf Begriffe, die heutzutage gar selten zu vernehmen sind: Moral, Ehre, Menschenwürde, Treue, Ergebenheit. Und die Annahme, dass es des Herrschers erste und ehrwürdige Aufgabe gewesen sei, seinem Volke zu dienen – und nicht ungekehrt – erinnert an eine ausgeklügelte Propagandaaktion. Heute gehen wir davon aus, dass es Königen und Kaisern doch immer nur daran gelegen sein konnte, ihre eigene Macht zu sichern und zu stärken. Und zwar mit allen Mitteln. Nicht einmal Gott war ihnen für diesen Zweck zu schade.

Heute leben wir, zumindest in Europa, in einer Demokratie. Das Volk regiert sich selbst. Durch Wahl, an der sich jeder Staatsbürger beteiligen darf, werden jene Repräsentanten auserkoren, die auf einen streng bestimmten Zeitraum über die Geschicke des Landes entscheiden. Ist das Volk unzufrieden, darf es beim nächsten Urnengang jede gewünschte Veränderung herbeiführen. Alle Macht liegt in des Volkes Hand. Alle – mit Ausnahme der Macht des Geldes.

Ich erspare mir jetzt in den Geschichtsbüchern nach den passenden Zitaten zu suchen, denn was ich veranschaulichen möchte, ist ein Prinzip. Doch gab es in vergangenen Zeiten nicht Gesetze und Verordnungen, die sich lediglich auf die Erhaltung von Sitte und Moral stützten, diese „von Gott gegebenen“ Grundpfeiler jeder gesellschaftlichen Ordnung? Zweifelte, von revolutionären Epochen vielleicht abgesehen, jemand daran, dass es sich bei der Fortführung der althergebrachten Ordnung um das bedeutendste Ziel der Gemeinschaft, und somit um die erste Aufgabe des Herrschers, handelte?

Zweifelt heutzutage jemand an der Wichtigkeit des Schaffens von Arbeitsplätzen? Oder an der Notwendigkeit, internationale Investoren ins Land zu holen? Schon lange kommt es keinem Menschen, der als zurechnungsfähig gelten möchte, mehr in den Sinn, das ganze Volk dazu aufzurufen, „den Herrn zu preisen“. Doch zweifellos müssen wir das Vertrauen der Märkte wiedergewinnen!

Woher wissen wir, dass wir das Vertrauen der Märkte überhaupt brauchen? Wir brauchen ein Haus, Kleidung, Nahrung und Wasser.

Aber sind es nicht die Märkte, von denen diese Dinge zur Verfügung gestellt werden?

Ich bin mir dessen nicht so sicher. Denn Häuser werden von Architekten und von Maurern erbaut, Kleider von Schneidern genäht und für die Nahrung sorgen Landwirte, Bäcker und Metzger.

Werde ich jetzt banal? Treten denn nicht immer wieder Fachleute auf die Bühne, die uns erklären, wie die moderne Wirtschaft funktioniert? Es mag sein, dass wir ihnen in manchen Bereichen nicht wirklich folgen können, doch schon allein ihre fachliche Ausdrucksweise sollte unser Vertrauen erwecken. Ökonomie ist schließlich eine Wissenschaft, und nur wer das entsprechende Studium absolviert hat, ist auch berechtigt, sein Urteil abzugeben.

Die Theologen, seinerzeit, die Herrscher in ihrem Machthunger unterstützten, hatten zwar auch ihr Studium absolviert, und auch ihnen gelang es, damals, das Vertrauen der Uneingeweihten durch elitäre Wortwahl zu gewinnen, doch heute wissen wir natürlich, warum sie dies taten. Aus reinem Eigennutz wurde das Volk verblendet. Wasser wurde gepredigt, während der Wein in Mengen geschlürft wurde.

Zu lange sei es uns schon gutgegangen. Jetzt müsse der Gürtel eben enger geschnallt werden. Geprasst hätten wir, und dadurch seien die Schuldenberge entstanden, die uns jetzt eben zu schaffen machen. Es muss gespart werden. Sind solche Erklärungen im Kern wirklich so anders als die Parolen vergangener Zeiten?

Die Vermögen der Weltelite steigen weiter an. Wie war das mit dem Vergleich, Wasser zu predigen und Wein zu trinken?

– Nachtrag: Wie ich an einigen der Kommentare erkenne, dürften mir Formulierungen unterlaufen sein, die wörtlich verstanden werden, obwohl sie doch eher zynisch gemeint sind. Die Wirtschaftslehre, so wie sie an unseren Universitäten vorgetragen wird, zeichnet sich ebenso durch Einseitigkeit aus wie eine Theologie, die eine bestimmte Schriftensammlung als Wort Gottes und somit als einzig gültige Wahrheit voraussetzt. Beides grenzt sich dadurch aus dem Bereich der Wissenschaft aus. Ohne es direkt auszusprechen, wollte ich eigentlich andeuten, dass das moderne Weltbild, in dessen Zentrum Geld und Märkte stehen, sich gar nicht so sehr von dem der Vergangenheit unterscheidet.

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