“Ich habe in Bayern 600 Bu?rgermeister,” ließ sich Hubert Aiwanger jüngst im Handelsblatt zitierten. Nicht die Partei, sondern er. Diese Aussage lässt tief blicken, nicht nur in die Psyche des Vorsitzenden der Partei Freie Wähler, sondern auch in die Verfassung der Partei selbst. 280.000 Mitglieder soll seine Partei haben, lässt Aiwanger über die Medien verbreiten. FDP, Grüne und Linkspartei kommen zusammen gerade einmal auf 180.000 Parteibuchinhaber. Wie passen solche Zahlen zu den Umfragewerten für die Bundestagswahlen, die im kaum messbaren Bereich liegen?
Ein jetzt aufgetauchtes internes Protokoll zeichnet ein zu den Umfragen passenderes Bild: Ende Januar hatte die Partei Freie Wähler 4.700 Mitglieder, davon 3.200 allein in Bayern. Einige Landesorganisationen kamen zu diesem Zeitpunkt nicht einmal auf 50 Mitglieder. Im Februar rollte bekanntlich dazu eine Austrittswelle in Richtung AfD, dieser Mitgliederschwund ist noch gar nicht berücksichtigt. Entsprechend desaströs ist der Zustand der Partei. In Nordrhein-Westfalen, immerhin dem bevölkerungsreichsten Bundesland, kann die Aiwanger-Partei gerade einmal in 18 der 63 Wahlkreise einen Kandidaten aufbieten.
Dass Aiwanger in dieser Situation nach allem greift, ist verständlich. Zu Hilfe kommt ihm dabei die Verwirrung um den Begriff “Freie Wähler”. Die Partei wurde im Jahr 2009 gegründet. Die kommunalen Wählergruppen, deren Markenzeichen gerade die Parteifreiheit ist, sind seit den ersten Kommunalwahlen nach Ende des Zweiten Weltkrieges aktiv. Teile dieser unabhängigen Wählergruppen haben sich in Landesverbänden organisiert. Es existiert auch einen Bundesverband, dem zwölf dieser Landesverbände angehören und dem Aiwanger ebenfalls vorsteht.
Aiwanger versucht in seiner Doppelfunktion als Parteivorsitzender und Vorsitzender des Bundesverbandes den Eindruck zu erwecken, die Basis der Partei seien die unzähligen Wählergemeinschaften auf der kommunalen Ebene und diese Untergliederungen der Partei. Dem ist jedoch nicht so. Vielmehr gibt es aus den Reihen der Wählergruppen teils erbitterten Widerstand gegen die Partei. Besonders der Landesverband in der Hochburg Baden-Württemberg wehrt sich sogar mit juristischen Mitteln gegen eine Vereinnahmung.
Die eingangs erwähnten 600 Bürgermeister – diese runde Zahl ist geschätzt – sind Mitglied kommunaler Wählergruppen. Darunter werden sicherlich Mitglieder seiner Partei sein, aber das weiß man nicht genau, denn die Partei trat in Bayern nicht zu den Kommunalwahlen an. Auf die 280.000 Mitglieder kommt er, wenn er die Mitglieder der kommunalen Wählergruppen schätzt. Genau kann es niemand sagen, denn juristisch wie organisatorisch selbständigen Vereine sind als Verein Mitglied. Den Stand ihrer Mitgliederzahl melden sie nicht weiter.
Die kommunalen Wählergruppen haben haben nichts mit der Partei zu tun. Deren Markenkern war bisher vielmehr, in den Gemeinde-, Stadt und Kreistagen parteiunabhängige Politik zu betreiben. Wenn Aiwanger in den Presseberichten richtig zitiert wurde, dann lügt er. Mit “gesunden Menschenverstand” oder “bürgernaher Politik” hat sein Verhalten wenig zu tun, eher mit Taschenspielertricks. Es ist verwunderlich, dass Aiwanger noch nicht von den kommunalen Wählergruppen gestoppt wurde, haben diese doch einen Ruf zu verlieren.