Freitag , 29 März 2024
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Menschenrechte als Propagandamittel

bill of rightsSeit Tagen beherrscht der Fall des Chinesen Chen die Medien. Er ist mehrmals das Hauptthema der Tagesschau zur besten Sendezeit. Es scheint auf der Welt nach Ansicht der deutschen Medien- und Meinungsmacher keine größeren Probleme zu geben. Die Leiden des Herrn Chen und seiner Familie sollen hier nicht kleingeredet werden. Für ihn sind sie sehr bedeutend, denn sie betreffen ihn persönlich und direkt. Und wir als Nichtbetroffene sollten uns über sein Leid kein Urteil erlauben.

Dass es aber in der Welt dennoch größere Probleme gibt, ist sowohl den meisten Lesern als auch den Meinungsmachern bewusst. Und weil es diesen Meinungsmachern bewusst ist, denn sie sind nicht dumm, lässt das daraus schließen, dass es den Medien nicht um die Leiden des Herrn Chen geht, sondern um Anderes. Was dahinter stecken könnte, soll hier nicht der Gegenstand von Spekulationen sein.

Es ist es nicht wert, weil nach Timoschenko Chen kam und nach Chen wird sicherlich jemand anderes der Öffentlichkeit angeboten werden, mit dem die Menschen überzeugt werden können vom aufopferungsvollen Kampf des Westens für die Menschenrechte. Je inhaltsleerer und zweifelhafter dieser Show-Kampf wird, um so mehr scheint es, will man sich der Öffentlichkeit als einzigen Anwalt der Menschenrechte ins Bewusstsein bringen. Und Anhänger lassen sich immer noch genug finden, die sich missbrauchen lassen, Kriege zu unterstützen im Namen der Menschenrechte.

Oftmals sind es gerade solche Moralakrobaten, die die Verblendung unserer Vorfahren geißeln, weil diese sich haben gutgläubig in einen Krieg führen lassen, der für Ziele geführt wurde, die den Damaligen ebenso als höhere Ziele verkauft wurden wie uns heute. Sie schütteln den Kopf über jene Enthusiasten, die sich in den ersten Weltkrieg haben führen lassen, um dort für Deutschlands Platz an der Sonne zu kämpfen. Sie schütteln ihre Köpfe über all jene, die in früheren Zeiten sich haben in Kriege führen lassen, deren Hintergründe sie heute nicht einmal verstehen, aber selbstgefällig verurteilen. Aber sie selbst sind fest überzeugt, dass sie sich niemals für so etwas hergegeben hätten, und merken nicht, dass sie auf dieselben Methoden hereinfallen, wie ihre Vorgänger auch.

Die meisten dieser Menschen haben geglaubt, für eine gute Sache ihr Leben zu riskieren und das der anderen zu vernichten. Und alle die, die sie in die Kriege gejagt hatten mit hehren Parolen, haben sie immer über ihre wirklichen Absichten getäuscht.

Die Kreuzfahrer zogen aus zur Befreiung des heiligen Landes im Namen Gottes. Ob es überhaupt befreit werden wollte, wurde nicht hinterfragt. Auch nicht, ob es wirklich so unfrei war, das heilige Land, wie die Verfechter der Freiheit den Kämpfern für die Freiheit einredeten.

Die Amerikaner wollten im Namen der Freiheit die Vietnamesen von der Geißel des Kommunismus befreien und ganz Südostasien auch. Die GIs wussten zum Teil nicht einmal, wo Vietnam war, waren aber fest davon überzeugt, dass diese von ihnen befreit werden wollten. Erst im Krieg selbst mussten sie erfahren, dass die Vietnamesen ihrer Missionierung durch den American Way of Life so heftigen Widerstand entgegensetzten, dass die größte Supermacht der Welt mit blutiger Nase abziehen musste.

Diese Niederlage der USA in Südostasien war der Wendepunkt amerikanischer Propaganda und der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Man entdeckte die Menschenrechte. Diese hatten nämlich bis zu diesem Zeitpunkt in der US-Politik keine bedeutende Rolle gespielt. Denn im eigenen Land hatte man genau das getan, was man heute zum Anlass nimmt für Invasionen in anderen Ländern. Man hatte Krieg geführt gegen das eigene Volk. Im Namen der Freiheit scheuten sich die Regierenden nicht, zu Dutzenden amerikanische Landsleute zu erschießen bei Demonstrationen gegen den Vietnam-Krieg.

Ebenso waren Polizei und Nationalgarde der USA nicht gerade zimperlich gewesen beim Einsatz von Schusswaffen bei den Aufständen in den Ghettos der Schwarzen, bei den Aufmärschen der Bürgerrechtsbewegung, beim Kampf der Schwarzen für ihre Gleichbehandlung in der amerikanischen Gesellschaft.

