Dienstag , 19 März 2024
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Der Klimawandel und die Gesellschaft: Ein Verdrängungswettbewerb

thermometer_celsius„Ich persönlich glaube nicht, dass die Gesellschaftsform, wie wir sie derzeit in Europa gewohnt sind, mit Rechtsstaatlichkeit, bürgerlichen Freiheiten und wirtschaftlicher Prosperität, solch einen rapiden Temperaturanstieg überstehen würde.“ Lese ich am Morgen und halte inne. Was für ein Satz! Da redet ein junger Mann. Der arbeitet in Potsdam. Als Forscher. Am Institut für Klimafolgenforschung. Dr. Anders Levermann. Er schreibt am IV. Bericht für das IPCC, das weltgrößte Netz von Instituten und Wissenschaftlern, die sich mit dem Klimawandel und seinen Folgen beschäftigen. Selbst das Pentagon hat den Klimawandel als „größere Gefahr als der Terrorismus“ bezeichnet.

Da sitzt nun also dieser junge Doktor und sagt dem Journalisten ins Mikrofon: „Wir hoffen, dass die Risiken und die Folgen der Erwärmung handhabbar bleiben – wenn wir unter 2 Grad bleiben. Der Pfad, auf dem wir gerade sind, führt uns aber bis zum Ende des Jahrhunderts zu 4 oder 5 Grad.“

Sagt er so. Und dann fügt er den Satz dazu, über den ich gestolpert bin: „Ich persönlich glaube nicht, dass die Gesellschaftsform, wie wir sie derzeit in Europa gewohnt sind, mit Rechtsstaatlichkeit, bürgerlichen Freiheiten und wirtschaftlicher Prosperität, solch einen rapiden Temperaturanstieg überstehen würde.“

Nun werden die Menschen in Zeiten von Massenkommunikationsmitteln geradezu überschwemmt mit irgendwelchen Informationen. In der ganzen Fülle gibt es ein rares Gut: Aufmerksamkeit.

Wer wie ich gern still arbeitet, in Ruhe liest und aufnimmt, hat die Möglichkeit, zu filtern. Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Und den Sätzen nach-zudenken. Deshalb führt dieser Satz des jungen Doktors da aus Potsdam zur Frage: wenn es stimmt, was er sagt, und ich habe keinen Grund, es zu bezweifeln – welche Chance hat seine Erkenntnis und die seiner Kollegen, gehört, d.h. politikwirksam zu werden?

Nun kenne ich den politischen Alltag aus zwanzig Jahren eigener Berufserfahrung. Weiß um die unsäglich langsamen parlamentarischen Prozesse. Je höher die Ebenen – Länder, Bund, Europa, UNO – um so langsamer werden sie und um so winziger werden die Punkte, auf die man sich im Kompromiss der Interessen verständigen kann. Die großen Klimakonferenzen geben ein beredetes Zeugnis.

Wenn wir also annehmen müssen, dass unsere politischen Systeme zu langsam reagieren auf die Herausforderung. Wenn wir also annehmen müssen, dass der erzielbare Kompromiss nicht zu dem eigentlich notwendigen Ziel führt, nämlich „0 Emission ab 2050“, was bedeutet das? Man kann natürlich die Hoffnung auf Prozesse setzen, die auch ohne Politik ablaufen: Menschen kaufen bewusster ein, die Industrie sieht Anlage- und Verdienstmöglichkeiten in „grünen Technologien“, die sich aus Erneuerbaren Energien speisen. Nur: Auch das wird nicht reichen.

Als ich im Verkehrsministerium als Staatssekretär anfing (ich war anfangs zuständig für neue Treibstoffe und Elektromobilität), habe ich meinen Fachleuten als erstes eine sehr einfache Frage gestellt. „Wenn wir den Tag X annehmen, an dem das Öl alle ist. Wie viel von der an diesem Tag allein für Heizung und Verkehr benötigten Energie könnten wir, wenn wir die weltweit modernsten Technologien und Treibstoffe einsetzen würden, substituieren?“
Meine Fachleute im Haus wussten nicht sofort eine Antwort. Als wir uns wieder trafen sagten sie 35%. Das ist eine interessante Zahl. Denn sie sagt: 65% des benötigten Energiebedarfes müssten dann woanders her kommen. Nicht aus Öl, nicht aus neuen Treibstoffen (inklusive H2, E-mobility etc.), nicht aus neuen Technologien – sondern aus Verbrauchsvermeidung: Effizienz.

Um dies jedoch zu erreichen, so weiß ich noch aus meiner Zeit im Bundesforschungsministerium, bräuchten wir mindestens einen Energieeffizienzgewinn im Mix der Technologien von etwa 4% – pro Jahr! Derzeit haben wir etwa 1,4%. Man weiß, dass beispielsweise bei der Erzeugung von Stahlplatten bis zu 80% Energie gespart werden kann, wenn man sie spritzt, statt walzt. Die Energie-Enquete, deren Mitglied ich war, hat umfangreiches Material bereit gestellt, was alles „ginge“ und auch schon praktiziert wird.

