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Hunger als Big Business

weizen_feldZwischen Oktober 2010 und Januar 2011 stiegen die Preise für Nahrungsmittel weltweit um 15 Prozent an, ließ die Weltbank in ihrer jüngsten Mitteilung wissen. Dabei handelt es sich um keine neue Entwicklung, sondern um das Anhalten eines Trends, der seinen vorläufigen Höhepunkt schon im Jahr 2008 erreicht hatte. Worüber die genannte Meldung nicht informiert, sind die wahren Ursachen. Nicht die wachsenden Bevölkerungszahlen sind für die Teuerung verantwortlich, nicht die Missernten des vergangenen Sommers, sondern ausschließlich Spekulation.

In den sogenannten entwickelten Ländern geht der größte Teil der Einkommen für Steuern, Sozialversicherung und Wohnkosten auf. Auch wenn der für Kleidung, Transport, Essen und Unterhaltung verbleibende Rest im Verhältnis zum ursprünglichen Gehalt bescheiden wirkt, so ist die Zahl derer, die wirklich Hunger leiden, verschwindend klein. Dementsprechend fällt es auch nicht sonderlich ins Gewicht, wenn ein Laib Brot, ein Kilo Bohnen oder ein Sack Kartoffel plötzlich im Preis ansteigt.

Insbesondere in jenen Ländern, in denen bescheidene Wohnverhältnisse mit extrem niedrigen Kosten verbunden sind, nimmt die Ernährung oft die Hälfte des Lohnes in Anspruch. In solchen Fällen, von denen Hunderte Millionen von Menschen in der Welt betroffen sind, führt jede Teuerung zuerst zu einer Reduktion der Qualität und rasch der Quantität von Nahrungsmitteln. Während die Weltbank in der vorliegenden Meldung erklärt, dass die Zahl jener Menschen, die von extremer Armut betroffen sind, aufgrund der jüngsten Preisveränderungen um 44 Millionen angestiegen ist, lässt sich der plötzliche Ausbruch des Volkszorns in Tunesien, Ägypten und einer Reihe anderer Länder durch wachsende Not im täglichen Leben, zumindest teilweise, erklären.

Was ist der eigentliche Grund für das Ansteigen von Nahrungsmittelpreisen?

Historisch betrachtet, ist es das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, das sich in erster Linie auf die Preisentwicklung auswirkt. Aufgrund von beschränkter Lagerfähigkeit und relativ hohen Lagerkosten, hielten sich die Möglichkeiten für Preismanipulationen durch die Steuerung von Angebot und Nachfrage im Bereich von Nahrungsmitteln in Grenzen. Aus Gründen der Veranschaulichung führe ich das Beispiel des Diamanthandels an. Auch wenn De Beers in jüngster Zeit mit Konkurrenz aus Asien konfrontiert ist, noch immer wandert ein Großteil der funkelnden Steine durch deren Hände. Beschließt die Geschäftsführung von De Beers, die Lagerbestände zu reduzieren und somit das Angebot zu erhöhen, fällt der Preis. Umgekehrt, beschließt man dort, die Tresore wieder aufzufüllen, steigt der Preis, auch wenn die Produktion für einen bestimmten Zeitraum die Nachfrage übertrifft.

Diamanten lassen sich völlig problemlos auf unbegrenzte Zeit lagern. Nicht so Getreide, wenn es um Mengen geht, die entscheidenden Einfluss auf die Preisentwicklung ausüben sollen. Demzufolge hielten sich die möglichen Spekulationsgewinne auch in Grenzen, worüber bestimmte Kreise nicht sonderlich glücklich waren. Wir sprechen hier von Produkten, auf die kein einziger Mensch auf der ganzen Welt jemals verzichten kann.

Und so gebar Goldman Sachs im Jahr 1991 eine neue Idee, die Spekulanten erlaubt, an Grundnahrungsmitteln kräftig mitzuverdienen. Die Investment-Bank erschuf den sogenannten Goldman Sachs Commodity Index.

