Mittwoch , 13 November 2024
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Wo Frauen Frischfleisch sind!

tahrir nachtWährend das Militär damit beschäftigt ist, sich noch irgendwie so viel Macht als möglich zu sichern, und die Moslembrüder ihren frischgebackenen Präsidenten sowie sich selbst feiern, versinkt Ägypten immer mehr im Chaos. Vor allem die sexuellen Übergriffe auf Frauen nehmen Ausmaße an, die sich auch in einem Horrorfilm gut machen würden.

Natasha Smith, eine junge Journalistin aus Großbritannien wollte es ganz genau wissen und begab sich am vergangenen Sonntag auf den Tahrir Square in Kairo, wo die Islamisten ihren neuen Präsidenten feierten. Auf ihrer Homepage kündigte die junge Frau an: „Im Juni werde ich eine 20-minütige Dokumentation über die Rechte der Frauen und über den Missbrauch von Frauen seit der Revolution drehen.“ Aus diesem Film wurde für die Britin ein persönlicher Albtraum.

Am 26. Juni schrieb sie in ihrem Blog über die grauenhaften Ereignisse vom 24. Juni in Kairo. Sie wurde von ihren Freunden abgedrängt und von einer Hundertschaft aufs Widerlichste sexuell belästigt. „Plötzlich wurden Hunderte von Männern zu Tieren. Sie entrissen meine Kamera und meinen Rucksack, fetzten mir die Kleider vom Leib, kratzten und quetschten meine Brüste und schoben ihre Finger auf alle erdenklichen Wege in meinen Körper. Ich dachte nur, dass es das war, dass ich so sterben werde. Bitte Gott, bitte mach, dass das aufhört. Ich schrie auf Arabisch Good bye in die Gruppe. Ich wollte Good bye Welt schreien, weil ich mir sicher war, dass das mein Ende ist“ – so horribel beschreibt Natasha Smith ihr Martyrium, das für mich zwar auch ganz schrecklich, aber nicht überraschend ist.

Was die Britin von unzähligen anderen sexuellen Opfern unterscheidet, ist ihr Job, durch den sie ihrer Stimme Gehör verschaffen kann und ihr Mut zur ungeschönten, nackten Wahrheit, die vielen Frauen peinlich ist. Einer europäischen, aber in Ägypten lebenden, Bekannten von mir ging es ähnlich. Sie ging – mit Kopftuch und arabischer Kleidung – im Januar zum Revolutionsjahrestag auf den Tahrir Square und berichtete ebenfalls von sexuellen Übergriffen. „Männer pressten sich von hinten an mich, rieben sich an mir, andere legten sich sogar auf den Boden, um mir zwischen die Beine greifen zu können“, erzählte sie mir im Januar, und ich konnte spüren, wie unangenehm berührt sie war, darüber überhaupt zu reden.

Genau aus diesem Grund meide ich in Kairo seit mehr als einem Jahr ganz bewusst Massenveranstaltungen. Das liegt nicht nur daran, dass ich grundsätzlich nicht gruppendynamisch bin, aber seit der Revolution ist die Stimmung in den ägyptischen Großstädten absolut gekippt – und keinesfalls zum Guten. Frauen sind so etwas wie Freiwild geworden. Nicht nur europäische oder andere „blonde Teufel“. Nein, auch Ägypterinnen werden jeden Tag Opfer von sexuellen Attacken. Auf der Straße, in Aufzügen, in Verkehrsmitteln – einfach überall. Immer wieder finden sich darüber in den Zeitungen größere und kleinere Berichte. Die Dunkelzahl ist sowieso eine unbekannte Größe. Bekannt sind allerdings die Vorfälle selbst. Dagegen gibt es auch immer wieder organisierte Demonstrationen von Frauen, die dafür in einem Schutzring von Männern auf Kairos Straßen ziehen.

Ich persönlich mag derzeit in der ägyptischen Hauptstadt eigentlich gar nicht mehr auf die Straße gehen, weil ich nicht daran denke, meine blonden Haare zu bedecken, bei fröhlichen 40 Grad die Schultern, die Arme und Beine gleich dazu, oder gar mein Gesicht zu verschleiern. Ich mag mich aber auch nicht so ansehen lassen, als wäre ich die fleischgewordene Sünde und Teufelswerk. Damit fühle ich mich nicht wohl, das brauch ich nicht. So geht aber das Spiel im post-revolutionären Ägypten. Man (Frau) kann es mitspielen und sich den neuen Regeln der Islamisten anpassen, oder sie bleibt zu Hause, was sowieso viel mehr in deren Sinne (und darum auch sicherer) ist. Variante drei: Sie übersiedelt ans Rote Meer, wo diese Sitten noch nicht um sich gegriffen haben. Wie das in Zukunft unter einem islamistischen Präsidenten Mursi sein wird, bleibt abzuwarten.

Aber zurück zu Natasha, die viel mutiger war, als ich es bin. Die sich ganz bewusst diesem Irrsinn ausgesetzt hat und selbigen auch noch mit der Kamera einfangen wollte. Genau dieser Mut wurde ihr zum Verhängnis und wer den Schaden hat, muss bekanntlich für den Spott nicht sorgen.

