Das russische Finanz-Magzin veröffentlichte im Februar eine Liste mit den reichsten Männern des Landes. An der Spitze steht Wladimir Lissin mit 18,8 Milliarden US-Dollar. Insgesamt gibt es in Russland mittlerweile 77 Milliardäre, und die Top-Ten alleine verfügen zusammen über nicht weniger als 139,3 Milliarden (102 Milliarden Euro). Wie in den Medien ausreichend berichtet, klagen die Inhaber des aufgelösten Öl- und Rohstoff-Konzerns Yukos die russische Föderation vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, auf nicht weniger als 98 Milliarden Dollar. Der größte Anteil davon ginge an den, in Russland wegen Steuerhinterziehung inhaftierten, Michail Chodorkowski.
Im Zusammenhang mit öffentlichen Budgets, Staatsschulden und Großprojekten, sind wir gewöhnt, von Milliarden-Beträgen zu lesen. Doch hier sprechen wir von Privatvermögen (natürlich in Form von Geschäftsanteilen). Eine Milliarde korrespondiert mit 1.000 Millionen. Das wäre genügend Geld, um, vom Tag der Geburt bis ins hohe Alter, jeden Monat eine Million auszugeben. Zinsgewinne oder Profite durch Investitionen kämen natürlich noch dazu. Nicht, dass es nicht möglich wäre, doch ergäbe es nicht wirklich viel Sinn, all die Anstrengungen in Kauf zu nehmen, nur um zu beweisen, dass sich so viel Geld auch wirklich verschwenden lässt.
Derartige Vermögen anzuhäufen, dient nicht mehr dem Zweck, für sich, seine Familie und seine Nachkommen, über mehrere Generationen, ein luxuriöses Leben zu sichern. Das Anhäufen solcher Summen dient ausschließlich dem Ideal der Macht. Gewiss, natürlich auch, um genügend Einfluss auf die Entwicklung von Politik und Gesellschaft auszuüben, um die Werte auch wirklich zu sichern. Es soll ja, in früheren Zeiten, Könige gegeben haben, die Menschen, die ihnen zu reich wurden, einfach köpften. Von harmlosen Lämmchen, die in regelmäßigen Abständen zu Urnen schreiten, sind derartige Schritte natürlich nicht zu erwarten. Es lebe die Demokratie.
Natürlich gibt es nicht nur in Russland Milliardäre. Bill Gates und Warren Buffet sind noch um einiges reicher. Wenn man dem Forbes-Mazin glauben schenken darf, handelt es sich bei den beiden um die reichsten Männer der ganzen Welt. Bemerkenswert ist jedoch, dass sich Namen wie Rothschild und Rockefeller in dieser Forbes-Liste bestenfalls unter „ferner liefen“ finden lassen, was an der Objektivität dieser Daten leicht zweifeln lässt.
Bleiben wir aber beim Fall Russlands. Dieses Land war der Kernteil der ehemaligen kommunistischen Sowjetunion, in der bis zu ihrer Auflösung, 1991, Privatbesitz nur in sehr beschränktem Umfang möglich war. Natürlich gab es auch im Kommunismus eine Elite, die ein Leben mit entsprechendem Komfort genoss. Dagegen gab und gibt es ja auch nichts einzuwenden. Die Frage ist, wie kann es möglich sein, in einem Land, das sich plötzlich der „freien Marktwirtschaft“ öffnet, innerhalb weniger Jahre von 0 auf 18.800.000.000 zu bescheunigen? Wie funktionieren die Spielregeln? Durch wen werden Einzelnen die Türen so weit geöffnet?
Im Fall von Michael Chodorkowski, Chemie-Ingenieur von Beruf, begann alles mit der Gründung einer Bank. Schon während der letzten Jahre des kommunistischen Regimes hatte er Gelegenheit, sich als Unternehmer zu beweisen. 1986, dank Perestrojka, war es ihm möglich, ein privates Café zu gründen. Schon zwei Jahre später besaß er ein Import-Export-Unternehmen mit 10 Millionen Dollar Jahresumsatz, was ihm – bemerkenswert schnell – ein gewisses Startkapital bescherte.
