Neben verschiedenen anderen Zielen war die Umwandlung von Metallen in Gold und Silber eines der Aufgabengebiete, denen sich die Alchemisten gewidmet haben. Die Ergebnisse ihrer Arbeit waren weitgehend Zufallsprodukte wie das Porzellan und das Schießpulver. Diese Nebenprodukte bestätigten bei Auftraggebern und den Alchimisten selbst die Ansicht, auf dem richtigen Wege zu sein. Die Ergebnisse schienen ihnen Recht zu geben und ließen die Hoffnung überleben, das gewünschte Ergebnis erreichen zu können. Aber gemessen an dem Ziel, das sie sich gesetzt hatten, der Umwandlung unedler Metalle in edle, waren sie erfolglos.
Erst die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften über den Aufbau der Stoffe und die Gesetzmäßigkeiten, nach denen sie Verbindungen untereinander eingehen, ließ die Aussichtslosigkeit der alchemistischen Versuche und Bemühungen offenbar werden. Sie hatten aufgrund ihrer Unkenntnis der Grundlagen Unmögliches versucht. Sie handelten nach dem Prinzip des „Try and Error“. Versuchen und mal sehen, was dabei herauskommt.
Die Fehler ihrer Theorien und Annahmen stellten sich immer erst nach jedem fehlgeschlagenen Versuch heraus. Sie konnten diese Fehler nicht vorwegnehmen und damit vermeiden, weil ihnen die Kenntnisse über die Zusammenhänge und die inneren Kräfte dieser Materie fehlten, mit der sie sich beschäftigten.
Im Gegensatz zu mancher wirtschaftswissenschaftlichen Theorie aber konnte die Alchemie bei jedem fehlgeschlagenen Versuch ihre Theorie an der Wirklichkeit überprüfen. Kam kein Gold bei ihrer Arbeit heraus, ließ sich der Misserfolg nicht wegdiskutieren. Das war Vorteil und Nachteil zugleich. Nachteilig war, dass der Misserfolg offensichtlich war. Vorteilhaft war die Erkenntnis, dass der eingeschlagene Weg eine Sackgasse war und anders vorgegangen werden müsse.
Anders sieht es aus bei manchen Theorien der Wirtschaftswissenschaft. Seit Jahrzehnten hält sich die oberflächliche Sichtweise, dass Inflationen die Ursache von anschwellenden Geldmengen sei. Dies erschien so, weil sie eine Begleiterscheinung der Inflationsphasen des 20. Jahrhunderts war. Aber das Wachstum der Geldmengen war nicht die Ursache der Inflation. Nun wird schon seit Jahren eine Inflation an die Wand gemalt, die aber schon genauso lange auf sich warten lässt, wie sie angekündigt wird.
Es geht bei dem Begriff der Inflation nicht um die heutigen Preissteigerungen im einstelligen Prozentbereich. Um zu verdeutlichen, was Inflation in den 1920er Jahren bedeutete, sei als Beispiel die Tageszeitung erwähnt, die am 1.1.1922 noch 0,40 Mark kostete, am 22.11.1923, also knapp zwei Jahre später 100.000.000.000 Mark, in Worten einhundert Milliarden (Quelle: Fritz Blaich: der schwarze Freitag). Da liegen Welten zwischen dem, was damals Inflation war, und dem, womit uns Wirtschaftswissenschaftler heute als Inflationsgespenst einen Schrecken einjagen wollen.
Euro und Dollar schwanken heute im Extrem im geringen zweistelligen Bereich zueinander, wobei manchmal der Dollar, manchmal der Euro im Vorteil ist. Im Mai1923 kostete der Dollar an der Berliner Börse im Monatsdurchschnitt 47.670 Mark, aber am 20.11. desselben Jahres bereits 4.200.000.000.000 Mark (Quelle: ebenda).