In den zahlreichen Kommentaren unter ihrem Blog, in denen ihr ganz viele Menschen auch Bedauern und Trost aus- und zusprechen, finden sich erschreckend viele Statements wie „Schlampe“ und „Idiotin“, aber die waren fast noch harmlos. Einer postete in katastrophalem aber leider noch verständlichem Englisch wörtlich: „i wish you are FUCKEN samarter next time … idiot UK girl“. Wieder ein anderer hatte auch gleich eine Erklärung parat, die sich mit einem Schuss Sarkasmus versehen so liest: „Please God. Please make it stop .. make stop idiot American and UK female reporters travel to places they should not even think about going to and then complain about …“.

Dank dieser aufklärenden Worte ist nun glasklar, was der eine oder andere Leser vielleicht ohnehin bereits vermutet hat: „Das Mädchen ist selber schuld, wäre sie daheim geblieben.“ Ist doch so, oder? Oder doch nicht? Ich war das letzte Mal im Mai des Vorjahres am (leeren) Tahrir Square. Ich bin dort in der Sonne gesessen, habe mir die von der Revolution übrig gebliebenen Graffitis angesehen und darüber nachgedacht, was eben diese so bringen wird. Das hätte ich mir nicht träumen lassen. Diese Bilder hatten keinen Raum in dem Ägypten, das ich kannte und lieb(t)e.

Zufälligerweise machte ich diesen Besuch am Tahrir Square nach einem Islam-Seminar, das ich in Sekem (www.sekem.com ), vor den Toren Kairos, besuchte. Ich hatte also wenige Tage zuvor den Islam als spirituelle Religion kennengelernt. Keine Hetze, keine Gewalt – Dogmen, ja, aber die gibt es in fast jeder Religion, weswegen ich Religionen gegenüber grundsätzlich skeptisch bin, und dennoch: Es waren wunderschöne Tage, die ich mit Koran-Begleitung verbringen durfte. Es war ein Eintauchen in eine völlig neue und andere Welt. Von sexuellen Attacken und Frauen-Beschneidung war da keine Rede.

Nun gut, in vier Tagen liest man nicht eben mal so den Koran aus, schon gar nicht, wenn man sich in anthroposophischen Diskussionen verliert, aber irgendwie geht sich das islamistische Bild vom heutigen Ägypten mit dem was ich dabei gelernt habe so gar nicht aus. Das passt nicht zusammen. Zumindest für mich nicht. So wie die moderaten Moslems (und denen möchte ich hier keinesfalls Unrecht tun) nicht zu ihren radikalen Glaubensgenossen passen. Ein Blog-Leser aus dem Iran, also einer, der es besser wissen sollte als ich, postete zu Natashas Zeilen prophetisch, bedrohlich und auf den Koran bezogen: „There is not a spring in arab world. Winter is coming. long and cold and your experience is just the chili autumn wind.“ Ein ägyptischer Christ schrieb: „My message to the west: SAVE YOUR COUNTRIES FROM ISLAM WHILE YOU STILL CAN, OR ELSE YOUR COUNTRIES WILLLLLLL BECOME LIKE EGYPT.“ Generell sind sehr viele religiöse und hetzerische Kommentare von beiden Seiten (Moslems und Christen) zu lesen.

Und genau das spiegelt die Situation im Land ganz gut wider. Während die Einen in eine Depression verfallen sind und bereits ihre Koffer packen, machen andere gegen Christen und Europäer mobil. Das islamistische Selbstbewusstsein hat eine geschwollene Brust, dass man nur hoffen kann, dass sie nicht beim Einen oder Anderen platzt. Nicht zuletzt deshalb habe ich in diesem Jahr um den Tahrir immer einen großen Bogen gemacht. Energetisch fühlt sich der Platz leider nicht mehr gut an. Gar nicht gut! Da kann man schon mal von „damals“ träumen, aber das sagt man in Ägypten nur im Bekanntenkreis laut, weil es dort sowieso alle sagen. Auf der Straße behält man diese Wunschgedanken besser für sich.

Derzeit muss man überhaupt aufpassen, was man in Ägypten sagt. Jeder glaubt von jedem bespitzelt und ausspioniert werden. Angeblich war das auch der Grund für den Angriff auf Natasha Smith. In einem Zelt, in das sie ihre Retter brachten, sagten ihr Frauen, dass die Attacke erfolgte, weil man sie für eine ausländische Spionin hielt. Jeder gegen jeden – wenn das mal keine Fremdenverkehrswerbung vom Feinsten ist. So sehr die Menschen am Roten Meer auch um die Aufrechterhaltung der Normalität bemüht sind, in Kairo gehen die Uhren bereits anders. Die erste Frage, die der jungen und verletzten Britin im Krankenhaus gestellt wurde, nachdem man sich nach langem Warten gnädigerweise ihrer annahm, war, ob sie verheiratet oder Jungfrau ist. Als sie beide Fragen mit Nein beantwortete, hatte man dort mit ihr so gar keine rechte Freude.

