Freitag , 26 April 2024
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Es gibt gute Gründe, sich keine Kinder zu wünschen

baby_red_hoodDie Schlagzeilen zum selben Thema teilen sich in zwei Gruppen: Es gibt nicht genügend Kinder in Deutschland und ein guter Teil von denen, die es gibt, sind von Armut bedroht, wodurch sich gleichzeitig erklärt, warum ihre Zahl abnimmt. Es mag ein durchaus nobler Wunsch sein, einem neuen Erdenbürger Leben zu geben. Kinder großzuziehen mag unersetzbare Freuden mit sich bringen. Allerdings handelt es sich auch um eine nicht zu unterschätzende Verantwortung. Und dieser sind sich, so fürchte ich, nur Wenige bewusst. Um Kindern eine Zukunft zu bieten, bedarf es wesentlich mehr als nur der Elternliebe.

Die Süddeutsche nimmt das Thema sogar zum Anlass, im Einleitungssatz auf die Erholung der Wirtschaft zu verweisen. Solche Kommentare lassen sich ja auch locker voneinander abschreiben, sofern es der Autor unterlässt, über die Situation nachzudenken – oder auch nur einen Blick auf die Entwicklung der Börsen zu werfen. Trotzdem seien zwei Millionen Kinder von Armut bedroht. Dann folgt sogar eine Zahl. Wenn die Eltern über ein Nettoeinkommen von weniger als 11.151 Euro pro Jahr verfügen, spricht man von Armutsgefährdung. In solchem Fall würde ich allerdings nicht von einer Gefahr der Armut sprechen. Es ist Armut.

Glücklich der, der in einer Familie aufwächst, deren Nettoeinkommen 11.152 Euro oder mehr beträgt. Für die Statistik gilt dies weder als Armut noch als Armutsgefahr.

Heutzutage wird es als barbarisch und ungerecht betrachtet, dass im Mittelalter eine Eheschließung nur möglich war, wenn auch die Mittel für eine Familiengründung zur Verfügung standen. Zumindest regional blieben derartige Regelungen sogar bis ins frühe 19. Jahrhundert aufrecht.

Wie gerne wird dieses Beispiel als Argument für die Unterdrückung des Volkes während der Feudalherrschaft herangenommen. Armen Leuten einfach das Recht auf ein glückliches Familienleben streitig zu machen. Es lohnt sich jedoch durchaus, über die diesbezüglichen Gründe kurz nachzudenken.

Der jeweils älteste Sohn erbte den Hof, die Bäckerei oder das Wirtshaus. Die Zukunft der Töchter wurde durch Heirat gesichert. Doch was passierte mit dem zweiten Sohn und mit dem Dritten? Meist gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder, sich in den Dienst eines Herrn zu stellen, also unselbständige Erwerbstätigkeit, oder der Eintritt in ein Kloster. Über Jahrhunderte hinweg hat dieses System auch bestens funktioniert und Armut – nicht im Sinne von Geldmangel, denn Geld genoss zu jenen Zeiten einen wesentlich niedrigeren Stellenwert – sondern im Sinne von Misere, hielt sich weitgehend in Grenzen.

Erst durch die Erfindung der Dampfmaschine entstanden plötzlich neue Voraussetzungen. Unter unhaltbaren Versprechungen, wurden Menschen in die Städte gelockt. Fabriken brauchen schließlich Arbeitskräfte. Plötzlich waren besitzlose Nachkommen durchaus willkommen. Was für ein grauenhaftes Schicksal auf diese Menschen wartete, lässt sich am besten durch Charles Dickens’ Beschreibungen Londons des 19. Jahrhunderts verstehen.