Der Kampf gegen den Kommunismus heiligte jedes Mittel in Vietnam, in Laos, in Kambodscha und im eigenen Land auch. Während in den USA selbst noch Rassendiskriminierung herrschte, ähnlich der Apartheid in Südafrika, sollten die schwarzen Amerikaner aber in Südostasien ihr Leben lassen für die Befreiung der Vietnamesen von kommunistischer Unterdrückung.

Dass die herrschende Klasse der USA Angst hatte vor Enteignung, die sie mit dem Begriff des Kommunismus verband, war verständlich, denn sie hatte ja auch etwas, was enteignet werden konnte. Aber die Lage der Kleinbauern Südostasiens war eine ganz andere. Die hatten nichts, was ihnen genommen werden konnte. Die wollten eine Gesellschaft, die ihnen eine Lebensgrundlage geben konnte. Dabei war es ihnen egal, ob sich diese Gesellschaft kapitalistisch, sozialistisch oder kommunistisch organisiert. Sie sollte nur sicherstellen, dass sie überleben konnten und ihre Kinder eine Perspektive haben. Aber gerade das war den kapitalistischen Gesellschaften in Südostasien in all den Jahrzehnten ihrer Herrschaft nicht gelungen.

Welches Interesse also sollten die Vietnamesen an einem Krieg haben in ihrem eigenen Land zur Aufrechterhaltung eines Systems, von dem sie nicht mehr erwarteten als den Fortbestand ihres Elends? Die Niederlage in Südostasien machte es offensichtlich: Die Armen hatten keine Angst vor dem Kommunismus, weil sie nichts hatten, was er ihnen hätte nehmen können.

Und gleichzeitig mit dieser Niederlage in Südostasien mehrten sich weltweit die Zeichen, dass der amerikanische Kampf gegen den Kommunismus die Völker nicht mehr begeisterte. In den 1970er Jahren zerfiel das portugiesische Kolonialreich. Befreiungsbewegungen errangen die Macht, die sich den sozialistischen Staaten annäherten. Sogar im Mutterland Portugal drohte mit der Revolution der Nelken ein Sieg der Kommunisten. Er konnte dank der Hilfe der deutschen Sozialdemokratie verhindert werden.

In Chile hatte die nach westlichen Maßstäben gewählte Unidad Popular die Macht errungen und Verstaatlichungen auch amerikanischer Unternehmen eingeleitet. Sie wurde trotz ihrer demokratischen Legitimation durch freie Wahlen gestürzt durch das chilenische Militär mit tatkräftiger Unterstützung der USA. Das blieb der Weltöffentlichkeit nicht verborgen und auch die unglaublichen Verbrechen in Chile, Argentinien und anderen Ländern der Welt, die sich trotz dieser Verbrechen der Unterstützung der USA sicher sein konnten.

All diese Entwicklungen führten zu einem wachsenden politischen und ideologischen Einfluss der Sowjetunion. Es wurde immer deutlicher, dass mit plumpem Antikommunismus dem wachsenden Einfluss kommunistischer Kräfte nicht mehr zu begegnen war. Eine neue Ideologie musste her, eine neue Wertewelt, die die Menschen akzeptieren konnten und ihnen das Gefühl vermittelte, für etwas Gutes einzutreten, unabhängig von den machtpolitischen Blöcken, unabhängig von den Ideologien. Denn der Mensch will gut sein.

Nach dem verlorenen Vietnamkrieg stellte US-Präsident Jimmy Carter 1977 die Menschenrechte in den Mittelpunkt seiner Politik. Später gründete er das Carter Center für Menschenrechte, eine Denkfabrik für Menschenrechtspolitik. Dieser Einsatz für die Menschenrechte sollte den USA im Innern wie auch nach außen hin ein neues Ansehen verschaffen nach Watergate und all den außenpolitischen Misserfolgen des Roll-Back-And-Containment, also jener Zeit, als man mit allen Mitteln versucht hatte, das Vordringen des Kommunismus zu bekämpfen.

Diese Menschenrechtspolitik stieß anfangs in den USA auf wenig Gegenliebe in den herrschenden Kreisen, führte sie doch zu Konflikten mit Machthabern, die man bisher geschützt hatte, weil sie die Interessen der USA sicherten. Unter Präsident Reagan wurde zunehmend aber auch ihr Vorteil erkannt und genutzt in der ideologischen Auseinandersetzung mit der Sowjetunion und dem Sozialismus als Weltanschauung.

Das militärische Gleichgewicht zwischen den Blöcken hatte eine militärische Lösung des Systemkonfliktes zwischen Kapitalismus und Sozialismus als aussichtslos erscheinen lassen. Die Menschenrechtspolitik wurde in der Einseitigkeit ihrer Auslegung zu einer ideologischen Waffe, der die UdSSR wenig entgegenzusetzen hatte. Solange die Welten noch getrennt waren durch den Eisernen Vorhang, konnten sich die Menschen nur schlecht ein direktes und von den Medien ihrer Länder unabhängiges Bild machen über die Zustände in dem jeweils anderen Teil der Welt.

