Wer will ich sein, Opfer oder Schöpfer? Wenn ich reaktiv reagiere, begebe ich mich in die Opferrolle. Ich lasse dabei alte neuronale Spuren vollautomatisch abspulen. Mein Verhalten, das ich z.B. zu viel esse, wird allein durch meine neuronalen Verbindungen bestimmt. Ich esse nur deswegen so gerne, weil ich irgendwann – eher unbewusst – mich für dieses Verhalten entschieden habe, als ich es damals als trost- und lustvoll bewertet habe. Wenn ich mich jetzt für ein anderes Verhalten entscheide, z. B. das Essen maßvoll zu genießen, verschwinden die alten neuronalen Bahnen nicht, sondern es beginnt nun ein Kraftakt zwischen der alten Gewohnheit und meiner neuen Zielvorstellung. Das ist eine Übung in Bewusstheit. Ich kann schnell rückfällig werden, wenn meine Bewusstheit für das neue Verhalten nachlässt. Bin ich dagegen zielstrebig, so entstehen neue neuronale Verbindungen. Und wer kämpft dabei gegen wen?
Wer ist derjenige, der sich entscheidet, sich neu zu verhalten und seine neuronalen Manifestationen zu verändern, um eine neue Realität zu erschaffen? Ist es das Gehirn, das nach Veränderungen strebt und dabei eine Fehde gegen sich selbst austrägt?
Der Konflikt im Gehirn kann jedenfalls unter Laborbedingungen beobachtet werden.
Dabei kämpft der sog. präfrontale Cortex gegen die selbstregulatorischen Kreisläufe, die automatisch ablaufen (wie z. B alte Konditionierungen oder biologische Bedürfnisse wie Hunger oder Darmtätigkeiten, die vom präfrontalen Cortex eine gewisse Zeit unterdrückt werden können).
Analysiert man jedoch tiefer, stellt man fest, dass es sich um einen Kampf handelt, der zwischen dem Geistigen und den unbewussten Schaltkreisen im Gehirn ausgeführt wird. Denn dieser Kampf findet nur bei Bewusstsein statt. Dabei korreliert der präfrontale Cortex mit den Aktivitäten des bewussten Geistes.
Jeder Prozess der Entscheidungsfindung wird im Bewusstsein durchgeführt. Ja sogar die Wahrnehmung selbst ist ein mentaler Akt, der durch das Bewusstsein laufend gesteuert wird.
Der amerikanische Hirnforscher Wilder Penfield hat durch seine langjährige Arbeit die Kartierung des Körpers im Cortex angefertigt. Dabei hat er festgestellt, dass durch die Stimulierung des Cortex mit Elektroden, nicht nur die ganze Palette der Motorik aktiviert werden kann, sondern auch unbewusste Erinnerungen wachgerufen werden können. Aber er hat keine Stelle im Gehirn gefunden, durch deren Elektrostimulation der Patient veranlasst würde, an etwas zu glauben oder bewusste Entscheidungen zu treffen. Darum zog Penfield die Schlussfolgerung, dass es eine zweite fundamentale Form der Energie geben muss, die diese Aktionen ausführt, welche nicht im Gehirn angesiedelt ist.
Dieser anderen Form der Energie bzw. dem Geist schreibt Penfield folgende Aufgaben zu: Aufmerksamkeit fokussieren, Überwachung der bewussten Aktivitäten, Begründen und Entscheidungen treffen sowie das Verstehen. Außerdem wirkt der Geist mit scheinbar eigener Energie. Er kann Entscheidungen treffen und ausführen, indem er verschiedene Gehirnmechanismen abruft. Er führt sie aus, indem er Neuromechanismen aktiviert. Dies erfolgt durch die Spontanaktivitäten zahlreicher Neuronenverbände im Gehirn, die eine steuernde Rolle des Bewusstseins unterstreichen.
Wir müssen uns zunächst in Erinnerung rufen, dass wir in einer Welt der Ursache und Wirkung leben.
Zu jeder Wirkung wird nach einer Ursache gesucht. Bei jeder Entgleisung der Nervenaktivitäten in Form von Nervenzusammenbruch, Schlaganfall oder Alzheimer wird nach der Ursache für das plötzliche Auftreten gesucht. Das Einsetzen von Aktivitäten ohne Ursache ist restlos auszuschließen.
Diese kausale Ordnung gilt selbstverständlich auch bei einzelnen Neuronen: Ein Neuron feuert erst dann Aktionspotentiale, wenn es durch die sensorischen Reize oder durch ein vorgeschaltetes Neuron angeregt wird. Man nennt dies ereigniskorreliertes Potential (EKP). Aber besonders Neuronen im assoziativen Cortex können Aktionspotentiale auch spontan (aus eigener Initiative und ohne einen erkennbaren Grund) feuern. Man nennt dies Spontanaktivitäten. Diese Erscheinung wurde ausführlich mithilfe von verschiedenen Methoden studiert, bis hin zur Aufnahme der Aktivitäten einzelner Neuronen.
