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Kolontar, die EU und Kollateralschäden der zivilen Art

kolontar_luftbildAls am 4. Oktober 2010 rund 700.000 Kubikmeter giftiger Rotschlamm zehn Menschen direkt das Leben nahm, den Bewohnern aus zwei Ortschaften buchstäblich die Lebensperspektive wegätzte, zweitausend Hektar Ackerland und Flussläufe direkt verseuchte – die Langzeitfolgen sind noch nicht absehbar – erhielt eine seit langem befürchtete Katastrophe ihren Namen. Kolontar steht für grobe Vernachlässigung von Sorgfaltspflichten, Umgehung von Sicherheitsvorschriften, Pfusch, Vertuschung nicht zuletzt für EU-Sicherheitsstandards, die zu Gunsten der Bergbau-Industrie zu niedrig angesetzt wurden.

Nur der genaue Ort der Katastrophe im Westen Ungarns konnte nicht vorausgesehen werden, denn laut WWF existieren allein in Ungarn weitere Absatzbecken gleicher ungenügender Bauweise, die die Umwelt mit geschätzten 55 Millionen Kubikmeter Rotschlamm bedrohen. Fakt ist, dass diese Giftauffangbecken nichts weiter als einfache, meist unzureichend abgedichtete Erdwälle sind, aus Platzmangel stetig unsachgemäß erhöht, die Stabilisierung der Basis durch Verbreiterungen wurde meist übersehen. Durch Risse und so entstehende Lecks können ständig Schwermetalle wie z.B. Arsen und Quecksilber austreten und die umliegenden Böden kontaminieren. Jeder einzelne Regenfall schwemmt diese Gifte weiter aus, Flussstrecken und Grundwasser werden über Jahre verseucht. Der WWF veranschaulicht die möglichen Folgen eines weiteren Dammbruchs für Mensch und Umwelt am Beispiel der Giftschlammdeponie Almásfüsit in Ungarn.

Bis zu 12 Millionen Tonnen Giftschlamm, die in Becken lagern, die 40 ha Land bedecken, würden die Trinkwasserversorgung für weite Teile Ungarns zumindest stark gefährden. Hinzuzufügen wäre noch, dass dieses Gebiet als erdbebengefährdet gilt. Aber es gibt noch weitere Schauplätze: 20 ha Rotschlamm lagern z.B. im rumänischen Aluminiumwerk Tulcea, zahlreiche Lecks und Luftverschmutzungen führten bereits zu Fisch- und Vogelsterben. Auch in Serbien entlang der Donau sieht es nicht besser aus. Der WWF hat dazu eine Kartenansicht über osteuropäische Altlasten online gestellt.

Wie aber kann es sein, dass unter den Augen der EU, in einem Mitgliedstaat dieser Vereinigung, immer noch solche Zustände herrschen können? Aus Brüsseler Sicht haben die ungarischen Behörden, sowie die betroffene Betreiberfirma MAL, versagt. Mehrere EU-Normen seien nicht in das ungarische Recht übertragen worden, Rotschlamm sei nicht schon von Beginn der Betriebsgenehmigungen an als „gefährlicher Abfall“ klassifiziert worden. „Die Katastrophe hätte durch die Anwendung der für giftigen Abfall gültigen Regulationen und Kontrollen auf den bei der Aluminiumproduktion entstehenden, hochalkalischen Schlamm verhindert werden können“. Die Kommission bezieht sich dabei auf die Bergbau-Richtlinie 2006/21/EC, welche allerdings auch von MAL zur Verteidigung herangezogen wird. So sei diese Art von Rotschlamm eben nicht als Sondermüll im europäischen Abfallkatalog ausgewiesen. Dies bemängelt der WWF schon seit langem. „Auch die EU trägt eine Mitschuld, denn die Sicherheitsstandards für die Abfallentsorgung in der Bergbau-Industrie sind viel zu niedrig. Mit Erfolg hatte sich damals die Industrie hohen Sicherheitsstandards widersetzt“, so Martin Geiger, Leiter des Bereichs Süßwasser beim WWF Deutschland. So wird beispielsweise Rotschlamm laut den EU-Vorgaben trotz seiner stark ätzenden Wirkung und den vielen enthaltenen Giftstoffen nicht als hochgradig gefährlich eingestuft, besagte Richtlinie trotz Kolontar bis heute nicht nachgebessert.

Und während sich Bürokraten noch gegenseitig den Schuldball zuwerfen, übersahen sie den nächsten Skandal. Noch im Februar 2011 leitete das gleiche Unternehmen, das die Katastrophe von Kolontar zu verantworten hat, ungeklärte, giftige Abwässer aus der laufenden Produktion in den Fluss. Erst durch hartnäckige Intervention von Greenpeace wurde die Produktionstechnologie verbessert, mit einem Knowhow, das laut Greenpeace-Chemiker Herwig Schuster bereits vor Jahren hätte um- und eingesetzt werden können.

Überhaupt hätte diese Katastrophe höchstwahrscheinlich verhindert werden können und wir säßen nicht auf einem hausgemachten Pulverfass, hätten sich Behörden, Betreiber und EU-Kommissare an die Empfehlungen der Baia Mare Task Force aus dem Jahre 2000 gehalten. „Die damals beanstandeten Management- und Konstruktionsfehler hätten zu einem Umdenken führen müssen. Als Konsequenz aus Baia Mare hätten alle Absetzbecken in ähnlichen Industrieanlagen überprüft und verbessert werden müssen“, so Dr. Petr Obrdlik, Experte des WWF. Die Task Force, an der auch der WWF beteiligt war, kam in ihrem Abschlussbericht zu dem Fazit, dass der Baia Mare Unfall vor allem durch folgende Punkte ermöglicht wurde:

  • eine nicht ausreichende und ungenügend kontrollierte Damm-Konstruktion
  • das unsachgemäße Management der Absetzanlagen
  • mangelnde behördliche Kontrollen

Dabei kann die EU durchaus schnell reagieren, wenn es ihren Interessen gelegen kommt, bereits Tage nach dem Reaktorunfall in Fukushima wurden die zulässigen Strahlengrenzwerte für Lebensmittelimporte aus Japan nach oben korrigiert. Aber egal, ob es nur Tage oder mindestens elf Jahre dauert, wenn in Brüssel gehandelt wird, kann dies nun mal zu Kollateralschäden der zivilen Art führen, es trifft ja nur Mensch und Natur.

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