Freitag , 29 März 2024
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Gehört der Islam zu Deutschland?

muslims saudi arabiaVolker Kauders Äußerung, dass dem nicht so wäre, schlägt die zu erwartenden Wellen. Wie bei derartigen Themen üblich, verlieren sich die Kritiken in Oberflächlichkeiten. Eine einfache Antwort ist auf die besagte Frage allerdings wirklich nicht zu finden. Schließlich überschneiden sich dabei zwei Bereiche, die schwer zu harmonisieren sind: Vernunft und Dogma! Wer bestimmt, was zu Deutschland gehört? Nach welchen Kriterien? Lässt sich von einer Gemeinschaft sprechen, wenn ihre Mitglieder völlig konträren Weltbildern folgen? Lassen Sie mich dazu einige Gedanken äußern.

Gerade in Deutschland ist es ziemlich heikel, sich mit der Frage zu befassen, in welcher Form nationale Identität sich ausdrückt bzw. sich ausdrücken darf. Begeben wir uns gedanklich somit in ein neutrales Land, die Schweiz, und überlegen wir, wie ein Schweizer vor einigen Jahrzehnten auf die Frage reagiert hätte: Soll der Islam zum Bestandteil des heimischen Kulturgutes werden?

Warum vor einigen Jahrzehnten, warum nicht heute? Nationales Kulturerbe unterlag im Laufe der Geschichte immer wieder Veränderungen, Erneuerungen, Bereicherungen. Doch meistens vollzogen sich solche über mehrere Generationen. Auch das Christentum hat den Glauben an Wotan und das Praktizieren von druidischem Schamanismus nicht während der Lebensspanne einer einzigen Generation abgelöst. Dieser Prozess erstreckte sich über Jahrhunderte. Und wirklich ausgemerzt wurden die Reste alter Überlieferungen letztendlich erst durch die nicht ganz so „heiligen“ Maßnahmen der Inquisition. Heutzutage, dank der Hilfe bei der Meinungsfindung durch die Massenmedien, lassen sich Veränderungen wesentlich effizienter steuern. Kinder unterliegen deutlich mehr Einflüssen, die außerhalb des eigenen Hauses entspringen, als denen der Familie.

Wer seine persönlichen Erfahrungen seit mehreren Jahrzehnten sammelt, der weiß, was sich in unserem gesellschaftlichen Leben alles verändert hat. Während die ältere Generation diese Vorgänge mit gewisser Skepsis beobachtet, sind jüngere Menschen meist restlos überzeugt, dass es sich bei jeder Erneuerung selbstverständlich auch um eine Verbesserung handeln muss. Volker Kauder, Jahrgang 1949, dürfen wir dabei zugestehen, dass seine Meinung wohl eher auf Erfahrung basiert und nicht so sehr auf Indoktrinierung.

Doch kommen wir zum Kern der Frage: Gehört der Islam zu Deutschland?

Welches Weltbild ist deutsch? Das traditionell christliche? Das rational materialistische? Wenn ein Ausländer an einen Deutschen denkt, schwebt ihm dabei ein Mensch vor, der zur Gebetsstunde einen Kniefall in Richtung Mekka ausführt? Oder tut all dies nichts zur Sache? Reicht es aus vorzugeben, sich als Deutscher zu fühlen, gleichzeitig jedoch eine fremde Sprache zu sprechen, dem Muezzin zu lauschen, den Konsum von Schweinefleisch und Alkohol ebenso zu verachten wie die nicht islamgerechte Kleidung deutscher Frauen? Schließlich könnte es durchaus sein, dass es bloß von Bedeutung ist, in Deutschland zu arbeiten und seine Steuern zu bezahlen, um Teil des Landes zu sein.

In anderen Weltregionen hat es sich schon mehrfach unter Beweis gestellt, wie explosiv die Situation sein kann, wenn verschiedene Glaubenskonzepte nebeneinander existieren. Große Teile Indiens litten über Jahrhunderte unter arabischer Fremdherrschaft, abgelöst durch die britische. Ein nennenswerter Anteil der Bevölkerung war der Islamisierungspolitik der ursprünglichen Besatzungsmächte gefolgt, worauf, während der letztendlich erfolgreichen Unabhängigkeitsbestrebungen zu Zeiten Gandhis, ein blutiger Konflikt zwischen indischen Hindus und indischen Muslimen entbrannte. Nicht selten wurde die Unterdrückung und Ausbeutung durch die Briten als unumgänglicher Schutz der muslimischen Minderheiten gerechtfertigt.