Das änderte sich mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers und der Öffnung des Ostens. Aber damit erfüllten die Menschenrechte nicht mehr die Funktion der ideologischen Auseinandersetzung, die ihr im Systemkonflikt zugekommen war. Heute dient sie immer offensichtlicher der Durchsetzung politischer und wirtschaftlicher Interessen des Westens gegenüber Staaten, deren Regierungen dem Interesse der führenden kapitalistischen Staaten an offenen Märkten nicht die erwünschte Bereitschaft entgegenbringen.

Die Feststellung von Menschenrechtsverletzungen und deren medienwirksame Bekämpfung dienen immer mehr als Vorwand für Sanktionen, die diese Regierungen unter Druck setzen sollen bis hin zur militärischen Intervention. Aber auch der eigenen Bevölkerung soll dadurch die Zustimmung zu Kriegen abgerungen und das Tragen der Kosten dieser Kriege versüßt werden. Denn wer möchte sich schon verunglimpfen und beschuldigen lassen, nicht für die Menschenrechte bereit zu sein, Opfer auf sich zu nehmen. Die Mehrheit der Menschen will, dass es auch den anderen gut geht. Aber dieser gute Wunsch der Menschen wird missbraucht für andere Interessen.

Das Eintreten für die Menschenrechte wird dadurch immer mehr zu einem einseitig angewandten propagandistischen Mittel. Die Regierungen von Syrien und Libyen werden unter dem Vorwand bekämpft, sie führten Krieg gegen das eigene Volk, die von Bahrain und Jemen nicht. Unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung wurde Afghanistan überfallen, obwohl im befreundeten Pakistan der Terror zu Hause war. Das fundamentalistische Mullahregime des Iran, das sich amerikanischem Einfluss verschließt, wird bekämpft unter dem Vorwand des Eintretens für die Menschenrechte, während das saudische, nicht minder fundamentalistische und menschenrechtsverletztende den Schutz amerikanischer Truppen genießt.

Die Menschenrechtspropheten des Westens sprechen mit gespaltener Zunge. Was im Falle Syriens und Libyens Freiheitskämpfer sind, die unterstützt werden müssen, sind im Jemen und Bahrain Terroristen, obwohl sie sich derselben Mittel und Methoden bedienen und für dieselben Freiheiten und Ziele kämpfen. Der Unterschied liegt weder in den Methoden oder Zielen des Kampfes, sondern einzig in den Interessen derer, die sie zu Freiheitskämpfern oder Terroristen stempeln.

Aber die Menschenrechtskampagnen gegen China, Russland, Syrien, die Ukraine und andere haben neben dem politischen auch einen wirtschaftlichen Hintergrund. Der Einfluss westlicher Firmen und westlichen Kapitals wird in diesen Ländern nur in dem Maße zugelassen, wie sie deren nationalen Interessen dienen. Die meisten westlichen Medien werden auf diesen Märkten überhaupt nicht geduldet. Damit ist ihnen auch deren riesiges Geschäftspotential verschlossen. Die Kampagnen für Menschenrechte und Meinungsfreiheit sind nicht zuletzt der Kampf für das Recht der westlichen Medien, dort ihre Medien mit ihren Meinungen verkaufen zu können. Denn Meinungsfreiheit ist auch ein Geschäft mit Druck-Erzeugnissen, Fernsehrechten und vor allen Dingen das Geschäft mit den Werbeeinnahmen.

Während die USA sich starkmachten für Herrn Chen, was diesem von Herzen zu gönnen ist, und Frau Clinton ihr Land als die Fackel der Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte versuchte auszuloben, wurden in Guantanamo die Prozesse wieder aufgenommen gegen Menschen, die seit über zehn Jahren dort inhaftiert sind und denen all die Rechte vorenthalten werden, für die Frau Clinton in China kämpft. Die westlichen Medien überbieten sich im Medienrummel um Herrn Chen. Dass in Guantanamo weit größeres Unrecht geschieht, interessiert sie nur noch am Rande. Wie will Frau Clinton Herrn Chen in China helfen, wo sie über keine Macht verfügt, wenn ihre Regierung nicht einmal in der Lage ist, im eigenen Lande die Standards durchzusetzen, die sie von der chinesischen Regierung fordert? Nach den neusten Nachrichten hat China der Ausreise von Herrn Chen zugestimmt. Wann dürfen die Gefangenen von Guantanamo aus den USA ausreisen?

 

Bücher des Autors:

Kolonie, Konzern, Krieg – Stationen kapitalistischer Entwicklung

Zukunft Sozialismus

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