Dienstag , 19 März 2024
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Wie Stereotype und Vorurteile unser Verhalten beeinflussen

menschen_scherenschnittSind Sie auch schon einmal auf Meldungen gestoßen, wonach sich bestimmte Gruppen von Menschen in bestimmten Leistungen unterscheiden? Dass Männer zum Beispiel besser einparken oder bessere mathematische Leistungen erbringen als Frauen? Dass Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft spezifische Intelligenzunterschiede aufweisen? Oder auch, dass Ältere in bestimmten Bereichen schlechtere Leistungen erbringen? Mancher wird vielleicht denken, dass tatsächlich Leistungsunterschiede zwischen unterschiedlichen Gruppen von Menschen existieren.

Unterschiede, die auf evolutionär-biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen, genetische Unterschiede zwischen Ethnien oder aber einen normalen biologischen Alterungsprozess zurückgehen. Andere werden vielleicht meinen, dass sich zwar Unterschiede finden lassen, diese aber auf ein unterschiedliches Ausmaß an Anregung und Unterstützung z.B. in der Familie, in der Schule oder am Arbeitsplatz zurückzuführen sind.

In diesem Beitrag soll aufgezeigt werden, dass sichtbare Unterschiede allerdings nicht auf tatsächliche Differenzen in den persönlichen Leistungsvoraussetzungen zurückgehen müssen, sondern auch subtile psychologische Mechanismen dazu beitragen, dass bestimmte Menschen in bestimmten Situationen unter ihrem tatsächlichen Leistungspotenzial bleiben.

Ursache dafür sind soziale Stereotype und Vorurteile. Stereotype sind mehr oder weniger sozial geteilte gedankliche Konstruktionen, wobei wir mit der Mitgliedschaft einer Person zu einer bestimmten sozialen Gruppe bestimmte Erwartungen an Eigenschaften und Verhaltensweisen verbinden. Daraus können sich im weiteren auch Vorurteile und Diskriminierung von einzelnen Personen aufgrund ihrer Mitgliedschaft zu einer Gruppe ergeben.

Die wichtigsten Stereotype und Vorurteile beziehen sich auf das Geschlecht, das Alter und die ethnische Herkunft. Beispielsweise werden Frauen häufig geringere technische und mathematische Fähigkeiten unterstellt. Ältere gelten für viele als langsamer, weniger leistungsfähig und weniger interessiert an Weiterbildung. In den USA hat man sich lange Zeit vor allem mit Unterschieden zwischen weißen und schwarzen Amerikanern im Bereich der intellektuellen Leistungsfähigkeit beschäftigt.

Diese sozialen Stereotype und damit verbundene Erwartungen an unterschiedliche Leistungen stecken teilweise tief in uns allen drin und beeinflussen sehr wirksam unser eigenes Verhalten aber auch, vermittelt über unsere Erwartungen und Ansprüche, das Verhalten unserer Mitmenschen.

Wenn man Männer und Frauen Intelligenztest-Aufgaben lösen lässt und bei der Instruktion als zusätzliche Information angibt, dass Frauen bzw. Männer bei dieser Aufgabe durchschnittlich bessere Leistungen erzielen, so wirkt sich das auch auf die Leistung bei der Bearbeitung dieser Aufgabe aus. Wobei es insbesondere die Frauen sind, die sich durch diese Manipulation beeinflussen lassen und schlechtere Leistungen zeigen, wenn sie mit negativen Erwartungen konfrontiert werden. (Beitrag dazu)

Dieser Mechanismus wird in der Sozialpsychologie als „Bedrohung durch Stereotype“ (Stereotype Threat) bezeichnet. Damit ist die Sorge gemeint, mit den eigenen Leistungen das Stereotyp zu bestätigen. Dies führt zuerst zu einer Beeinträchtigung des Arbeitsgedächtnisses, da die Betroffenen in erster Linie an das Stereotyp denken und sich damit nicht mehr voll auf die eigentliche Aufgabe konzentrieren können. Dieser Effekt tritt besonders dann auf, wenn es sich um besonders schwierige Aufgaben handelt, wenn es sozial geteilte Erwartungen gibt, dass eine bestimmte Aufgabe z.B. von Frauen oder auch von Menschen mit einer bestimmten ethnischen Herkunft schlechter zu lösen sind und wenn sich die Betroffenen sehr stark als Mitglied einer solchen Gruppe angesprochen fühlen.

Die US-Forscher Claude M. Steele und Joshua Aronson konfrontierten zur Untersuchung dieses Phänomens weiße und schwarze Amerikaner mit einem Hochschulfähigkeitstest. Die eine Hälfte der Probanden erhielt dabei die Information, dass es sich um einen Intelligenztest handeln würde, die andere Hälfte erhielt keine Information zum Inhalt des Tests. Es zeigte sich, dass die Probanden mit schwarzer Hautfarbe deutlich schlechter abschnitten, wenn sie vorher die Information erhielten, an einem Intelligenztest teilzunehmen. Bei ihnen wurde offensichtlich durch die Instruktion die sozial geteilte stereotype Erwartung aktiviert, dass Menschen mit schwarzer Hautfarbe üblicherweise geringere intellektuelle Leistungen erbringen. Ohne diese Information erzielten schwarze Teilnehmer allerdings analoge Leistungen wie die weißen Probanden! Die Ergebnisse dieser Studie wurden bereits 1995 im Journal of Personality and Social Psychology veröffentlicht.

