Wer immer gewichtige Worte von sich gibt, Altkanzler Schmidt, Angela Merkel oder Top-Banker Josef Ackermann, der Tenor ist immer der selbe: Die Reste von Unabhängigkeit und Souveränität sind am verschwinden. Sowohl die Bürger als auch die Politik haben sich den „Märkten“ zu fügen. Wer sich an einem Spiel beteiligt, sollte zumindest die Grundregeln kennen. Die Bürger wussten von Anfang an nicht, was gespielt wird. Und die Politik hat über Jahrzehnte hinweg Entscheidungen getroffen, die dem Finanzsektor immer mehr Macht übertrugen. Jetzt sind die Würfel gefallen. Rien ne va plus!
Lassen Sie mich zuerst etwas feststellen, worauf grundsätzlich niemals verwiesen wird: Es gibt genügend Kohle zum Heizen. Es gibt genügend Erdöl, um die Maschinen zu betreiben. Noch immer wächst genug Weizen auf den Feldern. Wer im Marketing-Bereich tätig ist weiß nur zu genau: Wirklich alles ist im Überfluss vorhanden. Das einzige, woran es fehlt, ist Kaufkraft! Und warum stecken wir in einer Krise? Woran fehlt es? Ausschließlich an Geld, dem Tauschmittel, das vom Finanzsektor aus dünner Luft erschaffen wird. Sobald der Schuldner jedoch seine Unterschrift auf das Papier setzt, haftet er mit seinen realen Werten, mit seinem Haus, mit seinem Gold, mit seiner Arbeitskraft.
Weder auf der Schule noch durch die Medien hat der Bürger jemals gelernt, wie dieses System funktioniert. Niemand sagte ihm, wo das Geld für den Kredit herkommt, den ihm die Bank so großzügig „gewährt“. Niemand informierte ihn über die Konsequenzen, wenn er nach Billigangeboten aus Asien greift. Und was stand bei der Einführung des Euro im Vordergrund? Ach ja, der Bürger spart die Wechselspesen, wenn er nach Spanien auf Urlaub fährt.
Doch plötzlich liegen die Karten auf dem Tisch. Noch immer weiß der Bürger relativ wenig damit anzufangen. Bruchstückweise sagen es ihm aber die Damen und Herren Politiker, die Banker, die Journalisten: Eine Währungsunion erlaubt doch keinen Spielraum für Souveränität. Wir haften doch alle mit. Und somit ist es unser Recht, den Griechen vorzuschreiben, was sie zu tun haben. Deswegen ist es aber auch das Recht der Anderen, für unser Leben die Regeln zu setzen. Und wer ist es, der letztendlich das Sagen hat?
Ist es die Summe der Bürger, die demokratisch entscheidet? Sind es demokratisch gewählte Politiker? Es macht keinen Unterschied. Denn, so wie sich in einem souveränen Staat jede neue Entwicklung nach der bestehenden Verfassung zu orientieren hat, unterliegen die derzeitigen Maßnahmen den Spielregeln der Märkte. Und wenn eines Tages, in sehr naher Zukunft, eine Entscheidung nötig sein wird, was vorrangig zu behandeln ist, die Verfassung oder die Märkte, dann dürfen Sie Gift darauf nehmen, dass es die Märkte sein werden.
Der Spiegel berichtet über einen Vortrag von Josef Ackermann. Dieser kritisiert die Regierungen, die Gläubigern einen freiwilligen Forderungsverzicht gegenüber Griechenland nahegelegt hatten. Das habe die Märkte verunsichert. Wenn unser Nachbar seine Schulden nicht zahlen kann, dann haben wir gefälligst einzuspringen. Sonst werden die Banken „verunsichert“ und „gewähren“ uns allen zusammen keine Kredite mehr.
Ackermann verwies auf eine Bemerkung des US-Präsidenten Barack Obama, der androhte, dass Europas „Gewicht in der Welt verschwinde“. Im Spiegel steht wörtlich:
Wenn Europa es nicht schaffe, seine Einheit zu vollenden, liefen die europäischen Nationen Gefahr, nicht mehr selbst über ihr Schicksal bestimmen zu können. Es drohe letztlich der Verlust der Freiheit.
Lesen Sie bitte nicht über diesen Satz hinweg. Es wird angedroht, dass die europäischen Nationen nicht mehr selbst über ihr Schicksal bestimmen könnten. Entweder unterwerfen sich die einzelnen Staaten einem europäischen Diktat oder das Diktat käme von außen. Und wem würde die Bestimmungsgewalt übertragen werden?
Ackermann äußert auch diesbezüglich seine Zukunftsvision, nämlich, eine stärkere Koordinierung der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Doch was sagt dies aus? Dass jeder Staat und damit jeder einzelne Bürger sein Leben danach auszurichten hat wie es die „internationalen Investoren“ mit den Entscheidungsträgern einer europäischen Einheit aushandeln. Es ist an der Zeit, dass wir uns dessen endlich bewusst werden.