Beim religiösen Glauben eines Menschen handelt es sich keineswegs um ein Hobby, das sich auf einen Teilbereich des Lebens beschränkt, wie etwa die Leidenschaft für bestimmte Musikrichtungen oder Sportarten. Der Glaube korrespondiert mit der Vorstellung über den Sinn des Daseins. Dabei spreche ich nicht von jenen Menschen, die bestimmten Konzepten Respekt entgegenbringen, sondern denjenigen, die sich ihrem Glauben restlos hingeben. Die jedes einzelne Gebot unangezweifelt befolgen – und die gleichzeitig jeden Anderen, der sich nicht so verhält, als Sünder, als Ungläubigen verachten. Findet sich ein Kommentator zu diesem Artikel, der erklärt, dass er zwar selbst Muslim ist, die Lebensgewohnheiten und Ansichten seines deutschen Gastvolkes aber durchaus respektiert, dann gehört er zweifelsfrei der ersten Gruppe an, wie der Christ, der die Lehren Jesus respektiert, aber trotzdem niemanden verachtet, der seine Ansichten nicht teilt.

Spannungen entstehen zwischen Bevölkerungsgruppen, denen es, meistens auf Mangel an Bildung und/oder Intelligenz beruhend, Andersdenkenden gegenüber an Toleranz fehlt.

Doch auch Toleranz unterliegt Schwankungen. Nehmen wir an, ein Dorfbewohner findet es keineswegs störend, dass ein Teil seiner Nachbarn nach völlig anderen Grundsätzen lebt. Er grüßt freundlich, führt Gespräche, bemüht sich sogar, mehr über die Denkweise seiner neuen Mitbewohner zu lernen. Doch plötzlich steckt eine radikale Gruppe die Kirche in Brand. Würde so ein Vorfall die Toleranzwerte nicht entscheidend verändern?

Wäre es vielleicht möglich, dass der seit wenigen Jahrzehnten so geförderte Multikulturalismus vielleicht auch dem Zwecke dienen könnte, Kontrollmechanismen über die gesamte Bevölkerung zu intensivieren? Wenn sich die unterschiedlichen Weltbilder verschiedener Gruppen nicht harmonisieren lassen, dann bedarf es Regelungen, Verordnungen, Gesetze, die mögliche Ausschreitungen schon im Keim ersticken. Saddam Hussein ist dies im Irak durchaus gelungen. Beim Übergang von diktatorischer zu demokratischer Ordnung handelt es sich wohl um einen Prozess, der auf einige Zeit den Druck der Obrigkeiten vermindert, wodurch ein brutaler Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten entbrannte, der bereits Tausende von Todesopfern forderte. Und die ideologischen Differenzen zwischen diesen beiden Gruppen sind dabei keineswegs so gravierend wie zwischen Muslimen und Christen oder auch Muslimen und Atheisten.

Wir können aber noch einen großen Schritt weiterdenken. Wie schon erwähnt, religiöser Glaube spiegelt das Weltbild wieder. Zumindest bis ins späte 19. Jahrhundert, als die Mehrzahl der Menschen ausschließlich mit ihrer näheren Umgebung vertraut war, ließen sich Dogmen problemlos aufrecht erhalten. Im Laufe des 20. Jahrhunderts, enorm beschleunigt durch den jüngsten Informationsfluss im Internet, lassen sich die verschiedenen Weltbilder jedoch mit sehr geringem Aufwand vergleichen. Und dabei entsteht eine völlig neue Frage: Wie ist es möglich, dass, sich widersprechende, Ansichten nebeneinander weiterbestehen? Wenn Hunderte von Millionen überzeugt sind, es gibt keinen Gott, keinen Geist und keine Seele. Gleichzeitig zweifeln Hunderte von Millionen nicht daran, dass Jesus für ihre Sünden am Kreuz gestorben sei. Weitere Hunderte Millionen halten sich an eine Passage im Koran, die erklärt, dass Jesus nicht an einem Kreuz gestorben sein kann, weil er sonst seine Seele verloren hätte. Und gleichzeitig erachten sie die Schriften, die auf ihren Propheten Mohammed zurückgehen, als die einzig gültige Wahrheit. Dann gibt es noch ein paar hundert Millionen, die den vedischen Schriften ihr Vertrauen schenken, in denen die Essenz des Seins wiederum anders dargestellt wird, in einer Form, die durch die Quantenphysik übrigens immer mehr Bestätigung findet. Und dazu kommen die Ansichten der Buddhisten, der Anhänger Zoroasters, der Taoisten und noch vieler Anderer.

Der Rationalist geht davon aus, dass es sich bei jedem anderen Weltbild um Aberglauben handelt. Der Christ verachtet Andersdenkende als Heiden, als gottlos oder als anderwertig verirrt. Der Muslim bezeichnet jeden anderen Glauben als Unglauben.

