Dienstag , 23 April 2024
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Und wir fahren gegen Feindesland

bundeswehr_gegen_piratenAls Satiriker lebe ich momentan in einem blühenden Zeitalter. Die Themen überschlagen und vermehren sich in einer Geschwindigkeit, welche es bisher in diesem Land, und speziell in der Politik, noch niemals gab. Die Regierung hat mit der freien Wirtschaft das Zeitalter der Reformen ausgerufen, dafür liebe ich sie aus ganzem Herzen. Ich komme nicht umhin, den Damen und Herren zuzurufen: „Weiter so, ihr seid erste Sahne.“ Folgende Meldung in den Nachrichten hat es mir in diesen Tagen besonders angetan:

Die Bundeswehr ist nach Ansicht des Präsidenten des DIHT, Hans Heinrich Driftmann, ein Sanierungsfall. „Die Armee muss sich dringend neuen Aufgaben stellen“, sagte er dem Focus. „Dabei geht es um unsere ureigenen legitimen Interessen – auch die der Wirtschaft. Es wäre für den Exportvizeweltmeister Deutschland eine Katastrophe, wenn die Handelswege, insbesondere nach Südostasien dauerhaft eingeschränkt oder bedroht wären. Die dürfen wir nicht Piraten überlassen“. Dann weißt der Präsident noch darauf hin, dass sich die Schwerpunkte der Exportwirtschaft nach der Finanzkrise von den USA nach Asien verlagert hätten. Ferner bemängelt er, dass von 250.000 Soldaten auf dem Papier faktisch nur 8.000 einsatzbereit seien. Das Bundesamt für Wehrtechnik sei mit 8.500 Mitarbeitern viel zu groß, das Ministerium könne leicht halbiert werden. Verschlankung nennt man dies in der Wirtschaft.

grundgesetz_adlerHerr Driftmann kennt sich in Armee und Wirtschaft sehr gut aus. Die Karriere begann in der Bundeswehr, anschließend hat er richtig geheiratet. Jetzt kümmert er sich in der Hauptsache um Kraftnahrung, dann auch um den DIHT. Mit Haferflocken funktioniert das halt.

Ganz naiv habe ich mir desweiteren einen Blick in das Grundgesetz gegönnt. Dieses einzigartige und wunderbarste Manifest, wir hatten im Originaltext der Gründerväter dieser Republik nie etwas Besseres besessen, behandelt den Einsatz der Bundeswehr, bzw. den Verteidigungsfall ab dem Artikel 115A bis zum Artikel 115L. In 115A im Absatz 1 heißt es:  

Die Feststellung, dass das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht (Verteidigungsfall), trifft der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates.

Hier beschreibt man eine Situation, welche wir alle nicht erleben wollen, auch nie erleben sollten. Der Rahmen ist aber eindeutig gesteckt, wir reden vom Bundesgebiet, damit wir uns nicht falsch verstehen.

Zum Trost, einen schönen Satz mit dem Format, etwas wie naive Hoffnung aufkeimen zu lassen, den habe ich dort auch gefunden, nämlich in 115L, im Abschnitt 3:

Über den Friedensschluss wird durch Bundesgesetz entschieden.

Ich konnte nichts, aber auch gar nichts entdecken, was in unserem Grundgesetz darauf Bezug nimmt, die Handelswege für Haferflocken, Füllhalterpatronen und Granatwerfer zu sichern. Bitte verstehen sie mich nicht falsch. Es ist mir die Abhängigkeit unserer Arbeitsplätze, unserer Gesamtwirtschaft sehr wohl bewusst. Diese Wirtschaft benötigt sichere und kalkulierbare Rahmenbedingungen – auch akzeptiert.

Mir ist nur noch nicht klar, nicht einmal in Ansätzen, was der Herr Driftmann eigentlich will.

Gestatten sie mir nun, einige Gedanken, welche in meinem Kopf unterwegs sind, zu formulieren. Vielleicht hilft das ja weiter.