Die heutigen Verhältnisse mit denen vor 90 Jahren vonseiten der Wissenschaft mit demselben Begriff der Inflation zu belegen, bedeutet entweder die Verharmlosung der damaligen oder das Aufbauschen der heutigen Situation. Auf jeden Fall aber belegt eine solche begriffliche Gleichsetzung zumindest einen mangelhaften Blick für die Verhältnismäßigkeit. Angesichts der Geschwindigkeit des Lichtes würde man die Fortbewegung einer Schnecke doch auch nicht mit Schnelligkeit bezeichnen.
Viel eher jedoch wird in der begrifflichen Gleichsetzung dieser Vorgänge die Unfähigkeit der Wirtschaftswissenschaft deutlich, die wirtschaftlichen Vorgänge hinter dem Begriff der Inflation über die äußeren Erscheinungsformen hinaus erklären zu können.
Es ist richtig, dass Inflation mit Geldmengenwachstum verbunden ist. Aber dieses Wachstum war nicht die Ursache der Inflation, sondern eine Folge der Geldentwertung. Diese drückte sich in der Zeit nach den beiden Weltkriegen in Deutschland, aber auch in den anderen europäischen Staaten aus durch einen massiven Verfall der Währungen gegenüber dem Dollar beziehungsweise gegenüber dem Gold.
Damit verbunden war der rasante Anstieg der Warenpreise. Aber Preissteigerungen sind nicht möglich ohne Wachstum der Geldmengen, in denen sich die Preissteigerungen ausdrücken. Wenn die Preise in einem solchen Ausmaße steigen, kann das nicht ohne Auswirkungen bleiben auf die Geldmenge.
Ähnlich rasante Preissteigerungen oder massive Kursverluste des Euro gegenüber Gold oder Dollar treten in der heutigen Situation aber nicht auf. Das Wachstum der Geldmenge heute hat andere Ursachen als in der Inflation nach dem ersten Weltkrieg und dem Zweiten Weltkrieg bis zur Währungsreform von 1948. Diese sollen in einem späteren Beitrag erläutert werden.
Das schon fast dogmatische Festhalten der Wirtschaftswissenschaft an der Geldmengentheorie zeigt, dass die Triebkräfte und inneren Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus nicht verstanden werden. Deshalb können Erscheinungen wie die Inflation der Nachkriegsjahre, aber auch die heutige eines Geldmengenwachstums ohne vergleichbare inflationäre Erscheinungen nicht in einer Form erklärt werden, die diese Vorgänge nachvollziehbar machen.
Stellvertretend hierfür stehen einige Kommentare von Lesern zu meinem letzten Beitrag über dieses Thema: Kommentar 1 – Kommentar 2,
Bezeichnend ist darin die Fülle von Theorien, Fakten und Fachbegriffen. Es gelingt aber nicht, aus all diesen Einzelheiten ein Bild zu erstellen, das die Vorgänge transparent macht, die zu Inflation und Währungsverfall führten oder aber auch zu den Erscheinungen der heutigen Zeit.
Die Fülle, mit die Autoren den Leser überschütten, erinnert an eine Menge von bunten Mosaiksteinen, die nebeneinander gelegt werden, aber kein Bild ergeben. Das umfangreiche Wissen führt nicht zu Erkenntnis, eher zu einer Vergrößerung der Verwirrung auf allen Seiten. Die Vorgänge werden nicht verständlicher. Diese Erscheinungen der kapitalistischen Wirtschaft wie Inflation und Geldmengenwachstum ohne Inflation sind mit den geltenden Theorien nicht zu fassen.
Hier zeichnet sich die Parallele zur Alchemie, der auch der Einblick in die grundlegenden Kenntnisse ihres Themas fehlte, um die Vorgänge erklären zu können, mit denen sie sich beschäftigte. Fehlte den Alchimisten die Einsicht in die Zusammensetzung der Bausteine der Materie und die Gesetze, nach denen sie untereinander sich verbinden, so fehlt der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft die Einsicht in die Triebkräfte und Bewegungsgesetze der kapitalistischen Wirtschaft. Sie hält das Scheinbare für das Wesen wie die Ausweitung der Geldmenge im Falle der Inflation.
