{"id":2891,"date":"2011-07-03T04:03:51","date_gmt":"2011-07-03T04:03:51","guid":{"rendered":"http:\/\/test.theintelligence.de\/wordpress\/?p=4044"},"modified":"2014-02-28T18:25:54","modified_gmt":"2014-02-28T18:25:54","slug":"falsche-ziele-und-leere-hoffnungen","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.theintelligence.de\/index.php\/gesellschaft\/philosophie-religion\/2891-falsche-ziele-und-leere-hoffnungen.html","title":{"rendered":"Falsche Ziele und leere Hoffnungen"},"content":{"rendered":"

\"ferrari_kalifornien_sonne\"Wie leicht ist der Mensch manipulierbar? Entstehen W\u00fcnsche in unserem Inneren oder durch \u00e4u\u00dfere Einfl\u00fcsse? Lassen sich Situationen objektiv beurteilen, ohne sie selbst erlebt zu haben? Welche Faktoren \u00fcben Einfluss auf unsere Meinung aus? Jeder von uns formt ein bestimmtes Weltbild. Und zwar in jedem Alter. Mit den Jahren ver\u00e4ndert sich diese Anschauung, wird durch neue Informationen erg\u00e4nzt, bringt den Trugschluss mit sich, der Wahrheit n\u00e4her gekommen zu sein. In den meisten F\u00e4llen f\u00fchrt die Bereicherung des Wissens jedoch nur zu besserem Verst\u00e4ndnis bestimmter Teilbereiche. Die Frage nach dem eigentlichen Sinn, dem Warum und den wahren Zielen verblasst hinter einer Fassade von \u00c4u\u00dferlichkeiten. Und nachdem das, was wir vom Leben erwarten, niemals ges\u00e4ttigt scheint, verschwenden wir die Jahre mit Versuchen, diese S\u00e4ttigung herbeizuf\u00fchren, ohne jemals zu wissen, ob diese auch wirklich unsere Hoffnungen erf\u00fcllt.<\/p>\n

Erinnern Sie sich daran, wie Sie im Alter von f\u00fcnfzehn gedacht haben? Nat\u00fcrlich waren Sie jung und naiv. Als Sie zwanzig wurden, verstanden Sie alles besser. Mit f\u00fcnfundzwanzig wussten Sie jedoch, dass Sie auch mit zwanzig noch immer herzlich wenig verstanden hatten. Und als Sie endlich drei\u00dfig wurden? Ungeachtet, wie alt Sie heute sind, glauben Sie nicht, dass Sie Ihre derzeitigen Ansichten in einigen Jahren nicht nochmals neu \u00fcberdenken werden.<\/p>\n

Es ist immer die Summe der gesammelten Informationen, die zur Bildung einer Meinung f\u00fchrt. Es gibt einen feinen Unterschied zwischen den beiden Begriffen \u201eMeinung\u201c und \u201e\u00dcberzeugung\u201c. Leicht l\u00e4sst sich das eine mit dem anderen verwechseln.<\/p>\n

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Beobachte ich einen indischen Bauern, der, schmutzige Kleidung tragend, mit einfachsten Mitteln m\u00fchselig seine Felder bestellt, sowohl bei der Arbeit als auch in seiner bescheidenen H\u00fctte auf jegliche moderne Hilfsmittel verzichtend, so k\u00f6nnte ich der Meinung<\/em> sein, dass er unter diesen Bedingungen leidet. Doch erst ein langes und ehrliches Gespr\u00e4ch mit ihm, kann zur gleichen \u00dcberzeugung<\/em> f\u00fchren. Ob dieser Mann jedoch, w\u00fcrde er in die Gro\u00dfstadt ziehen, in einer Fabrik schaffen und in seiner gemieteten Wohnung vielleicht sogar etwas mehr Komfort vorfinden, mit so einem Leben gl\u00fccklicher w\u00e4re, kann nicht einmal er selbst beurteilen, ohne es erst einmal erfahren, erlebt zu haben.<\/p>\n