Ein anderer Effekt ist die sich selbst erfüllende Prophezeiung (self-fulfilling prophecy). Hier geht es darum, dass bestimmte Personen mit ausgeprägten Vorurteilen das Verhalten anderer soweit beeinflussen, dass diese sich am Ende entsprechend diesen Vorurteilen verhalten.

Die klassische Untersuchung zu diesem Phänomen stammt von Robert Rosenthal und Leonore Jacobson. Sie untersuchten im Jahr 1965 Schüler in zwei Grundschulen in den USA mit Hilfe von Intelligenztests. Dabei wurde ein wissenschaftlicher Test vorgetäuscht, der in der Lage sein sollte, Kinder zu identifizieren, die kurz vor einem intellektuellen Leistungsschub stehen (sogenannte „Aufblüher“), was durchschnittlich auf 20 Prozent aller Kinder zuträfe. Tatsächlich wurden 20 Prozent der Kinder nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und den Lehrern gegenüber als „Aufblüher“ präsentiert. Nach Ablauf eines Jahres wurde erneut der Intelligenztest durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass 45 Prozent der sogenannten „Aufblüher“ ihren Intelligenzquotienten um 20 oder gar mehr Punkte steigern konnten. Die zufällig ausgesprochene Prophezeiung hatte sich somit bestätigt. Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass die Vorinformationen bestimmte Erwartungen bei den Lehrern aktiviert haben, die sich vermittelt über das Lehrerverhalten letztlich auch auf das Lern- und Leistungsverhalten der Kinder ausgewirkt haben – durch verstärkte persönliche Zuwendung, höhere Leistungsanforderungen und ausgeprägteres Feedback. Die Autoren veröffentlichten ihre Studien u.a. in einem Buch, das 1971 auch auf Deutsch erschien: R. Rosenthal & E. Jacobson: Pygmalion im Unterricht. Weinheim: Verlag Julius Beltz.

Ähnlich dürften sich wohl die Erwartungen von Lehrern bezogen auf Kinder z.B. aus unterschiedlichen sozialen Schichten auswirken, sofern diese Lehrer nicht in der Lage und bereit sind, eventuelle Vorurteile bewusst zu reflektieren.

Stereotype und Vorurteile können auf diesem Wege einen Teufelskreis aktivieren, wenn z.B. Frauen, älteren Mitarbeitern sowie Menschen mit einer bestimmten ethnischen Herkunft und sozialem Hintergrund bestimmte Leistungen nicht zugetraut werden. Die Erwartungen auf Seiten einer Führungsperson (ein Lehrer, ein Vorgesetzter usw.) fördern eine Zuweisung unterschiedlich anspruchsvoller Aufgaben, eine verzerrte Wahrnehmung und Bewertung des Geführtenverhaltens und auch eine unterschiedliche Behandlung bei weniger guten Leistungen (z.B. zusätzliche Förderung bei hohen Leistungserwartungen, Zuweisung leichterer Aufgaben bei niedrigen Erwartungen). Letztlich wirkt sich die unterschiedliche Behandlung auch auf das Selbstbild, das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten und die Sicherheit bei der Ausführung schwieriger Aufgaben aus. In den Augen der Führungsperson bestätigen die stereotypisierten Personen dann mit ihrem Verhalten das Stereotyp. Es kommt darauf an, diesen Teufelskreis aufzubrechen.

Wie viel wir in einer bestimmte Situation zu leisten vermögen, hängt also sehr stark davon ab, welchen Glauben wir selbst in unsere Fähigkeiten haben und welche Erwartungen andere an uns herantragen. Dasselbe gilt natürlich auch für unsere Erwartungen an das Verhalten anderer.

In der weiteren sozialpsychologischen Forschung hat sich übrigens gezeigt, dass die Bedrohung durch Stereotype unter bestimmten Bedingungen erheblich an Einfluss verliert. Dazu gehört, über diesen Effekt informiert zu sein, das verinnerlichte Stereotyp durch eigene Erfahrungen mit Eigen- und Fremdgruppe abzubauen, die eigene Mitgliedschaft in einer stereotypisierten Gruppe quasi zu vergessen, die Wichtigkeit der Aufgabe nicht übermäßig zu betonen, an die Trainierbarkeit der Leistungsfähigkeit in dem relevanten Bereich zu glauben, sich auf Ziele und Erfolge zu konzentrieren (nicht den möglichen Misserfolg vor Augen zu haben) und natürlich auch selbstbestätigende Erfahrungen zu machen.

Beitrag von Falk Richter

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