Bis dato hat sich unsere Zivilisation als höchst widerstandsfähig erwiesen. Was liegt nicht so alles seit Jahren in der Luft: Börsencrash, Bankencrash, Staatsbankrott, Weltkrieg, Hungersnot – und im Jahr 2012 drohte sogar der endgültige „Weltuntergang“. So glaubten zumindest Einige. Zweifellos blicken Viele der Zukunft noch immer mit Sorge entgegen, doch trotz aller weltbewegenden Themen zeigen sich im Alltag der meisten Menschen kaum Veränderungen. Und solange Probleme nicht am eigenen Leib verspürt werden, dominiert die Trägheit.
Was den Maya-Kalender betrifft, der seit wenigen Tagen spontan an Bedeutung verloren hat, so konnte dieser – wenn er überhaupt etwas ausdrückt – nur den Übergang von einem Zyklus in einen anderen markieren. So erklären es zumindest Mitlieder des Volkes der Maya. Die Idee eines möglichen Endes der Welt am 21. Dezember 2012 entstammte eher Science-Fiction-Autoren und Weltverängstigern.
Aber immerhin: von nun an dürfen wir uns stolz „Weltuntergangs-Überlebende“ nennen, was unserem Ansehen, neben dem Umstand, dass wir als Bürger von EU-Staaten in diesem Jahr auch noch zu Friedensnobelpreislaureaten erkoren wurden, eigentlich dienen sollte.
Die Tatsache, dass wir in einer Schuldenkrise gefangen sind, scheint immer weniger Menschen zu beunruhigen. Zwei Billionen Euro Staatsschulden sind schließlich so eine abstrakte Summe, dass ihr eher symbolischer Charakter zugesprochen wird. Was kümmert es schon den Bürger, ob der Staat über Vermögen verfügt, wie es in Libyen unter Gaddafi der Fall war, oder ob er mit einer Million, einer Milliarde oder zwei Billionen Euro verschuldet ist. Dass eine vierköpfige Familie dabei mit 100.000 Euro haftet, mag zwar schockierend klingen, doch was sind die Auswirkungen? Den meisten Leuten ist dabei ja nicht einmal bewusst, wie viel sie an Steuern bezahlen. Die Einkommensteuer wird vom Lohn gleich einbehalten, die Mehrwertsteuer ist im Preis einkalkuliert usw. Für den Einzelnen zählt immer nur der Arbeitsplatz. Und wie wichtig die Schaffung von Arbeitsplätzen ist, darüber lesen wir täglich in den Zeitungen.
Der Begriff der „Beschäftigungspolitik“ ist dabei übrigens sehr bezeichnend. Denn das Gefühl, gebraucht zu werden, um als Teil einer Gesellschaft seinen Anteil an der anfallenden Arbeit zu leisten, ist schon lange verschwunden.
Lassen Sie mich etwas näher ausführen:
Stellen Sie sich vor, Sie ziehen in eine neue Stadt und stellen fest, dass das dortige Angebot an frischen Früchten sehr bescheiden ist. Sie schließen diese Lücke, bringen täglich frisches Obst und Gemüse vom nächstgelegenen Großmarkt und alle sind glücklich: Sie, weil sie mit ihrer Arbeit Geld verdienen, und die Stadtbewohner, weil ein bestehender Bedarf gedeckt ist. Leider lassen sich solche Nischen immer seltener, wenn überhaupt, finden.
Nachdem sich die Mehrheit der Menschen im Laufe des 20. Jahrhunderts an unselbstständige Erwerbstätigkeit gewöhnt hat, mag das folgende Beispiel vielleicht ansprechender sein: Sie suchen einen Job, schlagen die Zeitung auf, wählen unter den angebotenen Stellen die interessantesten aus und vereinbaren einen Gesprächstermin. Dabei zeigt sich jedes Unternehmen höchst interessiert, Sie als Angestellten für sich zu gewinnen.