Jedoch im Gegensatz zur Wirtschaftswissenschaft wurde den Alchimisten dieser Mangel an Grundlagenwissen bei jedem gescheiterten Versuch offensichtlich, wenn das Ergebnis des Experiments nicht das erhoffte Gold war. Das ist bei den Lehren der Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften anders. Hier sind die Ergebnisse interpretierbar und können dem Wunschdenken angepasst werden. Zudem dauert es oftmals Jahre oder gar Jahrzehnte, bis die Fehlerhaftigkeit mancher Theorie nicht mehr zu leugnen ist.
So hat die Theorie Greenspans, dass mit den Mitteln der Geldpolitik die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus ad acta gelegt sei, für einige Jahre sich scheinbar als richtig erwiesen. Diese scheinbare Bewahrheitung seiner Theorie hatte dann unter anderem auch dazu geführt, dass seine Kritiker immer mehr verstummten. Als aber dann diese Theorie an der Wirklichkeit zerbrach, waren die Verhältnisse durch die vorübergehende Täuschung gefährlicher geworden, als sie es jemals zuvor gewesen waren. Das Bankensystem stand vor dem Zusammenbruch.
Man kann natürlich darüber streiten, ob eine „Inflation“ von 3% wirklich Inflation ist oder Geldentwertung oder aber nur die ganz normale Durchsetzung von Preiserhöhungen, die die Marktlage zulassen. Man kann auch ganz einfach die Fakten leugnen und Zweifel ignorieren, die sich aus einer anderen Betrachtungsweise der Fakten ergeben, und dann eine Theorie zum Dogma erheben. (siehe Kommentar)
Man kann auch, was nicht erklärbar ist, mit einem neu geschaffenen Fachbegriff davor schützen, als das entlarvt zu werden, was er zu verheimlichen versucht, Ratlosigkeit. So war unlängst in der FAZ die Verwendung des Begriffes der Disinflation durch einen Wirtschaftswissenschaftler zu bewundern. Er kam zwar nicht umhin zu erkennen, dass die inflationären Tendenzen, die man erwartet und immer wieder an die Wand gemalt hat, nicht eintreten. Aber anstatt diesen Umstand als den Irrtum zu benennen, der er ist, verwendet man lieber den Begriff der Disinflation, der zwar nichts erklärt, aber auch nicht die Erklärung fordert, warum denn nun die Inflation entgegen allen Lehrmeinungen nicht kommt.
Die Konservierung solcher Theorien ist nur möglich, weil weder die Alchemie noch die Wirtschaftswissenschaft eine reale Bedeutung für das Leben der Menschen haben oder hatten. Wenn einer der Kommentatoren behauptet, dass seine 20 € in der Hosentasche nur deshalb einen Wert haben, weil jemand anderes Schulden in Höhe von 20€ hat (siehe Kommentar), dann entspricht das vielleicht den Glaubenssätzen irgendwelcher akademischen Geldtheorien, aber nicht der Wirklichkeit.
Aber so wie es Sonne und Erde egal war, ob die Menschen glaubten, dass sie sich um die Erde dreht und die Menschen die Erde für eine Scheibe hielten, so ist es auch dem kapitalistischen Produktionsprozess egal, wie die bürgerliche Wirtschaftswissenschaft diese Vorgänge erklärt und interpretiert. Der Produktionsprozess wird am Leben gehalten durch seine inneren Triebkräfte, die ihn vorantreiben, nicht durch die Theorien der Wissenschaft. Er wird gelenkt durch seine ihm eigenen Gesetzmäßigkeiten und er wird genährt von der Arbeitskraft und der Genialität des Menschen, nicht durch die Theorien der Wissenschaft. Wirtschaftswissenschaft kommt in diesem Konzert nur die Rolle des Beobachters an der Außenlinie zu, der etwas ins Spiel hineinruft, das sehr schnell im Treiben des Spiels wieder untergeht, wenn es überhaupt gehört wird.
