Mittwoch , 17 April 2024
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Chronische Schmerzen – welche Hilfe bietet Psychotherapie?

kopfschmerz_karikaturEtwa 8 bis 10 Millionen Menschen in Deutschland leiden unter chronischen Schmerzen, z.B. Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Herzschmerzen oder auch Schmerzen infolge von Tumoren. Häufig werden die Betroffenen nur unzureichend behandelt. Chronische Schmerzen sind daher auch eine der Hauptursachen für Erwerbs- und Arbeitsunfähigkeit. In diesem Beitrag soll beleuchtet werden, wie es zu einer Chronifizierung von Schmerzen kommt und welche Rolle psychotherapeutische Maßnahmen bei der Behandlung spielen können.

Zunächst sei allerdings auf Unterschiede zwischen akutem und chronischem Schmerz eingegangen.

Akuter Schmerz hat eine konkrete körperliche Ursache und lebenserhaltende Funktion. Wenn wir auf eine heiße Herdplatte fassen, so bewirkt der daraus resultierende Schmerz, dass wir unsere Hand schnell zurückziehen. Anderenfalls hätte die Hitze eine körperliche Schädigung zur Folge. Akuter Schmerz fördert auch die Wundheilung, indem wir im allgemeinen dazu neigen, ein verletztes und schmerzendes Körperteil ruhig zu lagern.

Chronische Schmerzen dauern dagegen über einen längeren Zeitraum an (z.B. Rückenschmerzen oder Tumorschmerz) oder kehren in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen wieder (z.B. Migräne). Bei chronischem Schmerz ist die oben genannte Signal- und Schutzfunktion nicht mehr gegeben, da unterschiedliche Faktoren gemeinsam zu seiner Aufrechterhaltung beitragen. Medizinisch lässt sich meist kein Zusammenhang mehr zwischen dem Ausmaß der Organschädigung und der Schmerzintensität feststellen. Der Schmerz hat sich gewissermaßen zu einer eigenständigen Störung entwickelt, die separat behandelt werden muss.

Von einer eigenständigen Schmerzerkrankung spricht man, wenn die Schmerzen mindestens sechs Monate andauern. Chronische Schmerzen führen zu einer erheblichen Beeinträchtigung nicht nur im Hinblick auf das körperliche Wohlbefinden, sondern haben häufig auch depressive Verstimmung, Reizbarkeit, allgemeine Interessenlosigkeit und sozialen Rückzug zur Folge. Die übergroße Mehrheit der Betroffenen leidet unter Bewegungseinschränkungen, Schlafstörungen und kann nicht mehr außer Haus arbeiten.

Wie kommt es nun zu einer solchen Chronifizierung und den psychosozialen Folgen?

Wichtig ist, dass Schmerzerleben nicht nur aus körperlichen Ursachen resultiert. Man spricht daher auch von einem biopsychosozialen Modell der Schmerzentstehung.

Normalerweise denkt man an eine enge Kopplung zwischen Schmerzwahrnehmung und Schmerzleiden. Allerdings hängt das subjektive Leiden sehr viel stärker von der Angst vor dem Schmerz und der Befürchtung ab, diesen Schmerz nicht aushalten zu können. Umgekehrt reduziert sich das Darunterleiden, wenn die Aufmerksamkeit abgelenkt ist und man daran glaubt, dass der Schmerz bald nachlassen wird.

Lang andauernde Schmerzen bewirken meist, dass die Aufmerksamkeit von der Umgebung weg nur noch auf den eigenen Körper gerichtet ist. Was das Schmerzerleben noch verstärkt.

Des weiteren entwickelt sich ein sogenanntes „Schmerzgedächtnis“ bzw. es kommt zu einer Herabsetzung der Schmerzschwelle. Wiederkehrende starke Schmerzen führen dabei zu einer erhöhten Empfindlichkeit, so dass in der Folge auch schwächere Reize zu quälenden Schmerzen führen, z.B. Kopfschmerzen infolge von Wetterumschwüngen oder familiären Konflikten. Diese Schmerzen dürfen nicht als eingebildet abgetan werden, da auch bildgebende Verfahren auf ein Schmerzerleben im Gehirn verweisen!