N\u00e4here Details tun nichts zur Sache, doch erinnere ich mich an ein deutsches Ehepaar, das Freunde in einer entlegenen Gegend S\u00fcdamerikas besucht hatte. F\u00fcr drei Wochen war der Urlaub \"fishing_boat\"geplant. Nach zwei oder drei Tagen begannen sich die Beiden entsetzlich zu langweilen und bereuten ihren urspr\u00fcnglichen Entschluss, so lange zu bleiben. Als schlie\u00dflich das Ende des Aufenthaltes nahte, hatte sich ihre Einstellung jedoch grundlegend ge\u00e4ndert. Zum ersten Mal in ihrem Leben, waren sie ganze drei Wochen lang von allen Zw\u00e4ngen befreit. Ein Urlaub, ohne der Suche nach Sehensw\u00fcrdigkeiten, ohne dem Hunger nach Konfrontationen, der Jagd nach Fotomotiven. Die Tage verstrichen ohne jeglichen Zeitplan. Blo\u00df im Schatten sitzend, k\u00fchles Bier trinkend, hin und wieder eine Bootsfahrt zum Fischen, die Abende mit netten, entspannten Menschen verbringend, w\u00e4hrend die warme Luft vom Geruch gegrillten Fleisches und gl\u00fchender Holzkohle erf\u00fcllt war. Drei Wochen reinen M\u00fc\u00dfiggangs.<\/p>\n

Kann jemand, der solche Tage niemals erleben durfte, wirklich behaupten, es handle sich dabei um nichts anderes als Zeitverschwendung? Auch bei diesem Ehepaar setzte w\u00e4hrend der ersten Tage Entt\u00e4uschung ein, gepr\u00e4gt von einer v\u00f6llig falschen Vorstellung von Urwaldromantik und Abenteuer. Erst die Erfahrung konnte sie eines Besseren belehren. Und sollten Sie jetzt tats\u00e4chlich denken, dass Sie auf so eine Erfahrung gerne verzichten k\u00f6nnten, dann rate ich Ihnen ernstlich, diese Einstellung neu zu \u00fcberdenken.<\/p>\n

Jeder von uns gibt sich gewissen Vorstellungen hin, was im Leben wichtig, was erstrebenswert ist. Woher stammen diese Ideen? Wir gehen davon aus, dass sie einfach in unserer Pers\u00f6nlichkeit wurzeln. Dass schlie\u00dflich jeder wei\u00df, was er will. Dass er in seiner Umgebung gen\u00fcgend Beispiele vorfindet, die ihm verdeutlichen, in welcher Art er sein eigenes Leben gerne gestalten w\u00fcrde.<\/p>\n

Ich erlaube mir, etwas weiter auszuholen. Sehr selten h\u00f6ren wir von Kritiken gegen\u00fcber Werbung, die sich ausschlie\u00dflich auf Kinder konzentriert. Erst k\u00fcrzlich erlaubte sich Pr\u00e4sident Obama, einen Vorschlag zu \u00e4u\u00dfern, derartige Werbung zu verbieten. Sofort erklangen Proteste, die damit drohten, dass bis zu 20 Millionen Arbeitspl\u00e4tze verloren gehen k\u00f6nnten. Vor rund zehn Jahren tauchte in Italien der Vorschlag auf, Kinder aus Werbespots zu verbannen (wobei es sich letztendlich ja auch um Kinderarbeit handelt). Die Proteste bem\u00fchten sich, den Spie\u00df umzudrehen, stellten die Idee als unmenschlich dar und dr\u00fcckten ihre Emp\u00f6rung dar\u00fcber aus, dass man eine \u201ekinderlose Welt erschaffen wolle\u201c.<\/p>\n

