Mittwoch , 9 Oktober 2024
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Zweckgesellschaften: Wohin die Billionen verschwinden

barclays_jerseyDie meisten Leser haben diesen Begriff „Zweckgesellschaft“ vermutlich noch nie gehört. Auch die Kanalinsel „Jersey“, bei der es sich um britischen Kronbesitz handelt, die aber weder Großbritannien noch der EU angehört, ist nur Wenigen bekannt. Und dabei handelt es sich nur um eine von vielen Inseln, auf denen Finanzwerte, vor jeglichem Zugriff ebenso wie vor Kontrollen geschützt, gehortet werden. Falls Sie sich jemals gewundert haben, warum die Welt, trotz Überfluss an Rohstoffen und auch an Arbeitskraft, in eine Krise geschlittert ist, der folgende Artikel gibt Ihnen die Antwort.

Wir leben in einer Demokratie und verfügen – zumindest angeblich – über ein Mitspracherecht. Trotzdem kümmern sich immer weniger Menschen um Politik – und noch weniger interessieren sich für die mittlerweile äußerst komplizierten Mechanismen der Finanzwelt. Doch wer glaubt, dass es reicht, sich einfach um einen guten Job umzusehen, der irrt sich gewaltig. Denn all die Billionen, die sich in Form von Beteiligungen, Aktien und Geldguthaben auf nahen und fernen Inseln sammeln, werden von Ihnen und von mir produziert. Wir sind alle Teil dieses Megaspiels der Finanzwelt. Es ist unsere Arbeit und unser Konsum, der das Rad in Bewegung hält. Besitz vermehrt sich nicht von selbst. Wenn irgendwo eine Milliarde verdient wird, dann haben unzählige Menschen mehr gearbeitet als sie konsumiert haben. Und die dem Kreislauf entnommenen Werte haben mittlerweile sagenhafte Volumen angenommen. Auf ein Werk von Raymond Baker verweisend, erklärt Axel Troost: „Auf bis zu eine Billion US-Dollar pro Jahr schätzt man die Summe, die westliche Banken und Unternehmen in Steueroasen investieren.“

Axel Troosts politische Ansichten (Die Linke) tun dabei nichts zur Sache. Er ist Wirtschaftswissenschaftler. Zusammen mit Nicola Liebert verfasste er im Jahr 2009 einen überaus aufschlussreichen Beitrag für die, seit 1956 bestehende, Fachzeitschrift „Blätter für deutsche und internationale Politik“. Der Titel: „Das Billionengrab – Von Steueroasen und Schattenbanken“.

Insbesondere die Situation Griechenlands verweist auf das Kernproblem der Schuldenkrise: Es fehlt an Geld, um auch nur die Zinsen bezahlen zu können. Neben den Staatsschulden arbeiten auch Unternehmen mit Fremdkapital. Auch Bürger sind verschuldet. Wie in einem anderen Beitrag ausführlicher erklärt, beläuft sich die Summe aller Verbindlichkeiten in der Eurozone auf mehr als 25 Billionen. Auf der Webseite UsDeptClock wird, unter Berufung auf die Federal Reserve Bank als Quelle, eine Gesamtverschuldung allein der USA von 54,6 Billionen Dollar ausgewiesen. Die dafür anfallenden Zinsen betragen für ein einziges Jahr: 3,7 Billionen Dollar! Oder, um eine Vorstellung darüber zu vermitteln, um was für eine gewaltige Summe es sich dabei handelt: $ 11.789 pro US-Bürger.

Und hier die große Frage: Wenn jedes Jahr so viele Billionen an Zinsen bezahlt werden, was passiert mit diesem Geld? Wohin fließt es? Wer verdient es? Wie ist es möglich, dass der Finanzsektor in Schwierigkeiten gerät, sobald ein Schuldner ausfällt, obwohl über Jahre hinweg derartige Vermögen eingenommen wurden?

Die Antwort: Die Gewinne fließen in „außerbilanzielle Zweckgesellschaften“.

Was ist eine Zweckgesellschaft? Dazu schreibt Wikipedia:

Als Zweckgesellschaft (englisch Special Purpose Company, SPC, Special Purpose Vehicle, SPV oder Special Purpose Entity, SPE) wird eine juristische Person bezeichnet, die für einen klar definierten und eingegrenzten Zweck gegründet wird. Gebräuchlich sind auch Bezeichnungen, wie Single Purpose Entity (SPE) oder Limited Purpose Entity (LPE). Nach Erreichen ihres Zwecks kann die Gesellschaft aufgelöst werden.

