Na endlich. Fast hätte man noch das Gefühl bekommen, der alte Haudegen Muammar al-Gaddafi kann seinen Kopf noch einmal aus der westlichen Schlinge ziehen, aber mehr als Zeit hat er nicht mehr gewinnen können. Die zu Freiheitskämpfern hochstilisierten Rebellen dürfen sich bei ihren Freunden aus dem Westen bedanken, dass sie sich nun um die Krümel der Erlöse aus den Erdölvorkommen balgen dürfen, während die wahren Gewinne die üblichen Verdächtigen einfahren werden. Die Rüstungs- und Militärindustrie hingegen muss sich nun von ihrem liebgewonnen Konjunkturpaket trennen. Jetzt gilt es, maximal vom Wiederaufbau des Landes zu profitieren.
Tripolis wurde die vergangenen Monate immer wieder Ziel von Nato-Bombardements, war über Wochen von sämtlichen Versorgungslinien abgeschnitten und dennoch trauten sich die Rebellen erst jetzt, Gaddafi, der seit über 40 Jahren über Libyen herrscht, in der libyschen Hauptstadt anzugreifen. Nachdem der Vormarsch der Rebellen zunächst gestoppt werden konnte, wollten diese bei ihrem finalen Angriff anscheinend keinen Fehler machen und sicherstellen, dass die Truppen Gaddafis vernichtend geschlagen werden. Nun also scheint es vollbracht, der böse böse Diktator, dessen Familienclan nach eigener Aussage den Wahlkampf vom französischen Charmeur Nicolas Sarkozy finanziert haben will, ist gestürzt. Somit ist nun die Zeit gekommen, einen Blick in die Zukunft Libyens zu werfen.
Die Abhängigkeit von den Erdöl-Erlösen ist unbestritten, Libyen generiert Schätzungen zufolge 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts mit dem Öl-Geld. Dementsprechend dürfte den großen Abnehmern des libyschen Öls und den neuen Herrschern des Landes sehr daran gelegen sein, dass die Produktion und die Verschiffung alsbald wieder anlaufen. Wie sich die politische Landschaft entwickeln wird, ist heute allerdings noch recht ungewiss. Sicher, die Hauptstrommedien erzählen immer wieder, dass jetzt eine Demokratisierung Libyens einsetzen werde. Nun wissen wir ja aus eigener leidvoller Erfahrung, dass es den westlichen Staatenlenkern eher weniger um Demokratie geht, schlimmer noch, dass diese die Demokratie immer mehr als Hemmschuh für ihre eigene Agenda verstehen. Anders ist beispielsweise die Verlagerung von Befugnissen nationaler Parlamente auf undemokratische europäische Institutionen nicht zu verstehen. Insofern ist es recht unwahrscheinlich, dass es einen wirklichen Demokratisierungsprozess in Libyen geben wird.
Ein Blick in die Geschichte gibt uns schon eher Aufschluss darüber, was die Libyer in den kommenden Monaten erwartet, nämlich schlichte Verteilungskämpfe. Jeder will jetzt an die Schmalztöpfe, schließlich mussten sie alle so lange auf diese Gelegenheit warten. Dass diese Verteilungskämpfe gesittet und in vernünftigen Bahnen ablaufen, kann ausgeschlossen werden. Eher dürfte sich die neue libysche Herrscher-Clique ein demokratisches Gewand von ihren Freunden aus Italien, Frankreich und den USA borgen, ehe sie ihre hässlich-undemokratischen Gesichter der Weltöffentlichkeit zeigen.
Der Nationale Übergangsrat, der bereits vor Monaten von Frankreich und anderen als offizielle Regierung Libyens anerkannt wurde, dürfte der Ort sein, aus dem sich die neuen Herrscher rekrutieren. Viele Mitglieder dieses Rats sind unbekannt, aus Angst vor den Gaddafi-Truppen. Nur wenige wissen also mit Sicherheit, wer diesem Übergangsrat überhaupt angehört. Dennoch sprangen Frankreich und Italien als eine der ersten Staaten den libyschen Rebellen zur Seite. Wir müssen also davon ausgehen, dass entweder Gaddafi zu viel über die schillernden Persönlichkeiten der westlichen Politik wusste und er deshalb von seinen Pflichten entbunden werden musste oder aber dass die Rebellen über pikante Informationen verfügen.
Natürlich könnte man es auch alles aufs Öl schieben, vielleicht werden ja ähnlich wie in Afghanistan demnächst auch ganz zufällig riesige Rohstoffvorkommen entdeckt.
Wie dem auch sei, der Raum für Spekulationen ist großzügig vorhanden. Auch vor dem Hintergrund, wie die noch zu findende libysche Regierung der Zukunft die Messlatte, die Gaddafi – im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern – doch relativ hoch gelegt hat, nicht nur erreichen, sondern abermals zu erhöhen gedenkt. Schließlich verfügt Libyen bereits über ein kostenloses Bildungssystem, in dem eine Schulpflicht zwischen dem sechsten bis 15. Lebensjahr besteht. Libyen ist bereits heute das Land mit dem niedrigsten Wohlstandsgefälle ganz Afrikas. Die Staatsverschuldung betrug 2009 sage und schreibe 6,5 Prozent des BIP von Libyen, einem Wert, bei dem wohl sehr viele Politiker aus dem Westen neidisch werden dürften. Ein vermeintlich demokratisches politisches System allein reicht jedenfalls nicht aus, um die Leute von der Demokratie zu überzeugen. Auch dies ist eine Erkenntnis, die aus den Erfahrungen mit den westlichen „Demokratien“ heraus erwachsen ist. Es ist somit mehr als fraglich, ob Italien und Frankreich geeignete Ansprechpartner für die neuen Herrscher des afrikanischen Landes sind.