Nur die älteren Jahrgänge werden sich daran erinnern, dass Arbeitssuche bis in die späten 1970er-, teils bis in die 1980er-Jahre so funktioniert hat. Auch Arbeitnehmer hatten damals das Gefühl, gebraucht zu werden. Ich glaube, ich brauche nicht näher zu erläutern, wie die Situation heute aussieht. Doch auch wenn der Arbeitnehmer heutzutage eigentlich gar nicht mehr so richtig gebraucht wird, hat sich die Politik doch zum Ziel gesetzt, so viele Menschen wie möglich zu „beschäftigen“. Wozu sonst sind wir am Leben, wenn nicht zum Arbeiten und zum Konsumieren – was beides durch Steuern empfindlich „bestraft“ wird.
Ich unterlasse es bewusst, Mutmaßungen darüber anzustellen, wie viele Menschen mit ihrem Arbeitsplatz wirklich zufrieden sind. Wird die Leistung entsprechend honoriert? Wir sie als solche respektiert? Ist die Arbeit selbst interessant und lädt zu persönlichem Engagement ein? Doch was wird den vielen Millionen erklärt, die ihren Job hassen, die sich nur deswegen täglich durch Verkehrsstaus quälen, weil sie nicht einmal vorübergehend auf ihren Lohn verzichten könnten? Sei doch froh, dass du überhaupt Arbeit hast! Und siehe da, die Zahl derer, die sich über den schlechtbezahlten, unerträglichen, krankmachenden Arbeitsplatz entweder tatsächlich freuen oder die zumindest nach außen hin vorgeben, ihren Job zu mögen, ist wirklich beachtlich. Es ist ja immer noch besser Baumwolle zu pflücken als sich von Würmern zu ernähren, nicht wahr?
Wenn wir jetzt mit unseren eigenen Problemen ohnehin bis über beide Ohren eingedeckt sind, was sollen wir uns darüber hinaus noch den Kopf über jene Ereignisse zerbrechen, die diese Probleme, mit denen wir uns täglich konfrontiert finden, bewirken? Was hat das Geldsystem mit meinem schlechten Lohn zu tun oder die Staatsverschuldung mit geplanten Steuererhöhungen? ….
Es sollen 75 % der Deutschen sein – und in anderen Ländern sieht es sicher nicht besser aus – die sich um Nachrichten grundsätzlich überhaupt nicht kümmern, vom Sportteil natürlich abgesehen. Der Rest nimmt sich dann wohl etwas Zeit, sich von der Tagesschau oder einigen Schlagzeilen berieseln zu lassen. Die auf diesem Wege verschaffte Kurzweil wird dann gerne als Informationsübermittlung missverstanden.
Als sich in Tunesien und Ägypten die Massen erhoben, um sich von ihren Diktatoren zu befreien, schürte dies Begeisterung. Über die um nichts bessere Situation in den genannten Ländern nach dem Sturz von Ben Ali und Mubarak berichten die Medien entsprechend weniger. Ist ja auch nicht so unterhaltend! Über die hervorragenden Lebensumstände in Libyen unter Gaddafi wollen die Meisten erst gar nichts wissen. Spiegel, Bild und all die anderen schrieben, Gaddafi war ein Diktator und das Volk hat sich gegen ihn erhoben – doch außerdem ist dies alles ohnehin ein alter Hut. Der Wüstensohn ist schon lange tot – und wen kümmert schon die heutige Situation in Libyen. Wen wundert es schon, dass wir keine Bilder glückstrahlender Menschen sehen, die endlich begeistert ihre Freiheit genießen?
Dass sich der nicht minder „böse“ Diktator Assad in Syrien so lange an der Macht hält, kann wohl nur an der Unterstützung durch Putin liegen, der sich – zusammen mit den Chinesen – gegen eine „friedensbringende“ Resolution durch den Weltsicherheitsrat stellt. Gegen Putin erheben sich ja auch große Teile des Volkes, wird uns regelmäßig von den Medien mitgeteilt. Dass er mit 63% der Stimmen gewählt wurde, sein stärkster Gegenkandidat nur 17% der Stimmen erhielt, spielt dabei keine Rolle.