\"child_computer\"Eltern mit eher bescheidenen finanziellen Mitteln kennen die Probleme, wenn Sohn oder Tochter den Hausfrieden erst dann wieder zul\u00e4sst, sobald das in der Fernsehwerbung geschickt und nach besten psychologischen Erkenntnissen angepriesene, \u00fcberteuerte Spielzeug endlich erstanden ist. Und wem es an Geld nicht fehlt, der mag verharmlosend denken: \u201eNa, wenn es ihn gl\u00fccklich macht!\u201c Widmen wir der Ursache des Wunsches auch nur geringe Aufmerksamkeit, so stellen wir jedoch fest, dass dieser nicht im Inneren des Kindes entstanden sein kann, sondern von au\u00dfen gesteuert wurde. Auch die direkte Umwelt provoziert Verlangen in Kindern. Bl\u00e4st der Lieblingsonkel Trompete, wen wundert es, wenn auch der J\u00fcngling gerne eine Trompete h\u00e4tte. Auf die wirklich tiefen Unterschiede zwischen diesen beiden Einfl\u00fcssen brauche ich aber wohl nicht n\u00e4her einzugehen.<\/p>\n

Was den ungeformten, erlebnishungrigen, Erfahrung suchenden Geist des heranwachsenden Kindes betrifft, wird wohl niemand bezweifeln, dass sich dieser sehr leicht manipulieren l\u00e4sst. Die meisten Eltern lernen rasch einige Tricks, die W\u00fcnsche ihres Nachwuchses gelegentlich zu beeinflussen. Aufwendige Studien in der Werbepsychologie f\u00fchren mit Sicherheit zu mehr Verst\u00e4ndnis in der Anwendung.<\/p>\n

Weil wir aber selbst erwachsen sind, lassen wir uns nat\u00fcrlich nicht mehr manipulieren. Nein, gewiss nicht.<\/p>\n

\"bernays\"Als Vater der modernen Marketing-Strategie gilt Edward Bernays, ein Neffe von Sigmund Freud. Beginnend in den 1920er-Jahren in Amerika, w\u00e4hrend Europa unter den tragischen Folgen des Ersten Weltkrieges litt, wurde das Konsumdenken umgeformt. Immer mehr Produkte tauchten auf, die nicht dem reinen Nutzen, sondern der Formung der eigenen Pers\u00f6nlichkeit dienen sollten. Zumindest wurde dies suggeriert. Und was sich zu jenen Zeiten, als Werbung ausschlie\u00dflich durch Plakate, Printmedien und Stummfilme Verbreitung fand, entsprechend langsam manifestierte, unterlag sp\u00e4testens dann einer gewaltigen Beschleunigung, als uns bunte bewegliche Bilder rund um die Uhr ins Haus geliefert wurden.<\/p>\n

Wir h\u00f6ren Geschichten aus der Vergangenheit. Erz\u00e4hlungen \u00fcber Menschen, wie sie vor f\u00fcnfzig oder gar hundert Jahren lebten. Betrachten ihr Dasein als arm und leer. Ohne Computer, ohne Fernseher, ohne Handy, ohne \u201ecoole Klamotten\u201c, ohne L\u00e4rm, endlosen Fahrzeugkolonnen, Stress, was auch immer. Wir k\u00f6nnten uns nicht vorstellen, heutzutage unter den gleichen Bedingungen zu leben. Eine Erfahrung, auf die wir durchaus gerne verzichten. Wie m\u00fcssen diese Menschen doch damals gelitten haben. Goethe, Schiller, Schopenhauer, Beethoven, Wagner. Was f\u00fcr ein armseliges Dasein diese Leute doch alle erleiden mussten.<\/p>\n

Am Rande bemerkt: Haben Sie sich jemals gefragt, was aus den genannten Genies geworden w\u00e4ren, h\u00e4tte sie das Schicksal in der heutigen Zeit wirken lassen? W\u00fcrde sich ein Theater finden, das den \u201eFaust\u201c auff\u00fchrt, w\u00e4re er erst dieser Tage geschrieben worden, oder ein Produzent f\u00fcr die \u201eNeunte\u201c? \u201eOh Freunde, nicht diese T\u00f6ne\u201c, k\u00f6nnte es aus dem Munde des Agenten erklingen. \u201eK\u00f6nnen Sie nicht etwas komponieren, was besser ankommt? Mit so etwas lassen sich doch keine Ums\u00e4tze erzielen! \u201aSeid umschlungen Millionen\u2019, das geht ja noch. Aber dieser Sound, der l\u00e4sst sich doch auf keiner Love-Parade spielen.\u201c<\/p>\n

