Ein entsprechendes Urteil wurde nun in Italien vom sogenannten Kassationsgericht bestätigt. Obwohl von der Industrie finanzierte Gutachten mehrfach das Gegenteil behaupten, ließen sich die italienischen Richter von Ärzten und unabhängigen Experten überzeugen. Einem mittlerweile 60-jährigen Geschäftsmann wird eine Invalidenrente zugestanden. Obwohl dieses Urteil eindeutig als Warnung zu verstehen ist, findet die Nachricht kaum Verbreitung.
Beim vorliegenden Fall handelt es sich um eine durchaus extreme Nutzung eines Mobiltelefons. Nach Angaben verwendete Innocente Marcolini sein Handy täglich fünf bis sechs Stunden für Gespräche mit Kunden rund um die Welt. Zwar konnte der gutartige Tumor operativ entfernt werden, doch leidet der pensionierte Manager unter schweren Behinderungen, u. a. auch unter teilweiser Gesichtslähmung.
Um allgemein anerkannte Expertengutachten zu erstellen, bedarf es langfristiger und kostenaufwendiger Studien. Wer stellt die Mittel für derartige Forschungen zu Verfügung? In beinahe allen Fällen natürlich der betroffene Industriezweig, dem allerdings in erster Linie daran gelegen ist, die Harmlosigkeit des einträglichen Produktes zu bestätigen. Um auf ein lange zurückliegendes Extrembeispiel zurückzugreifen: Wie viele Gutachten wurden noch vor gar nicht so lange Zeit präsentiert, die vorgaben, dass Zigarettenkonsum zu keinerlei Schädigung der Gesundheit führt? Die persönliche Erfahrung von Rauchern besagte allerdings immer schon das Gegenteil. Zwar ließ sich angeblich über viele Jahre hinweg kein Zusammenhang mit erhöhtem Lungenkrebs- oder Herzinfarktrisiko nachweisen, doch jeder Raucher wusste und weiß selbst, wie er sich fühlt, insbesondere wenn er es übertreibt.
Bei intensiver Verwendung von Mobiltelefonen stellen sich meist keinerlei Beschwerden ein. Bedenken wir jedoch die Intensität der Mikrowellen, die von einem Gerät, das wir ans Ohr halten, ausgesandt wird, so sollte eigentlich der gesunde Menschenverstand zu entsprechender Vorsicht raten.
Den italienischen Richtern galten die vorgelegten Gutachten von Ärzten und unabhängigen Experten als ausreichende Rechtfertigung, um einen Zusammenhang zwischen der Nutzung von Mobiltelefonen und dem Entstehen eines Gehirntumors durch ihr Urteil zu bestätigen. Was liegt nun näher? Die Richter mangelnder Objektivität zu beschuldigen oder eine mögliche Gefahr, die von extremer Handynutzung ausgeht, zu bedenken?
Allerdings, um sich diesbezüglich eine Meinung zu bilden, ist es Voraussetzung, von diesem Urteil in Kenntnis gesetzt zu sein. Nachdem mittlerweile fast jeder Mensch in unseren Landen ein Handy verwendet, viele sogar ihr Festnetz abmelden, sollte von den Medien erwartet werden, dass sie die Öffentlichkeit über dieses Gerichtsurteil informieren. Können wir nicht davon ausgehen, dass Eltern diesbezüglich gerne bescheid wüssten, wenn sie mit ansehen, wie ihre Kinder bedenkenlos große Zeitspannen mit dem Handy am Ohr verbringen?
Am 19. Oktober, nur an diesem einen Tag, berichteten einige Quellen darüber. RP-Online, RTL-Online, der Berliner Kurier, die Augsburger Allgemeine oder auf Englisch The Telegraph. Viele waren es nicht. Der Tagesspiegel folgte seiner Aufklärungspflicht mit nicht mehr als vier (!!!) Sätzen. Einer davon lautet: „Die Wissenschaft ist empört!“ Denn, so wird im letzten Satz erklärt, „aus ihrer Sicht sei ein Zusammenhang zwischen Handys und Krebs nicht bewiesen“. Und schließlich wartet der Bürger, der sich auf die Information durch die Medien ja voll verlässt, erst einmal auf einen stichhaltigen wissenschaftlichen Beweis für die Gefährlichkeit, bevor er seinen Kindern rät, nicht gar zu lang mit dem Handy zu telefonieren.
Könnte es sein, dass die Anbieter von Mobiltelefonen und -Netzen zu den guten Werbekunden zählen, die man sich erhalten will? Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, ist diese Strategie natürlich vollends berechtigt. Doch die Leser sollten sich dessen bewusst sein. Haben Sie etwa von diesem Urteil gehört, bevor Sie den vorliegenden Artikel gelesen haben?