Ein Interview bei Democracy Now im Juli des vergangenen Jahres ließ Frederick Kaufmann, Autor des Artikels „The Food Bubble – Wie Wallstreet Millionen hungern lässt und damit davon kommt“, die Spekulations-Strategie im Detail erklären. Wenn auch einige komplizierte Mechanismen im Spiel sind, so funktioniert das System im Kern sehr einfach. Futures, also Kaufverträge mit späterem Liefertermin, deren Wert sich nach dem besagten Index ausrichten, werden in großen Mengen in Umlauf gesetzt. Sobald der Vertrag fällig wäre, wird er durch einen neuen, mit späterem Termin, ersetzt. Durch regelmäßigen Volumenzuwachs dieser Futures entsteht auf den Weltmärkten ein künstlich erzeugter Bedarf, der den echten bei weitem übersteigt. Die Folge sind steigende Preise auch in Jahren guter Ernte, in denen sich Nahrungsmittel ansonsten verbilligen würden.

Ein Bushel (amerikanisches Hohlmaß – 35,23907016688 l bzw. bei Weizen 27,2155 kg) Weizen wurde Anfang der 1990er-Jahre zwischen $ 3 und $ 6 gehandelt. Der, aus rein spekulativen Gründen ständig steigende Bedarf, trieb diesen Preis regelmäßig nach oben. $ 12, $ 15, $ 18 – und im Februar 2008 erreichte er mit $ 25 seinen bisherigen Höhepunkt. Kaufmanns Recherchen zufolge, erhöhte sich dadurch die Zahl jener Menschen, die unter Hunger leiden, um 250 Millionen. Und wie viele Millionen erlagen dem Hungertod? Kein Gericht wird jemals einen Menschen des Mordes verurteilen, weil er aus reiner Profitgier die Preise von Nahrungsmitteln in die Höhe treibt. Doch wo liegt der Unterschied zwischen direkter Verfolgung und dem bewussten Unterbinden der Versorgung mit dem Notwendigsten?

Die bereits erwähnte Veröffentlichung durch die Weltbank bietet dazu einige weitere schockierende Fakten. Zwischen Juni und Dezember 2010 stiegen die Weizenpreise weltweit um 75%. Je mehr ein Land von Nahrungsmittel-Importen abhängig ist, desto mehr werden die Preise für den Verbraucher dadurch in die Höhe getrieben. Dies erklärt wiederum, warum EU-Länder vorläufig noch nicht wesentlich von dieser Preistreiberei betroffen sind. In der gleichen Tabelle wird eine weltweite Preissteigerung von Mais um 73%, Bohnen 49% und Reis 17% aufgelistet. Der relativ milde Anstieg von Reis liegt daran, dass der größte Sprung bereits zwischen den Jahren 2000 und 2008 erfolgte. Je nach Sorte verzeichnete Reis in dieser Zeitspanne einen Anstieg von mehr als 300%.

Insbesondere im Zusammenhang mit Forderungen, den Derivathandel staatlichen Regelungen zu unterwerfen, dominieren üblicherweise Argumente, dass Märkte keiner Beschränkungen bedürften, denn sie regelten sich ohnehin von selbst. Sosehr dies unter dem Aspekt von Angebot und Nachfrage auch durchaus als korrekt zu beurteilen wäre, sobald Instrumente der Spekulation zur Verfügung stehen, ist der natürliche Ausgleich absolut nicht mehr gegeben. Könnte die Welt vorübergehend auf Nahrungsmittel verzichten, bestünde natürlich die Möglichkeit, Spekulanten auf Tausenden Tonnen von Weizen, Mais, Bohnen und Reis einfach sitzen zu lassen. Das wäre ein natürlicher Ausgleich. Das wäre eine Selbstregulierung der Märkte. Doch, man braucht kein Experte zu sein, um zu verstehen, dass internationale „Investoren“ diese Gefahr nicht zu fürchten brauchen.

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