All diese Denkweisen, vom Atheismus bis hin zu jeder einzelnen Religion, Schamanismus eingeschlossen, enthalten einen Teil der Wahrheit, im Sinne eines Gesamtbildes des Seins und Daseins. Bei näherer Analyse lassen sich problemlos Unmengen von Parallelen erkennen – und wie schon kurz angeschnitten, auch die moderne Wissenschaft ist ein wesentlicher Bestandteil der Wahrheitsfindung, sobald sie sich vom Dogma der rein materiellen Existenz löst, wie es u. a. in der Quantenphysik der Fall ist.

Sollte die voranschreitende Globalisierung nicht dazu dienen, das zu finden, was die ganze Menschheit verbindet? Sollte sie nicht helfen, die positiven Elemente des Kapitalismus mit durchaus existierenden positiven Elementen des Kommunismus ebenso zu verbinden, wie die zweifellos zu respektierenden Weisheitsfunken, die sich in jeder einzelnen Religion finden? Wenn derartige Bestrebungen nicht bald in die Wege geleitet werden, wäre es dann noch glaubhaft, dass die Globalisierung einem anderen Ziel dienen könnte als dem Ausbau der Macht einer Elite von „internationalen Investoren“, die sonderbarerweise nie beim Namen genannt werden?

Erscheint es jetzt aber als Unsinn, in einer einheitlichen Welt sich widersprechende Weltbilder aufrecht zu erhalten, wie unsinnig ist es somit, innerhalb eines Landes, in dem die Bevölkerung auf ein gemeinsames Kulturgut, auf ein nationales Erbe zurückblicken kann, das Etablieren konträrer Weltbilder zu fördern?

Erster Schritt wäre, jeden jungen Menschen im Schulunterricht über die Essenz der verschiedenen Glaubensrichtungen aufzuklären. Ihn zum Denken und zum eigenständigen Weiterforschen anzuregen. Insbesondere öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten könnten ebenfalls ihren Beitrag dazu leisten und den Menschen andere Weltbilder vor Augen führen, bestehende Dogmen dabei in ihrem Ursprung und ihrer Entwicklung zu analysieren und verständlich zu machen. Wie erwähnt, jeder Glaube verfolgt im Kern dieselben Ziele. Und selbst beim modernen Atheismus handelt es sich um einen Entwicklungsschritt, der dazu beiträgt, zu Dogmen abgeglittene Schöpfungstheorien von einem anderen Blickwinkel aus neu zu entdecken.

Der Islam, wie er von einem großen Teil seiner Anhänger heutzutage praktiziert wird, gehört zu Deutschland – und zu jedem anderen westlichen Staat – genauso wenig wie das christliche Weltbild des Mittelalters. All den lauten Kritikern, die sich hierbei zu Wort melden, rate ich dringlich, sich mit dem Thema eingehender auseinanderzusetzen und nicht bloß Schlagworte vor sich hinzuplappern.

Wie sollten Menschen friedlich miteinander leben können, wenn eine Gruppe darauf besteht, die Farbe des Himmels als rot zu bezeichnen, während die andere überzeugt ist, der Himmel sei blau? Wenn eine Gruppe auf eine schmerzlose Tierschlachtung besteht, während die andere Rinder zu Tode bluten lässt? Der Gegensätze ließen sich Hunderte anführen. Auch wenn sie heute noch keine Konflikte mit sich bringen, die Glut, die zum Ausbruch eines Feuers führen könnte, bleibt solange bestehen, solange die Menschheit als Ganzes nicht zu einem neuen, zu einem besseren und tieferen Verständnis hingeführt wird. Eine Diskussion darüber zu entfachen, inwieweit dogmatische Weltbilder in ein modernes Deutschland passen, hilft in diesem Sinne nicht im geringsten, ein friedliches Miteinander zu fördern. Gegensätze müssen aufgelöst werden, anstatt Menschen zu zwingen, mit ihren Gegensätzen nebeneinander zu leben. Dabei sollte es sich um das wahre Ziel der Globalisierung handeln. Und der erste Schritt dazu sollte im eigenen Land erfolgen. Sobald sich ein umfassendes Verständnis eines Tages verbreitet hat, wird es wohl wenig Unterschied machen, bei welchem Namen der Einzelne die kosmische Intelligenz, von der er selbst Teil ist, letztendlich nennt.

Doch, um all dies in die Wege zu leiten, wird es wohl notwendig sein, den Menschen als Teil der Schöpfung zu respektieren. Solange es vorrangig darum geht, ihn als produktiven Bestandteil dem Mechanismus zur Vermögensbildung, genannt Wirtschaft, zuzuführen, solange er als „Humankapital“ eingestuft wird, ist den Autoritäten mehr daran gelegen, seine Produktivität und seine Bereitschaft zur Unterordnung zu fördern, mit Sicherheit jedoch nicht seine Denkfähigkeit.

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