Körperliches Unwohlsein hat zur Folge, dass man sich aus sozialen Situationen zurückzieht, weil man das Zusammensein mit anderen auch nicht mehr genießen kann. Dies verstärkt allerdings die depressive Stimmungslage, weil damit auch Freude und Ablenkung verloren gehen, die man sonst in sozialen Situationen erfahren würde.

Die Verarbeitung von Schmerzreizen im Gehirn bewirkt die Ausschüttung von Cortisol, welches sich u.a. in körpereigene Opiate (Endorphine, „Glückshormone“) umwandelt und dadurch eine Schmerzhemmung zur Folge hat. Eine solche Endorphinausschüttung resultiert auch aus angenehmen Ereignissen und Erlebnissen und sportlicher Betätigung. Der Serotoninhaushalt wird ebenfalls durch angenehme Erlebnisse und Aktivitäten positiv beeinflusst. Umgekehrt führt ein Mangel an positiven Erlebnissen zu einem Serotoninmangel, der wiederum charakteristisch für Depressionen ist. Depressive wiederum leiden häufig unter Schmerzen, für die sich keine adäquate Ursache finden lässt.

Eine Schonhaltung und die damit verbundene reduzierte körperliche Aktivität und fehlende Beanspruchung können zu Muskelschwund führen, wodurch die Muskulatur bei Belastung vorschnell mit Schmerzen reagiert.

Die Kontaktaufnahme zum Arzt und die daraus folgende medizinische Behandlung solcher chronischer Schmerzen kann die Problematik dabei noch verstärken. Betroffene haben meist ein relativ einfaches Verständnis der Ursachen des Schmerzes. Sie sehen den Schmerz als lokales Geschehen und Hinweis auf einen körperlichen Defekt. Vom Arzt erwarten sie eine gründliche medizinische Diagnostik und schnelle medizinische Behandlung. Hinweisen auf psychische Einflussfaktoren stehen sie skeptisch bis ablehnend gegenüber. Auch der Arzt hat das Bedürfnis, den Patienten schnell und umfassend zu behandeln. Ausbleibender Behandlungserfolg führt allerdings irgendwann auch zu Frustration. Betroffene werden dann verstärkt zu Fachkollegen überwiesen oder erhalten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen über längere Zeiträume, was wiederum den Wiedereinstieg in den normalen Arbeitsalltag erschwert. Günstigenfalls erhält der Betroffene Placebo-Medikamente, die eine gewisse Beruhigung bewirken können.

Betroffene greifen allerdings teilweise auch selbst und unkontrolliert auf verfügbare Medikamente zurück. Mitunter ist infolgedessen sogar ein Schmerzmittelentzug notwendig.

Mit zunehmender Dauer der Erkrankung verfangen sich die Betroffenen immer mehr in einem Teufelskreis. Die Gedanken sind dauerhaft auf das scheinbar nicht lösbare Schmerzproblem gerichtet. Die Beobachtung der Symptome verstärkt das Schmerzempfinden. Erfolglose Behandlungsversuche führen zu Gefühlen der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins. Die Betroffenen ziehen sich zurück und es resultieren berufliche und familiäre Probleme. Die Entwicklung kann bis hin zur Ausprägung eines Vollbildes einer Depression führen.

Welche Maßnahmen können im Falle eines solchen chronischen Schmerzsyndroms ergriffen werden? Welche Chancen bietet dabei die Psychotherapie?

Zunächst muss festgestellt werden, dass als Ziel einer Therapie nicht die völlige Schmerzfreiheit, sondern eine merkliche Reduzierung des Schmerzerlebens und ein besserer Umgang mit dem Schmerz anzusehen ist. Es geht dabei nicht um eine kurzfristige Schmerzreduktion, sondern um den langfristigen Aufbau von Kompetenz im Umgang mit den Schmerzen und deren Folgen.