Im Jahr 2004 drehte der englische Schauspieler und Reisejournalist Michael Palin seine gleichnamige Dokumentation \u00fcber die Himalajas. In sechs Stunden bringt er damit dem Zuseher nicht nur eine atemberaubende Landschaft n\u00e4her, sondern auch die Lebensbedingungen der Menschen in teils extrem entlegenen Regionen.<\/p>\n

An Reiseerfahrung \u2013 und somit dem Kontakt mit Menschen, die fern der westlichen Zivilisation leben \u2013 fehlt es Michael Palin keineswegs. Schon 1989 umrundete er, auf den Spuren von Jules Vernes, in 80 Tagen den Erdball (ohne Flugzeug, nat\u00fcrlich), und 1992 brachte er filmend die Strecke vom Nordpol, quer durch Afrika, bis nach Kapstadt hinter sich. Auf dem einzigen Schiff, das einmal pro Jahr von dort aus in die Antarktis segelt, fand sich leider kein Platz f\u00fcr ihn und sein Team, und somit blieben die versprochenen Bilder vom S\u00fcdpol aus.<\/p>\n

In der Himalaja-Region \u00e4u\u00dferte er zwei markante S\u00e4tze, die beide, unabh\u00e4ngig voneinander, zum Nachdenken anregen k\u00f6nnten. Er zeigte Bilder aus einem \u00e4rmlichen indischen Dorf. In bunter, doch einfacher Kleidung, mit ausgeglichenem L\u00e4cheln auf den Lippen, bewegten sich Menschen vor verfallenen H\u00fctten. Und Michael Palin erkl\u00e4rte, dass Armut hier, im Gegensatz zu England, nicht als pers\u00f6nliches Versagen gewertet wird!<\/p>\n

Bez\u00fcglich Bhutan, einem Staat mit weniger als einer Million Einwohner und einer Fl\u00e4che, die der Schweiz entspricht, f\u00fchrte er folgenden Vergleich an: \u201eDer politischen F\u00fchrung dieses Landes scheint das Gl\u00fccksgef\u00fchl der Bev\u00f6lkerung wichtiger zu sein als das Bruttoinlandsprodukt!\u201c<\/p>\n

\"thimphu_bhutan\"<\/p>\n

Haben wir nicht alle irgendwie gelernt, dass Geld den h\u00f6chsten Stellenwert in unserem Leben einnimmt? Gewiss, auch bei uns hei\u00dft es, dass Armut keine Schande sei. Doch wehe dem, der nicht wei\u00df, wie er seine n\u00e4chste Miete bezahlen soll. Der auch bei bestem Willen keinen Weg findet, ein Einkommen zu erzielen. Wird nicht jedem, dessen erf\u00fcllender Beruf ihn nicht ern\u00e4hren kann, einfach geraten, sich umschulen zu lassen, ohne auch nur einen Gedanken dar\u00fcber zu verschwenden, wie sehr etwa ein Musiker darunter leiden muss, wenn er seine Tage in einer Fabrik oder hinter dem Lenkrad eines Taxis verbringt?<\/p>\n

Jeder hat seine eigenen Vorstellungen, wie er sein Leben verbringen m\u00f6chte. Gleichzeitig projiziert er diese Ideen auch auf seine Mitmenschen. Und weil schlie\u00dflich \u2013 fast \u2013 alle so denken, haben sich auch alle anzupassen. So bringen wir eben unsere Ausbildung hinter uns, ergreifen einen Beruf, verdienen im g\u00fcnstigen Fall genug, um halbwegs dezent zu wohnen, erfreuen uns des Besitzes eines Autos, tr\u00e4umen von Urlaubsreisen, von einer gr\u00f6\u00dferen Wohnung, von einem neuen Auto, von einem besseren Job, von Umsatzsteigerung. Und alles dreht sich um Produktion und um Konsum.<\/p>\n