Bürgerliche Wirtschaftswissenschaft versucht, im Nachhinein zu erklären, was die Wirklichkeit an Fakten geschaffen hat. So versucht in der FAZ vom 2.5. Volker Wieland, Prof. für Monetäre Ökonomie der Universität FFM, den Gegensatz zwischen Spar- und Wachstumspolitik aufzuheben. Mit dem Begriff der Austeritätspolitik fasst er aber nur in griffige Worte, was spätestens seit dem Aufweichen des Fiskalpaktes durch Spanien bereits praktiziert wird.
Nicht dem Abbau der Gesamtverschuldung redet er in seinem Beitrag das Wort sondern der Verringerung der „Staatsschulden im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt“. Das gehe zwar einerseits durch Sparen, andererseits aber auch durch Wirtschaftswachstum. Da aber die Staaten das Geld nicht mehr haben für Keynesianische Konjunkturprogramme, dem Wunderheilmittel früherer Wirtschaftswissenschaftler, sollen nun statt der Erhöhung der Schulden die nötigen Mittel gewonnen werden aus den Senkungen der Lohn- und Rentenausgaben.
Diese eingesparten Mittel sollen aber nicht für die Konsolidierung der Staatsfinanzen genutzt werden sondern für Investitionen in das Wachstum der Volkswirtschaften. Das ist nicht mehr Keynes durch Neuverschuldung, sondern Investitionen durch Konjunkturprogramme auf Kosten von Einsparungen bei den Sozialprogrammen und Arbeitslöhnen.
Ging bis vor wenigen Jahren noch der Streit zwischen den Experten, ob zur Gesundung der Wirtschaft die Staatsausgaben eingeschränkt oder doch lieber die Verschuldung ausgedehnt werden soll, so ist die Realität mittlerweile, dass nur noch beides geht. Diese Realität versucht man nun, durch eine neue Theorie zu untermauern und ihr den Anschein von Wissenschaftlichkeit zu geben: Einsparungen in den Staatshaushalten und Absenken des Lohnniveaus bei gleichzeitiger Investition nach dem Muster des Marshall-Plans zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, das ist dann Austerität. Es verspricht Erfolg, weil es durch die Wissenschaft bestätigt ist, (so wie ja auch die Theorie der Geldpolitik wissenschaftlich abgesichert war).Und die zu erwartenden staatlichen Einsparmaßnahmen verlieren den Geruch von Interessenvertretung zugunsten einer politischen Klasse. Die Absicherung durch die Wissenschaft geben ihnen den Anstrich objektiver Notwendigkeit zur Erhaltung des Wirtschaftslebens.
Aber all das sind Forderungen, die aus den Notwendigkeiten des kapitalistischen Produktionsprozesses heraus schon längst begonnen haben, sich in der Wirklichkeit durchzusetzen. Das zeigt die widerspruchlose Hinnahme der Reduzierung der spanischen Sparbemühungen, die sich auch andere bedrängte Euro-Staaten genehmigen werden, wenn sie Spanien gestattet wurde. Man hat in Europa akzeptiert, dass Spanien weniger spart, will man nicht den wirtschaftlichen Kollaps riskieren.
Den Wirtschaftswissenschaftlern kommt dabei die Aufgabe zu, diese Realität durch wissenschaftliche Erklärungen in eine Theorie umzusetzen, die Hoffnung schafft auf die Überwindung der Krise. Auswirkungen auf den Wirtschaftslauf haben diese Theorien nicht. Der richtet sich nach seiner eigenen Gesetzmäßigkeit und erwirtschaftet seit Jahrhunderten bereits das, was seine eigentliche Aufgabe ist, Rendite über den Umweg der Warenproduktion.
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