Zweckgesellschaften werden für verschiedene Zwecke eingesetzt, insbesondere aber für strukturierte Finanzierungen. So soll ein Zugriff finanzierender Gläubiger auf Vermögenswerte des Investors vermieden werden (sogenannte „non-“ oder „limited recourse-Finanzierungen“) und der Finanzierungsgegenstand gegen Insolvenzrisiken aus der Sphäre des Investors abgeschirmt werden (bankruptcy-remote).

Was die Situation so undurchsichtig gestaltet ist, dass sich diese Zweckgesellschaften nicht nur in fast allen Fällen im Ausland befinden, sondern in sogenannten Steueroasen. Wie Axel Troost in seiner Arbeit jedoch näher erklärt, liegt der Vorteil von Niederlassungen auf Bermuda, Jersey, Isle of Man, den britischen Jungferninseln, den Kaiman-Inseln und einigen weiteren Orten nicht nur in lächerlichen Steuersätzen, die Unternehmen entziehen sich dadurch jeglicher Kontrolle.

Um ein Beispiel herauszunehmen: Die im Jahr 2007 in Schwierigkeiten geratene IKB Deutsche Industriebank AG hatte 2002 die Rhineland Funding ins Leben gerufen, mit Sitz im US-Bundesstaat Delaware, und gleichzeitig sogenannte Ankaufsgesellschaften mit Sitz in Jersey eingerichtet. Jersey liegt im Ärmelkanal, nahe der französischen Küste. Staatsoberhaupt ist Königin Elisabeth II, in ihrer Eigenschaft als Herzogin der Normandie. Jersey gehört jedoch weder Großbritannien noch der Europäischen Union an. Jersey verfügt über eine eigene Währung, den Jersey Pfund. Ein Viertel der 90.000 Einwohner arbeitet im Finanzsektor. Üblicherweise wird bei Eröffnung eines Bankkontos eine Mindesteinlage von einer Million US-Dollar erwartet. Die Schweiz ist schon lange nicht mehr der Heimathafen der wirklich großen Anleger, was sich an der plötzlichen Offenheit der eidgenössischen Banken auch zeigt.

IKB gründete übrigens auch noch eine Gesellschaft namens Rhinebridge, mit Sitz in Irland, einer Tochtergesellschaft in Delaware und einigen Verzweigungen, die sich nur schwerlich nachvollziehen lassen. Troost führt auch einige internationale Verkettungen der Sachsen LB ebenso wie der Bayern LB an.

Offengelegt werden die Besitzverhältnisse meist nur in Fällen großer Pleiten. So wurde bekannt, dass der US-Skandalkonzern Enron über nicht weniger als 881 Tochtergesellschaften in Steueroasen verfügte, 692 davon auf den Kaiman-Inseln.

Warum übrigens der US-Bundesstaat Delaware als Firmensitz so beliebt ist, wird ebenfalls von Troost erklärt. Nicht nur, dass ausländische Unternehmen mit einer jährlichen Pauschalsteuer von $ 100 (!!!) belegt werden, gelten nur minimale Eigenkapitalpflichten, im Handelsregister müssen keine Informationen über die Geschäftstätigkeiten hinterlegt werden und die Eigentümer dürfen geheim bleiben. Und, wie sich an einzelnen Beispielen zeigt, verzweigen sich die Beteiligungen von dort ja auch noch weiter.

Die Mechanismen der modernen Finanzwelt zeichnen sich durch eine derartige Kompliziertheit aus, dass selbst Experten immer nur mit Teilbereichen vertraut sind. Dass unsere Politiker dabei auch nur über den geringsten Überblick verfügen könnten, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Um jedoch zu demonstrieren, wie einfach sich Gewinne verstecken lassen, führe ich ein simplifiziertes Beispiel an:

Stellen Sie sich vor, Sie stellen ein Produkt her, das angenehme Erträge erlaubt. Ihr Betrieb ist in Deutschland. Die Rohmaterialen beziehen Sie aus verschiedenen Ländern in Asien. Ihre Hauptabnehmer sind in den USA beheimatet. Sie tätigen Ihre Einkäufe über ein Unternehmen mit Sitz auf den Bahamas. Der Besitzer ist eine Gesellschaft, die natürlich auch Ihnen gehört, die Rohmaterialen aber mit entsprechendem Aufschlag an Ihr deutsches Unternehmen verkauft. Sie verkaufen das Fertigprodukt erst einmal an eine Gesellschaft in Liechtenstein, müssen allerdings an ein Unternehmen mit Sitz in Jersey Provisionen bezahlen. Von Liechtenstein wird an ein Unternehmen in Delaware verkauft, deren Eigentümer geheim ist. Von dort geht es an den Endabnehmer, der natürlich vom deutschen Hersteller direkt beliefert wird. Ihr heimisches Unternehmen arbeitet dabei immer kostendeckend. Die Gewinne fließen an andere Firmen, die zufällig eben auch Ihnen gehören. (Es mag gewisse rechtliche Schranken geben, doch um die zu umgeben, dafür gibt es ja wieder spezialisierte Anwälte.)

Dass sich Gewinnverschleierung für Unternehmen im reinen Finanzbereich natürlich noch schwieriger nachvollziehen lassen, entspricht der Logik.

Wenn das wirklich alles so einfach wäre, könnte dann nicht letztendlich jeder davon profitieren? Aber natürlich. Sie brauchen bloß das notwendige Kapital und die Ideen, wie Sie damit Gewinne erzielen. Einfach Bankaktien zu erwerben und auf diesem Wege am besten aller Geschäfte, das in der Menschheitsgeschichte jemals erfunden wurde, mitzuverdienen, so einfach geht es natürlich nicht. Denn die offiziellen Bilanzen dieser Institute werfen schließlich selten nennenswerte Gewinne aus. Die fließen nämlich über Dutzende Umwege in außerbilanzielle Zweckgesellschaften. Selbst eine Bank ins Leben zu rufen, übersteigt vermutlich nicht nur Ihre finanziellen Möglichkeiten, kleine Privatbanken gehören ebenfalls zu den Verlieren dieses Spiels, wie sich insbesondere während der vergangenen drei Jahre in den USA gezeigt hat. Vielleicht können Sie am Rohstoffmarkt teilhaben, auf den Kaiman-Inseln einen Hedgefond gründen und mit Future-Kontrakten auf Reis und Weizen spekulieren. Es ist möglich. Es ist erlaubt. Sie brauchen bloß das nötige Kapital und entsprechende Erfahrung.

Nachdem immer mehr Menschen bewusst wird, dass die breite Masse in diesem Spiel nur verlieren kann, nachdem die Kaufkraft eines durchschnittlichen Einkommens mittlerweile zu disziplinierter Sparsamkeit zwingt, dringt die allgemeine Unzufriedenheit auch endlich deutlicher an die Oberfläche. Seit Wochen versammeln sich Demonstranten nicht nur in der Wallstreet, sondern auch in Dutzenden anderen Städten. Für kommenden Samstag sind massive Kundgebungen auch in Europa geplant.

Um jedoch Veränderungen zu fordern, gehört es zu den Grundvoraussetzungen, zumindest in gewissem Umfang zu verstehen, warum diese Krise überhaupt entstehen musste. Eine Pauschalverurteilung des Finanzsektors beziehungsweise der Konzernpolitik reicht dabei nicht aus. Es ist auch notwendig, eine Vorstellung davon zu haben, wohin die Werte, die dem Kreislauf der Wirtschaft entzogen werden, letztendlich verschwinden. Und wenn demokratisch gewählte Politiker es weiterhin zulassen, dass eine Finanzmafia die einzelnen Länder bis zum Maximum ausbeutet, dann müssen die Bürger endlich selbst begreifen, wie dieses Spiel funktioniert. Solange wir Geld verwenden, solange wir für Geld arbeiten, nehmen wir an diesem Spiel teil. Und wie sollte es möglich sein, nicht zu den Verlieren zu zählen, solange wir nicht mit den Basisregeln vertraut sind? Wenn Politiker es zulassen, dass heimische Banken und heimische Konzerne ihre Gewinne in internationalen Sümpfen versickern lassen, dann ist es an der Zeit, dass der Bürger ein NEIN ausspricht. Aber auch, dass er weiß, was er mit diesem NEIN ablehnt.

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