Um Ahmadinedschad wurde es gegen Jahresende wieder völlig still. Im September schien es, als würde ein Angriff des Iran durch Israel eine beschlossene Sache sein, doch durchgeführt wurde er noch immer nicht. Ob es vielleicht daran liegt, dass iranisches Öl zwar nicht mehr gegen Petrodollar, dafür aber gegen einen Währungskorb, der auch russische Rubel und chinesische Yuan enthält, veräußert wird. Saddam Hussein verkaufte Öl gegen Euro – und Europa wagte es natürlich nicht, die eigene Währung gegenüber den Amerikanern zu verteidigen. Gaddafis Pläne mit einem goldgedeckten Dinar als Ölwährung gefiel den Russen und den Chinesen um nichts besser als den Amerikanern. Warum hätten sie also Gaddafi unterstützen sollen? Ob Ahmadinedschads Ölpolitik ihn vor dem geplanten Angriff rettete, weil zwei Supermächte, der eigenen Währungspolitik wegen, mit einem solchen nicht einverstanden sind, fällt sicher in den Bereich der Spekulation, ist aber eine Überlegung wert.
Doch der Blick in den Nahen und Mittleren Osten hilft ohnehin nur, das Gesamtbild des Weltgeschehens etwas tiefgründiger zu verstehen. Die eigene Haut ist uns allen ja doch am nächsten. Und somit bleibt die Frage offen, wie wird sich die Geldkrise in Zukunft weiter entwickeln?
Der Euro hat einen großen Teil seiner ihm zugedachten Aufgabe schon erfüllt. Breite Bevölkerungsschichten, vor allem in Südeuropa, leiden unter zunehmender Not. Um den internationalen Finanzsektor weiter zu befriedigen – natürlich nur zur Rettung des ohnehin ungeliebten Euros – wird auch im Rest Europas fleißig gespart, was bedeutet, von den Bürgern wird mehr Arbeit für weniger Geld verlangt. Die Fiskalunion beschneidet die souveränen Rechte der europäischen Staaten immer einschneidender, obwohl es aus der Schuldenkrise ohnehin keinen Ausweg gibt. Schuldsklaverei für alle Ewigkeit.
Wie ernst dürfen wir gleichzeitig die zähen Budgetdiskussionen in den USA nehmen? War die Situation nicht ähnlich im Sommer des Jahres 2011, als es um die Anhebung der Schuldenobergrenze ging?
Amerika lebt seit gut zwei Jahrzehnten auf Pump. Die Summe der Einkommen reicht schon lange nicht mehr aus, um genügend Kaufkraft bereitzustellen, um die heimische Wirtschaft am Leben zu erhalten. Die Lösung lautete: Privatschulden. Nachdem aber auch hier die Grenzen bereits erreicht sind, bleibt wenig Hoffnung, die stagnierende Wirtschaft auch nur irgendwie zu beleben. Mit den geplanten Steuererhöhungen wird es kaum funktionieren, denn gerade dadurch wird die Kaufkraft ja weiter geschmälert.
Dass eine dramatische Wirtschaftskrise in den USA auf Deutschland deswegen negative Auswirkungen hätte, weil es sich um den zweitwichtigsten Exportpartner handelt, entspricht nur zu einem kleinen Teil der Wahrheit. Von wesentlich größerer Bedeutung ist die Verkettung der internationalen Finanzmärkte, wegen derer das Platzen der Immobilienblase in Amerika „systemrelevante“ Geldinstitute in Europa an den Rand des Bankrotts brachte, weswegen sich Staaten bei anderen Geldinstituten tiefer verschuldeten, um den Zusammenbruch zu verhindern. Dass all dies mit der allgemeinen Vorstellung von Demokratie gar wenig zu tun hat, scheint jedoch weder Politiker noch die Medien, und dementsprechend auch nicht die Bürger, zu stören.
Wenn wir an die letzten zwölf Monate zurückdenken, so war es eigentlich ein Jahr wie jedes andere. Auf der Weltbühne gehen Dinge vor sich, die nur sogenannten „Verschwörungstheoretikern“ Kopfzerbrechen bereiten, während die Lebensqualität der Menschen so langsam beschnitten wird, dass es den Meisten gar nicht auffällt. Sie kennen das Beispiel vom Frosch, dem das Wasser so langsam angewärmt wird, dass er es gar nicht bemerkt – bis er sich bereitwillig kochen lässt.
In diesem Sinne wünsche ich einen guten Rutsch – und viel Erfolg im neuen Jahr.
Ihr
Konrad Hausner