Das Grundgesetz fällt bald nicht mehr in die Verantwortung des Parlaments, des Volkes. Es wird als Kann-Bestimmung an den DIHT und an befreundete Organisationen delegiert. Hier kann man pragmatisch entscheiden, welcher Teil der Welt dauerhaft oder vorübergehend Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland wird – sonst dürften wir ja nicht. Im Rahmen der angestrebten Rationalisierung der Armee werden auch die Entscheidungswege vereinfacht. Die Bundeskanzlerin, der Bundeskanzler, hat keine Arbeit mehr damit. Aus der Gruppe der DAX30-Firmen wird ein Gremium gebildet, welches den Verteidigungsfall feststellt, ebenso die dauerhafte oder vorübergehende Eingliederung interessanter Landstriche, Länder und Nationen.

M- und SDAX – Firmen kümmern sich um Ausstattung, um Schulung und um die Logistik. Rahmenverträge für diese Dienstleistungen haben in der Regel eine Laufzeit von mindestens 10 Jahren. Die Absicherung der Bevölkerung und der Soldaten übernehmen verbindlich die Finanz- und Versicherungskonzerne aus der Handelswegesicherungsbefehlsstelle. Andere Anbieter werden nicht zugelassen, um ein hohes Qualitäts- und Versorgungsniveau sicherzustellen.

Der Friedensfall und eventuelle Reparationsleistungen der uns unterlegenen, vormaligen Gegner werden von der DAX-Gruppe festgestellt und sanktioniert. Leistungen fließen an das Leitungsgremium als Kostenersatz, Aufwandsentschädigung oder als Bonus.

Kämpfende Einheiten, sie umfassen dann mindestens 70 % der Personalstärke der Armee, werden mit einem Bonus in Höhe von drei Prozent der Ausgaben für Radiergummis in der Oberfinanzverwaltung „Südliche Kolonien“ belohnt. Man muss ja schließlich was davon haben.

Tja, so oder so ähnlich könnte das funktionieren. Das kann ich mir durchaus vorstellen.

Sollte es in den Übereignungsverhandlungen mit der Regierung Probleme geben, auch daran wurde gedacht. Eine separate Struktur ist bereits existent, sehr schlagkräftig und sehr erfolgreich – nämlich die Firma „Schwarzwasser“, oder so ähnlich. Eigentlich wäre diese Lösung weitaus besser, die ganze Arie mit den so genannten Kolateralschäden bräuchte niemals mehr besprochen zu werden. Die Neubürger wüssten auch gleich, wie das Ganze zu funktionieren hat. Ausgaben für Krankenhäuser, Rehabilitation und ähnliches, sie würden deutlich geringer sein. Und außer den Neu- oder Übergangsgermanen wäre das Volk aus dem Schneider. Also, wir wissen doch, wie es zu gehen hat.

Lieber DIHT, lieber andere Branchen- und Wirtschaftsverbände: Bleibt gelassen, ihr kriegt das Grundgesetz noch so hin, wie ihr das braucht. Einige von uns werden dann mit ihrem Leben eure Transporte sichern, welche aus Billiglohnländern in Hochpreisabnahmestaaten gehen. Da wird es auch Tod und Sterben geben – für die Haferflocken. Das ist aber egal, ein bisschen Schwund ist immer.

Wir wollen gemeinsam nicht daran denken, wenn das Volk stärker eingebunden wäre, wenn die Verfassung nicht mehr Spielball von Legislaturperiodeninteressen wäre – die würden wahrscheinlich zu all dem „Nein“ sagen, ungebildet und undankbar wie sie sind. Was machen wir dann mit Handelswegen für Bleistiftspitzer, Papiertaschentücher und geräucherter Hähnchenbrust?

Aber auch da will ich mir keine Sorgen machen. Wir lassen uns die Verfassung von euch nicht nehmen, tut mir leid.

© Peter Reuter

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