\u201eWie weit hat es Bhutan mit dieser Politik denn gebracht?\u201c, m\u00f6gen wir als Au\u00dfenstehende, die nie einen Fu\u00df in dieses Land gesetzt haben, dann auch noch fragen. Kaum dass man diesen Namen jemals geh\u00f6rt hat. Gibt es dort \u00fcberhaupt Autos oder Hochh\u00e4user? Warum ist es nicht f\u00fcr den Massentourismus erschlossen, wenn es landschaftlich so sch\u00f6n sein soll? Hat dort wirklich niemand Gesch\u00e4ftssinn? Dass die Menschen, die dort Leben, den Anschluss ans 21. Jahrhundert nicht suchen, ist einfach undenkbar. Wahrscheinlich werden sie von den Machthabern unterdr\u00fcckt, manipuliert, falsch informiert. Vermutlich muss erst einmal der K\u00f6nig gest\u00fcrzt und wahre Demokratie eingef\u00fchrt werden. Und freie Marktwirtschaft. Gibt\u2019s denn dort \u00fcberhaupt Coca-Cola zu trinken?<\/p>\n

Ich f\u00fcrchte, es k\u00f6nnte die Mehrzahl der im Westen lebenden Menschen sein, die derartige Fragen stellen. Weil unser eigenes Denken \u00fcber Jahrzehnte hinweg in eine Schablone gepresst wurde, gehen wir grunds\u00e4tzlich davon aus, dass jeder andere Mensch auf dieser Welt \u00e4hnlich denken muss. Wir wissen n\u00e4mlich nicht, dass dieses unser Denken vorwiegend \u00e4u\u00dferen Einfl\u00fcssen unterliegt. Wir glauben, dass unsere Einstellung von einem freien Willen gepr\u00e4gt ist. Dass Ver\u00e4nderungen im Denken, von Generation zu Generation, durch nat\u00fcrliche Evolution und Fortschritt bestimmt werden. Und wer immer glaubt, anders sein zu m\u00fcssen, ist r\u00fcckst\u00e4ndig. Vielleicht sind wir sogar \u00fcberzeugt, dass sie unsere Hilfe brauchen, wie es der Vorsitzende Mao dem Dalai Lama im Film \u201eKundun\u201c zu erkl\u00e4ren versuchte.<\/p>\n

F\u00fchren wir ein Gespr\u00e4ch und bem\u00fchen uns, einen Mitmenschen zu \u00fcberzeugen, dass sein Denken nicht ausschlie\u00dflich seinem Inneren entspringt, sondern von au\u00dfen her beeinflusst wird, so werden wir mit ziemlicher Sicherheit auf Widerstand sto\u00dfen. W\u00e4ren wir alle Opfer von Manipulation, w\u00e4re dies ein Zeichen von Schw\u00e4che, die kaum jemand einzugestehen bereit ist. Wenn ich diesen Text hier schreibe, geht es mir aber keinesfalls darum, den Leser zu schulmeistern. Ich selbst habe lange Jahre mit derartigen Gedanken verbracht, sie immer wieder neu aufgerollt, neu analysiert, und ich bin dabei zu dem einen \u00fcberaus bedeutenden Schluss gelangt: Wenn der Mensch auch anderen gegen\u00fcber einen symbolischen Schutzwall errichtet, nichts sollte uns davon abhalten, uns selbst gegen\u00fcber ehrlich zu sein. Uns selbst gegen\u00fcber d\u00fcrfen wir Fehler und Schw\u00e4chen eingestehen. Gelange ich, f\u00fcr mich alleine, zu der \u00dcberzeugung, \u00fcber lange Zeit falschen Idealen gefolgt zu sein, so habe ich das Recht, diesen Fehler zu erkennen. Ich habe das Recht, mir eine neue Meinung zu bilden.<\/p>\n