Auch dies ein wichtiger Hinweis: da tut sich eine Schere auf zwischen dem, was nötig wäre und dem, was bei bestem Willen überhaupt leistbar ist – angesichts der oben beschriebenen Langsamkeit von parlamentarischen Prozessen und erreichbaren Kompromissen. Es liegt also nicht (nur) am guten Willen. Da gibt es einen Fehler im System: wir können nicht umsetzen, was wir wissen. Auch bei gutem Willen nicht. Wobei ein wenig mehr Mut in Parlament und Regierung durchaus wünschenswert wäre.

Dies wiederum bedeutet: die Wahrscheinlichkeit ist nicht klein, dass dieser junge Mann aus Potsdam, der da an seinem Bericht für den Weltklimarat schreibt, Recht haben könnte:

Der Pfad, auf dem wir gerade sind, führt uns aber bis zum Ende des Jahrhunderts zu 4 oder 5 Grad.

Kann man das aushalten? Innerlich? Die Vorstellung von diesem Szenario? Ich meine „Ende des Jahrhunderts“ das ist ja nicht mehr lange hin. Das sind neunzig Jahre. Davon erlebt mein Sohn noch ne ganze Menge. Und eventuelle Enkel ohnehin. Es bleibt also sozusagen „in der Familie“.

Was würde es denn bedeuten, wenn der junge Doktor aus Potsdam mit seiner persönlichen Einschätzung Recht hat?: „Ich persönlich glaube nicht, dass die Gesellschaftsform, wie wir sie derzeit in Europa gewohnt sind, mit Rechtsstaatlichkeit, bürgerlichen Freiheiten und wirtschaftlicher Prosperität, solch einen rapiden Temperaturanstieg überstehen würde.“ Er spricht von dem „Pfad“ auf dem wir gerade sind. Und: Die weltweiten Trends – enormes Wachstum vor allem in Asien und Südamerika mit entsprechenden Energieverbräuchen und Emmissionen – deuten ja eher darauf hin, dass dieser Pfad noch steiler werden wird, statt „0 Emissionen ab 2050%.

Diese Überlegungen sind in ihrer Konsequenz dermaßen komplex und gewaltig – dass die Menschen verdrängen. Ich weiß, wovon ich da rede. Als ich auf der europäischen Verkehrsministerkonferenz vor zwei Jahren mit den Kollegen aus den Niederlanden und Spanien zusammensaß und wir uns eine Arbeitsgruppe der europäischen Hafenstädte zum Klimawandel überlegten, da war uns klar, dass uns die Zeit davon läuft. „Bei uns kommt’s schon über die Kaimauern“ sagte mir mein spanischer Kollege.

Wir wissen, dass auch auf die deutschen Hafenstädte und Küsten enorme finanzielle Belastungen zukommen werden. In Europa wird man ein neues Finanzausgleichssystem benötigen, weil es Regionen gibt, die stärker und welche, die weniger stark betroffen sein werden. Mein niederländischer Kollege meinte nur: „Na, irgendwie wär es ja nicht einzusehen, dass wir dann jede Hochwasserwelle des Rheins allein bezahlen sollten, wenn bei uns die Wanne volläuft. Mein Land steht jetzt schon zu großen Teilen unterhalb des Meeresspiegels. Wenn die Prognosen einträfen, würde das für die Niederlande einen Landverlust von 50% bedeuten.“ Ich habe ihn gefragt, wie sich seine Regierung darauf vorbereitet: das kleine Land gibt über eine Milliarde Euro jährlich aus, um im Meer vor den gewaltigen Deichen Sand aufzuspülen und so den Wellen die Kraft zu nehmen.
Nur: dies hat ja auch etwas vom spielenden Kind am Strand des Meeres, das sich eine Kleckerburg baut.

Es wäre absolut zwingend für Politik und Gesellschaft, dieses überaus komplexe Thema „Klimawandel“ und die Folgen prioritär zu bearbeiten. Die üblichen Schuldzuweisungen („die da oben wollen nicht“, „die Industrie ist schuld“ etc. pp) genügen bei weitem nicht, um angemessene Antworten zu entwickeln.

Aber diese Priosierung findet nicht statt. Weil die Informationsflut die Menschen überfordert. Weil sie nicht mehr zwischen Wichtigem und weniger Wichtigem unterscheiden können. Und sich abwenden. Ins Private.

Also, wie ist es: heute schon verdrängt?

Das ganze Interview mit Andreas Levermann gibt es hier bei n-tv.de

Ein Beitrag von Ulrich Kasparick, Staatssekretär a.D.

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