Während die deutsche Ausgabe von Wikipedia erklärt, dass er 1989 den Vorsitz der Kommerziellen Innovationsbank für wissenschaftlich-technischen Fortschritt übernahm, formuliert es die englische Ausgabe folgendermaßen: „Durch seine Geschäftstätigkeit mit Bargeld ausgestattet, setzten Chodorkowski und seine Partner ihre internationalen Verbindungen ein, eine Banklizenz zu erhalten, um 1989 die Bank Menatep zu gründen.“ Was mit „internationalen Verbindungen“ gemeint sein könnte, sollte wohl eher hinter vorgehaltener Hand diskutiert werden.
Und danach nahmen die Dinge ihren beschleunigten Lauf. Chodorkowskis Import-Export-Geschäfte konnten mit beliebigen Kreditmitteln versorgt werden (vgl. Artikel Geldschöpfung), irgendwie gelang es, die Gelder für die Entschädigung der Opfer von Tschernobyl zu verwalten, und schließlich auch, staatliche Öl- und Rohstoffunternehmen zu erwerben. Im Wikipedia-Artikel über Yukos findet sich folgender Satz:
„Der Erwerb erfolgte im Rahmen einer geschlossenen Versteigerung, welche von der durch Chodorkowski mitgegründeten Bank Menatep organisiert wurde, die dann selbst als einziger Bieter auftrat.“
So lässt sich billig kaufen!
Natürlich handelt es sich dabei nur um eine kleine Auswahl der wirklichen Aktivitäten, die in ihrem gesamten Umfang für Outsider aber sicher nicht nachzuvollziehen sind.
Chodorkowski erklärte einmal, dass er Jahre später einige Leute fragte, warum sie nicht das gleiche getan hätten. Denen wären sogar noch mehr Möglichkeiten offen gestanden als ihm. Diese hätten entgegnet, dass sie „durch Zeiten gegangen wären, als das gleiche System erlaubt war“ (was immer damit gemeint sein mag) – im günstigsten Fall, so erklärten sie, würde es das Ende der Karriere bedeuten, im ungünstigsten Fall, Gefängnis. Chodorkowski erzählte weiter, dass sich alle einig waren, dass nun der zweitgenannte Fall eintreten würde.
Im Jahr 2003 wurde Chodorkowski verhaftet und im Jahr 2005 zu 9 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Das Unternehmen Yokos wurde vom Staat konfisziert und zur Abdeckung von 30 Milliarden Dollar Steuerschulden versteigert.
Achtet man auf die Art, in der die internationalen Medien über den kommenden Prozess in Straßburg berichten, so klingt es danach, als würde hinter der ganzen Geschichte eine böswillige Attacke Putins stecken. Verurteilt wurde Chodorkowski übrigens wegen Steuerhinterziehung, was sich vielleicht mit dem seinerzeitigen Prozess gegen Al Capone vergleichen ließe, dem seine eigentlichen Verbrechen nicht nachzuweisen waren – so wird zumindest behauptet – und gegen den das Urteil ebenfalls wegen Steuerhinterziehung verhängt wurde.
Über die anderen Milliardäre gibt es natürlich andere Geschichten zu erzählen. In allen Fällen sind die wahren Details, wie es zu derartiger Vermögensanhäufung kommen konnte, sicher auch nur einigen wenigen bekannt. Ob Gesetze gebrochen wurden, wäre dabei nicht einmal die erste Frage. Privates Unternehmertum soll nicht unterbunden werden. Doch sollten Regierungen, die letztendlich das Volk, die Wähler, die Bürger demokratischer Länder vertreten, vielleicht darauf achten, dass nationale Werte nicht zum Spielball für Spekulanten werden, denen das Anhäufen von Milliarden zu einer Macht verhilft, die eigentlich nicht in Händen weniger Vereinigung finden sollte. Zumindest nicht, wenn wir an das Ideal der Demokratie glauben. Mittelständische Unternehmen finden sich regelmäßig mit Einschränkungen konfrontiert, die letztendlich der Beständigkeit oder Ausgeglichenheit der gesamten Wirtschaft dienen sollen. Wessen Interessen stecken dahinter, derartige Vermögensanhäufungen, in Höhe mehrerer Milliarden, zuzulassen?