So sehr ich auch in mir selbst forsche, die wahren Wurzeln meiner Einstellung sind kaum oder nur selten zu erkennen. Folge ich einer bestimmten Denkweise, so erscheint mir diese als durchaus normal \u2013 also \u201eder Norm entsprechend\u201c \u2013 wenn ich sie mit der Mehrzahl meiner Mitmenschen teile. Dabei handelt es sich \u00fcbrigens keineswegs um eine Schw\u00e4che, sondern um eine nat\u00fcrliche Bedingung des sozialen Lebens. Dass sich die Einstellung der Gemeinschaft den Umst\u00e4nden anpasst, auch das w\u00fcrde ich als gesunde Reaktion bezeichnen. Treten nun entscheidende Ver\u00e4nderungen im Lebensstil ein, die sich weit \u00fcber meinen Nahbereich hinaus ausdehnen, die sich in Italien und in Frankreich ebenso finden wie in Amerika und in Australien, sollte ich gleichzeitig die M\u00f6glichkeit ins Auge fassen, dass es sich vielleicht um eine bewusste Steuerung handeln k\u00f6nnte.<\/p>\n

Warum bem\u00fchen sich Experten der Werbebranche, Kindern bestimmtes Spielzeug oder Essen n\u00e4her zu bringen? Um die Kinder gl\u00fccklicher zu machen oder um Einnahmen zu erzielen? Warum basiert Werbung f\u00fcr Erwachsene \u00fcberwiegend auf Manipulation, anstatt auf Information? Warum werden nicht die technischen Daten eines Fahrzeuges aufgez\u00e4hlt, sondern es gleitet \u00fcber unbefahrene Bergstra\u00dfen? Warum n\u00e4hern sich die h\u00fcbschesten M\u00e4dchen in den Werbespots M\u00e4nnern, die eine bestimmte Bekleidungsmarke tragen? Sorgen sich die Gestalter dieser Szenen um unser Gl\u00fccksgef\u00fchl oder um den Erfolg der Werbekampagne, also um die steigenden Ums\u00e4tze?<\/p>\n

Und wie sieht es mit Spielfilmen aus? Durchaus auff\u00e4llig erscheint es heutzutage, wenn in einem Film aus den 1960er-Jahren nicht nur der Held, sondern auch Wissenschaftler und \u00c4rzte st\u00e4ndig eine Zigarette in der Hand halten.<\/p>\n

\"avatar\"\u00dcbrigens, James Cameron hat mit \u201eAvatar\u201c ein wahres Meisterwerk erschaffen. Es w\u00e4re zu umfassend, die Details hier anzuf\u00fchren. Doch, im Gegensatz zu fast allen anderen Hollywood-Produktionen, stellte sich dieser Film eindeutig gegen den Zeitgeist. Warum gibt es nicht mehr solcher Filme? Warum wurde dieser gr\u00f6\u00dfte Erfolg aller Zeiten bei der Oscar-Verteilung derart benachteiligt?<\/p>\n

Fragen Sie sich offen und ehrlich, wonach Sie sich im Leben sehnen, in welchen Bereichen ihre Interessen liegen, dann sollten sie sich gleichzeitig auch die Frage stellen, ob an der Erf\u00fcllung dieser W\u00fcnsche irgend jemand profitiert. Nat\u00fcrlich verdient auch der B\u00e4cker Geld, wenn Sie Brot kaufen (gibt\u2019s eigentlich noch B\u00e4cker oder nur mehr Brotfabriken?). Ber\u00fccksichtigen Sie jene Dinge, die \u00fcber unsere Grundbed\u00fcrfnisse hinausreichen. Und dann versuchen Sie sich zu erinnern, was diese Ideen in Ihnen hervorgerufen haben k\u00f6nnte.<\/p>\n