Natürlich passt es nicht ins Denkschema der Neuzeit, Positives über das Zeitalter der Feudalherrschaft zu berichten. Das Schreckensbild geknechteter Untertanen eignet sich doch bestens, um auf den Wohlstand und Komfort, den wir heute genießen, zu verweisen. Jeder darf zur Schule gehen, darf einen Beruf seiner Wahl ergreifen und so leben wie es einfach alle tun. Wie erst kürzlich durch eine Studie des Marktforschungs-Institutes GfK in Nürnberg bekannt wurde, bleiben dem Deutschen, nach Bezahlen der Miete, Transportkosten und Telekommunikation, im Durchschnitt noch 5.329 Euro, die er im Einzelhandel ausgeben darf. Pro Jahr, versteht sich. Das wären also 14,60 Euro pro Tag für (und so steht es im Bericht des Instituts):

… Nahrungs- und Genussmittel, Kleidung, Schuhe, übrige Güter für die Haushaltsführung (unter anderem Möbel, Bodenbeläge, Haushaltselektrogeräte, Heimtextilien, Gartenbedarfsartikel, Reinigungsmittel), Körper- und Gesundheitspflege, Bildung und Unterhaltung (zum Beispiel TV, Radio, Bücher, Fotobedarf, Zeitschriften, Spielwaren, Sportartikel) sowie persönliche Ausstattung (Uhren, Schmuck, etc.).

Der Anblick eines Neugeborenen ist ja auch wirklich faszinierend, sein Lächeln verzaubernd. Ihn irgendwann einmal die ersten Worte sprechen zu hören. Einfach mitzuerleben, wie aus dem Baby ein Kind wird, aus dem Kind ein Teenager. Ihn oder sie in der Vorbereitung auf das Berufsleben zu unterstützen. Sein Bestmögliches zu tun, dem eigenen Sohn, der eigenen Tochter, den Weg für eine Karriere zu ebnen. Und mit einer guten Facharbeiterausbildung könnte das Einkommen doch ohne weiteres über dem Durchschnitt liegen. Dann bleiben vielleicht sogar 20 oder gar 25 Euro pro Tag für Essen, Trinken, Seife, Kosmetik, Bücher, Zeitschriften, Unterhaltung, Küchengeräte, Möbel …

Selbstverständlich gibt es genügend Eltern, die sich durchaus bewusst sind, was für eine Verantwortung Nachkommen mit sich bringen. Mit Sicherheit beginnt diese schon mit einem intakten Familienleben. Wie in den verschiedenen Berichten zu lesen ist, ist die Zahl der „armutsgefährdeten“ Kinder unter alleinerziehenden Elternteilen doppelt so hoch. Dann geht es nicht einfach darum, den Sohn oder die Tochter bis zum Abitur zu fördern und plötzlich zu glauben, dass er oder sie alt genug sei, um für sich selbst zu entscheiden. Woher soll ein unerfahrener Mensch, auch wenn er zwanzig Jahre alt ist, verstehen, was auf der Welt vor sich geht? Woher soll er wissen, welche Universität er besuchen sollte, um im Konkurrenzkampf bestehen zu können? Wie sieht es mit Familienvermögen aus? Ist es wirklich mein Ziel, einen Menschen in die Welt zu setzen, der sein Leben lang für Andere arbeitet und Monat für Monat Miete bezahlt, weil ich nicht einmal ein Haus besitze, dass er eines Tages erben wird?

Natürlich weiß ich, dass diese Überlegungen dem Zeitgeist widersprechen. Auch bin ich mir völlig bewusst, dass nicht viele Leser meine Ansichten teilen werden. Das Gesamtbild ist ja wunderbar abgerundet. Schließlich herrscht – angeblich – Chancengleichheit. Und genügend Beispiele soll es geben, die aufzeigen, dass auch Kinder mittelloser Eltern Karriere machen können. Dass die Chancen dafür nicht wirklich gut stehen, fällt scheinbar nicht ins Gewicht. Außerdem, die Gesellschaft braucht Arbeitsbienen oder – um einen wunderbar klingenden Begriff der Neusprache zu verwenden: Humankapital.

Nicht die Lebensqualität des Einzelnen zählt, nicht sein Glücksempfinden und seine Selbstverwirklichung. Die Wirtschaft braucht Arbeitskräfte und Konsumenten. Der Staat braucht Steuerzahler. Das Pensionssystem braucht neue Einzahler. Und dafür brauchen wir Menschen. Auch die Gutsherren der amerikanischen Südstaaten freuten sich über den Nachwuchs ihrer Sklaven, wurde dadurch schließlich die Arbeitskraft für die nächste Generation gesichert.

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