Lassen Sie uns nun wichtige Areale, die mit der Entstehung und Steuerung des Bewusstseins zusammenhängen, genauer betrachten. Zu diesen wichtigen Arealen gehört der Thalamus und die sog. Formatio retikularis. Der Thalamus ist das Tor zum Bewusstsein. Die Formatio retikularis ist ein wichtiges Areal direkt unterhalb des Thalamus. Diese Struktur verläuft in zwei Richtungen:
Einige Fasern steigen zum assoziativen Cortex, wodurch unsere Wahrnehmung und auch der Entscheidungsfindungsprozess gesteuert werden. Diesen Teil bezeichnet man als das aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem.
Andere Fasern verlaufen in die entgegengesetzte Richtung. Sie erstrecken sich nach unten bis zum Eigenapparat des Rückenmarks, sodass nicht nur unsere Motorik, sondern auch Reflexe beeinflusst werden können. Dieser Teil wird als das absteigende retikuläre Aktivierungssystem bezeichnet.
Das Wichtigste dabei ist, dass „es innerhalb der Formatio retikularis und des Thalamus spontan feuernde Neuronen gibt“ (Damasio 2000, S. 301). Diese Spontanaktivitäten stellen den Kern des retikulären Aktivierungssystems dar. Wenn es kein Bewusstsein gibt, feuern diese Neuronen nicht mehr und das ganze System kommt zum Erliegen.
Das – für ein kausales Weltbild – Merkwürdige an diesen Spontanaktivitäten ist, dass sie bei normalen Menschen permanent stattfinden. Diese Aktivitäten sind sehr harmonisch und rhythmisch. Viele Experimente haben gezeigt, dass diese andauernde Spontanaktivität im Cortex eine kritische Rolle bei der Aufmerksamkeit spielt. Sie muss auch für die Verarbeitung der sensorischen Wahrnehmung von wesentlicher Bedeutung sein. Sie moduliert die durch die sensorischen Reize ausgelösten Aktivitäten und beeinflusst entsprechend das Verhalten. Ebenso sind Spontanaktivitäten auch bei mentalen Prozessen zu beobachten, wie die neueste Studie der Harvard-Universität feststellt.
Wie bereits erwähnt, tritt diese Art von Spontanaktivitäten nur bei Menschen und Lebewesen auf, die bei Bewusstsein sind (auch im Schlaf ist Bewusstsein latent vorhanden). Wenn wir Bewusstsein jedoch verlieren, wie z.B. unter Vollnarkose, im Koma oder Wachkoma, dann verschwinden diese Spontanaktivitäten.
Die Korrelation zwischen den Spontanaktivitäten und dem Bewusstsein ist dabei überdeutlich. Das gestaltende Prinzip des Geistes ist offensichtlich, aber er selbst lässt sich als Ursache in unserer materiellen Welt nicht lokalisieren. Darum werden diese Wirkungen einfach dem Gehirn zugeschrieben. Man sagt z. B., dass die spontanen kortikalen Aktivitäten „im“ Gehirn „vom“ Gehirn „verursacht“ werden. Man konnte jedoch nie zeigen, wie und wo diese spontanen Aktivitäten vom Gehirn gesteuert werden. Wären dies der Fall, bräuchte man sie nicht als Spontanaktivitäten bezeichnen. Diese Erscheinung widerspricht dem Prinzip der Ursache und Wirkung. Das Merkwürdige daran ist, dass es sich hierbei nicht um irgendeinen unbedeutenden Ausdruck der Nervenregungen handelt, sondern um fortlaufende Aktivitäten, die unsere bewusste Wahrnehmung und Handlung permanent modifizieren.
Es ist bedauerlich, dass der materialistische Ansatz so tief in unseren Köpfen verankert ist, dass wir es nicht wagen, ihn zu hinterfragen, obwohl viele Ergebnisse der Hirnforschung durch den materialistischen Ansatz ein ganz merkwürdiges Weltbild ergeben.
Ich plädiere für eine offene Diskussion über die hier vorgestellten Tatsachen. Dies ist äußerst wichtig, wenn wir unsere wahre Größe erkennen wollen. Und erst eine veränderte Sichtweise kann uns ermöglichen, vom Opfer zum Schöpfer aufzusteigen. Das ist sicherlich ein schwerer, aber trotzdem notwendiger Prozess. Vielleicht erinnern Sie sich daran bei Ihrer nächsten Entscheidung!
Weitere Informationen zum Thema: „Was ist Bewusstsein? – Die verborgene Sicht unserer Realität“ von Adnan Sattar.