Haben Sie sich jemals danach gesehnt, den Stress des Alltags einfach zur\u00fcck zu lassen? Haben Sie jemals daran gedacht, in einer bescheidenen H\u00fctte zu leben, einfache Kleidung zu tragen und sich \u00fcberwiegend ihren wirklich eigenen Interessen hinzugeben? Ein Buch zu schreiben, Bilder zu malen, zu komponieren, Yoga zu praktizieren oder auf andere Art den Sinn des Lebens zu erforschen? Falls ja, warum haben Sie es nicht getan? Vermutlich, weil Ihnen das Geld dazu fehlte. In unserer modernen Zeit muss der Mensch n\u00e4mlich wohlhabend sein, um ein bescheidenes Leben f\u00fchren zu k\u00f6nnen. Geld wird in Ballungszentren verdient, wo die Basiskosten entsprechend hoch sind, dass sich auch bei bescheidensten Anspr\u00fcchen selten auf einen Vollzeitjob verzichten l\u00e4sst. Lassen Sie sich in der H\u00fctte am Waldrand nieder, k\u00e4men Sie mit der H\u00e4lfte des Geldes oder mit noch weniger aus. Doch wie wollen Sie dieses dort verdienen? Am Waldrand.<\/p>\n

Vergleichen wir unser eigenes Leben mit dem der Menschen in Bhutan oder in entlegenen Regionen Indiens oder S\u00fcdamerikas, so k\u00f6nnten wir glauben, dass man sich dort nach dem gleichen Fortschritt sehnt, den wir genie\u00dfen. Ja, vielleicht, eines Tages, wenn diesen Menschen die Bilder von Hollywoodstars in Luxusvillen per Fernseher ins Haus geliefert werden, so k\u00f6nnte es durchaus sein, dass dies Sehns\u00fcchte in ihnen weckt. Wer w\u00fcrde nicht gerne so wohnen, mit riesigem Swimmingpool und Meerblick? Doch wer will wirklich t\u00e4glich im Stau stecken, dem Boss verlegen erkl\u00e4ren, warum er um zehn Minuten zu sp\u00e4t zur Arbeit kommt, am sp\u00e4ten Nachmittag schnell in den Supermarkt hetzt, um vor den wenigen ge\u00f6ffneten Kassen Schlange zu stehen? Und danach ersch\u00f6pft und frustriert vor dem Fernseher sitzen und sich Bilder der modernen Welt ansehen, die einen Lebensstil zeigen, der mit dem eigenen in keiner Weise vergleichbar ist. Lachende Gesichter in Werbespots, gefeierte Stars in der Sportarena. Und all dies h\u00e4tte sich entwickelt, weil es die Leute so wollen. Und nicht, weil an all diesen kleinen Details, die unser Alltag mit sich bringt, irgend jemand verdient.<\/p>\n

In Bhutan d\u00fcrfen die Menschen noch bescheiden leben. Kein Rationalist weist sie darauf hin, dass ihr buddhistischer Glaube \u00fcberholt sei und nicht den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen entspricht. Und sie d\u00fcrfen auch dann gl\u00fccklich sein, wenn sie nicht zur Steigerung des Bruttoinlandsprodukts beitragen.<\/p>\n

Die Lebensbedingungen in Europa haben ihre eigene Dynamik angenommen. Das Rad der Geschichte kann und soll auch nicht zur\u00fcckgedreht werden. Zwei Dinge w\u00e4ren aber trotzdem w\u00fcnschenswert. Den Massen k\u00f6nnten Ideale n\u00e4her gebracht werden, vielleicht durch mehr Filme wie James Camerons \u201eAvatar\u201c. Es k\u00f6nnte ihnen vermittelt werden, dass jene Menschen, die in anderen Teilen der Welt bescheiden leben, damit durchaus gl\u00fccklich sind, solange sie weder Hunger leiden noch bewusst Unzufriedenheit in ihnen gesch\u00fcrt wird, um sie zu guten Konsumenten umzuerziehen. Und vielleicht w\u00e4re es auch nicht schlecht, in unserem Teil der Welt M\u00f6glichkeiten zu schaffen, ohne Druck und ohne Stress leben zu k\u00f6nnen. Mit weniger Konsum und mit weniger Arbeit. Doch leider, in beiden F\u00e4llen w\u00fcrde sicher das Bruttoinlandsprodukt zu kurz kommen.<\/p>\n

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