An dieser Stelle mal ein wirklich verdientes „Danke schön“ in Richtung der Moslembrüder! Immerhin ist es ihre Grundeinstellung gegenüber Frauen, die zu dieser widerlichen Stimmung in Ägypten beitragen. Ihre Missachtung gegenüber des weiblichen Geschlechts drückt sich auf den ägyptischen Straßen immer öfter durch Gewalt gegen Frauen aus. Eine ihrer Hauptsorgen ist ja die Wiedereinführung der Legalisierung der Frauenbeschneidung, die in Ägypten unter Mubarak verboten wurde. Wir reden da von einer unglaublichen Tortur, die Mädchen über sich ergehen lassen müssen, wenn ihnen die Klitoris und die inneren Schamlippen weggeschnitten werden. Ja, das liest sich nicht schön, ich weiß, ist es auch nicht, und genau darum schreibe ich es! Es ist ein „religiöser“ Akt des Grauens.

Selbiges steigt mir auch hoch, wenn ich heute Morgen in einer großen deutschen Tageszeitung lese, dass der deutsche Außenminister dafür auch noch Verständnis aufbringt. Wörtlich ist da nachzulesen, dass Guido Westerwelle zu dem umstrittenen Urteil, das besagt, dass religiöse Beschneidungen als Körperverletzung einzustufen sind, auf Distanz geht. Wörtlich sagte Westerwelle gegenüber Bild: „Das Kölner Urteil hat international Irritationen ausgelöst. Es muss klar sein, dass Deutschland ein weltoffenes und tolerantes Land ist, in dem die Religionsfreiheit fest verankert ist und in dem religiöse Traditionen wie die Beschneidung als Ausdruck religiöser Vielfalt geschützt sind.“ Vielleicht sollte mal jemand Herrn Westerwelle flüstern, dass man nicht jeden Schwachsinn gut heißen muss, der im Namen der Religion so getrieben wird. Möglicherweise ist es seiner geschätzten Aufmerksamkeit ja entgangen, dass sich Menschen im Namen der Religion auch selbst in die Luft sprengen. Wo fangen die Blödheiten an, wo hören sie auf, wer ist befugt Grenzen zu ziehen? So eine Beschneidung, Herr Westerwelle, ist für Frauen nicht nur eine Körper-, sondern auch eine Seelenverletzung! Und Ihre Worte sind (leider) Signale! Aber im Namen Allahs, da geht ja viel, wie wir wissen. Neuerdings auch in Ägypten und immer mehr…

Quo Vadis Ägypten – habe ich im Mai an dieser Stelle geschrieben. Noch hoffend, aber bangend, ahnend, es nicht wahrhaben wollend und doch sehend. Damals und schon davor und jetzt noch mehr ging Ägypten den sprichwörtlichen Bach runter. Immer mehr Nicht-Islamisten resignieren. Aber noch hat die Resignation nicht überall gesiegt. In einer jungen Journalistin brennt nach wie vor das Feuer. „Nichts und niemand wird mich aufhalten. Wenn ich dazu bereit bin, werde ich das zu Ende bringen. The Show must go on!“ – so Natasha Smith, die entweder vom jugendlichen Leichtsinn, vom Ehrgeiz oder von einem idealistischen Kämpferherz getrieben ist.

Wie dem auch sei, all jenen, denen diese Attribute abgehen, die aber mit Liebe zu Ägypten, gesundem Menschenverstand – der frei von jeglichen religiösen Wahnvorstellungen ist – und einem liberalen Geist ausgestattet sind, haben im Land am Nil grad nicht so gute Karten. Das Land selbst ist den Mächtigen nämlich ganz offensichtlich nicht so wichtig. Da nützen alle schönen Versprechungen nichts, wenn sich niemand um die wahren Probleme der Menschen kümmert. Dafür werden eifrig Ränke geschmiedet. Die große Schlammschlacht, bei der jeder den anderen beschuldigt die Verantwortung für Zwischenfälle wie jenen mit Nicole Smith und für alle anderen fürchterlichen Zustände zu haben, hat erst begonnen.

Auf der einen Seite die USA, auch Deckmantel der Israelis genannt, auf der anderen die Saudis, die durch die Finanzelite ebenfalls mit den USA verbandelt sind, europäische NGOs als „hilfsbereite“ Bindeglieder, dazwischen die Machtkämpfe zwischen Militär und Islamisten, eine allzeit und für vieles bereite Revolutionsjugend, Salafisten, Liberale und ein Tourismus, der ums Überleben kämpft, in dem die Animateure unverdrossen in die Hände klatschen und mit ihrem Publikum so tun als wär nichts. Was sollten sie auch sonst tun. Erstens ist die Welt am Roten Meer tatsächlich noch in Ordnung, und wenn zweitens jetzt auch noch der Tourismus einbricht, dann gute Nacht Ägypten. Finster ist es ohnehin schon, obwohl 365 Tage im Jahr die Sonne scheint!

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