Und was gab Kanzlerin Angela Merkel am Freitag in ihrer Regierungserklärung im Bundestag von sich:
„Wir reden nicht mehr nur über eine Fiskalunion, wir fangen an, sie zu schaffen“
Altkanzler Helmut Schmidt, ein Mann, dessen Meinung zweifellos zu respektieren ist, rät zur Schaffung von Euro-Bonds. Dass gemeinsame Verschuldung zwingend zu gemeinsamen Regelungen im Finanzbereich führen, bedarf keiner gesonderten Erwähnung. Sich gemeinsamen Regeln zu unterwerfen, ist jedoch wiederum genau der Punkt, der einer Aufgabe der letzten Fragmente von Souveränität gleichkommt.
Und, bei allem Respekt gegenüber Helmut Schmidt. Acht Jahre lang, von 1974 bis 1982 amtierte er als deutscher Bundeskanzler und davor zuerst als Verteidigungs- und dann, bis zu seinem Amtsantritt als Kanzler, als Finanzminister. In einem Arbeitspapier der Konrad-Adenauer-Stifung (pdf) aus dem Jahr 2002 ist folgendes zu lesen:
Die gesamte Neuverschuldung überstieg in den Jahren 1970 bis 1982 mit 249,3 Mrd. DM (127,5 Mrd. €) die Zinsausgaben mit 111 Mrd. DM (56,8 Mrd. €) bei weitem (Verhältnis 1 : 0,45). Trotz der Verzehnfachung der Zinslasten verschuldete sich die SPD-geführte Bundesregierung – insbesondere in den Jahren ab 1975 – immer weiter am Kapitalmarkt. Hier nahm der Teufelskreis der Verschuldung seinen Anfang.
Also, die SPD-Regierung unter Kanzler Helmut Schmidt verschuldete sich am Kapitalmarkt. Warum hat Herr Schmidt es damals nicht der Mühe Wert gefunden, die Bürger Deutschlands darüber aufzuklären? Gewiss, im Vergleich zu heute waren die Schulden damals noch lächerlich niedrig. Doch, wie in dem Text zu lesen ist: Hier nahm der Teufelskreis der Verschuldung seinen Anfang.
Vielleicht wäre Herr Schmidt eines Tages doch so freundlich, uns zu erklären, was ihn damals dazu bewogen hatte, das deutsche Volk in die Schuldenfalle zu führen. Wessen Weisungen hatte er zu folgen? Denen der Siegermächte? Wie Wolfgang Schäuble schließlich kürzlich unverblümt aussprach, ist Deutschland seit dem 8. Mai 1945 schließlich niemals mehr ein völlig souveräner Staat gewesen.
Um jedoch nicht in Einseitigkeit zu verfallen, möchte ich zwei Anmerkungen hinzufügen:
Das Arbeitspapier der Konrad-Adenauer-Stiftung kritisiert natürlich in erster Linie die SPD. Warum hat die damalige Opposition nichts getan, um die Bürger Deutschlands zu warnen, sie darüber zu informieren, wohin Schuldenpolitik letztendlich führen muss? Genau deswegen gibt es schließlich mehrere Parteien. So sollte man zumindest glauben. Und unter welchem Kanzler wurde die Einführung des Euro beschlossen? Das war Helmut Kohl. Also, an der derzeitigen Krise sind alle großen Parteien gleichermaßen schuld.
Und was die Situation Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg betrifft, die Bevölkerung der westlichen Siegermächte blieb von der Schuldenfalle nicht verschont. Also, am Mangel an Souveränität in Deutschland kann es nicht gelegen sein. Alle westlichen Industriestaaten sind gleichermaßen betroffen. (Im Gedanken, heimlich, still und leise, darf jeder darüber nachdenken, was mit einem Land passiert wäre, das es gewagt hätte, aus der Reihe zu tanzen.)
Stellen Sie sich die Welt als großes Casino vor. „Internationale Investoren“ und ahnungslose Politiker sitzen am selben Tisch. Die Spielregeln wurden, in höchst komplizierter Form, von Finanzexperten, vormals Geldwechsler genannt, erdacht. Und, nachdem die eine Hälfte der Spieler, die Politiker, nicht so richtig verstehen, worauf sie sich eingelassen haben, werden sie von der anderen Hälfte, den „internationalen Investoren“, schlicht „über den Tisch gezogen“. Doch was waren die Einsätze, um die gezockt wurde?
Das gesamte Kapital, das einem Land zur Verfügung steht. Ländereien, Rohstoffe, Anlagevermögen und „Human Resources“, die Arbeitskraft der Menschen. Die Politiker haben Ihre Arbeitskraft verzockt und gleichzeitig auch die Ihrer Kinder und Kindeskinder. Deutschland alleine ist mit zwei Billionen Euro verschuldet. Und um die Fortführung der Zinszahlungen auch für alle Zukunft zu sichern, werden – mittlerweile mit gewaltiger Beschleunigung – die letzten Reste von Souveränität abgeschafft. Und so wie in der Vergangenheit, werden wir – als Gemeinschaft – es uns auch in der Zukunft gefallen lassen. Denn die meisten unserer Mitbürger halten an ihrem Weltbild fest, sind der Politik zwar überdrüssig, doch gleichzeitig nicht bereit, sich selbst auch nur halbwegs zu informieren.
In Athen wurde die Schuldknechtschaft unter Solon abgeschafft. Im Römischen Reich im Jahr 326 vor Christus. Jetzt wird sie wieder eingeführt – und noch dazu als Erbschuld! Alea jacta est.