Es ist wichtig, den Betroffenen beizubringen, dass sie dem Schmerz nicht hilflos ausgeliefert sind. Die depressiv gestimmte und katastrophisierende gedankliche Verarbeitung der Schmerzen muss gestoppt werden. Die Vermittlung positiven Denkens und ein Aufbau angenehmer und ablenkender Aktivitäten bewirken dabei eine allmähliche Steigerung der Lebensqualität.

Konkrete Maßnahmen und Techniken sind dabei Progressive Muskelrelaxation, Autogenes Training, Imagination, Hypnose und Biofeedback.

Progressive Muskelrelaxation ist eine einfach zu erlernende Entspannungsmethode, die auf dem Wechsel von Anspannung und Entspannung von Muskelgruppen beruht. Die Muskeln z.B. der Hand werden dabei für etwa fünf Sekunden angespannt und nachfolgend für 20 bis 30 Sekunden entspannt. Während der Entspannung soll der Übende auf seine Empfindungen achten.

Autogenes Training beruht auf suggestiven Selbstanweisungen. Dabei suggeriert man sich Empfinden von Wärme, Schwere und Ruhe in einzelnen Körperteilen.

Bei der Imagination arbeitet man mit bildhaften Vorstellungen. Durch Bilder (Naturbilder, schöne Landschaften) soll die Aufmerksamkeit vom Schmerz weg auf positive Dinge gerichtet und dadurch Entspannung bewirkt werden.

Hypnose bewirkt eine vorübergehende veränderte Aufmerksamkeit und tiefe Entspannung. Dabei ist eine unmittelbare Ansprache des vegetativen Nervensystems möglich. Ebenfalls möglich aber schwieriger ist die Vermittlung von Techniken zur Selbsthypnose.

Beim Biofeedback erhält der Betroffene über medizinische Messgeräte eine Rückmeldung zu physiologischen Parametern wie Muskelspannung, Herzfrequenz und Puls. Der Betroffene lernt dabei, durch Anspannung und Entspannung der Muskulatur und förderliche Gedanken die physiologischen Parameter zu beeinflussen und darüber vermittelt auch das Schmerzerleben zu reduzieren.

Die verschiedenen Maßnahmen können auch kombiniert werden.

Wichtig ist das Erlernen einer bewussten Kontrolle durch die Betroffenen. Entspannungstechniken und weitere Schmerzbewältigungsstrategien sollen von den Betroffenen gezielt eingesetzt werden können. Des weiteren ist eine bewusste Reduzierung dysfunktionalen (schmerzförderlichen) Verhaltens (Schonverhalten, sozialer Rückzug, körperliche Überforderung, Durchhaltestrategien) wichtig.

Studien zeigen, dass die genannten psychologischen Maßnahmen jeweils eine bedeutsame Verringerung des Schmerzerlebens und der schmerzbedingten psychosozialen Beeinträchtigung bewirken. Auch in Kombination mit anderen Therapien (z.B. medikamentöse Behandlung oder Physiotherapie) zeigt sich ein bedeutsamer zusätzlicher Effekt.

Psychologische Schmerztherapie führt wie erwähnt nicht zum Verschwinden der Schmerzen, aber zu einer bedeutsamen Verbesserung für die Betroffenen im Wohlbefinden und in der Bewältigung des Alltags.

Leider ist die Versorgungslage hinsichtlich zertifizierter psychologischer Schmerztherapeuten eher schlecht. Die Deutsche Gesellschaft für psychologische Schmerztherapie und -forschung (DGPSF) verweist auf einer aktuellen Liste auf derzeit etwas mehr als 200 spezielle Schmerzpsychotherapeuten in ganz Deutschland.

Die von diesen Therapeuten erbrachten Leistungen sind übrigens von den gesetzlichen Krankenkassen zugelassen und werden von diesen erstattet.

Neben den hier beschriebenen psychologischen Methoden finden zur Behandlung von Schmerzen vor allem Pharmakotherapie (Analgetika), Verfahren zur Anästhesie (lokale Narkose), physiotherapeutisch-physikalische Maßnahmen (Massage, Wärmetherapie, Elektrotherapie) sowie Akupunktur und Akupressur Anwendung, auf die in diesem Rahmen allerdings nicht weiter eingegangen werden soll.

 

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