Heute habe ich mich mit einem Neuseeländer unterhalten. Und da mein Akzent nicht zu verbergen ist, tauscht man sich am Ende doch immer über seine Herkunft und die Welt aus. Er hat Südafrika bereist, Johannesburg und Capetown. Das sei ein Abenteuer gewesen lächelt er. Doch beim nächsten Gedanken wandelt sich sein Gesicht und zeigt bittere Melancholie. Die Häuser meint er, die Häuser dort seien entweder umzäunte Prachtvillen mit hohen Zäunen oder prekäre Bretter- und Blechbuden. Nur Arm oder Reich, nichts dazwischen. Die Reichen hätten Wachhunde und Security-Leute. Er erzählt von Glasscherben, die oben auf den Mauern einbetoniert seien. Das kann er einfach nicht fassen – und ich bemerke erschreckend meine Gelassenheit.
Ich nehme die Nachricht von dieser Ungerechtigkeit ziemlich undifferenziert auf. Das war mir bekannt. Es erregt mich zwar, sicher, doch ich habe mich nie zum Handeln genötigt gefühlt. Ich muss es mir eingestehen: Ich bin ein Ignorant. Es interessiert mich zwar, was in Afrika läuft, doch dieses Interesse war nie ein teilhabendes und kritisches Interesse. Und je mehr ich darüber nachdenke, interessiert es mich nicht, was in der Welt läuft, solange mir in meiner Umwelt alles genehm ist.
Nun haben auch die Deutschen ihre Probleme, welche einige auf die Straße zum Protest treiben und generell die Kritik am System von Schulden und Zinsen allerorts hören lässt. Sogar Universitätsprofessor Harald Lesch, seines Zeichens Astronom, spricht in „Abenteuer Forschung“ von „Kapitalverbrechen“ wenn er an die Finanzmärkte denkt. Ein schwieriger Schritt ist getan: Die Aufklärung hat Einzug gehalten, dass Demokratie in den Mündern von Politikern und Konzernvorständen bloßer Hohn ist und unsere Stimme nichts mehr zählt. Es bleibt ein Kampf, der gegen die schlichte Verdummung der Privat-Medien ewig andauern wird. Doch wir empören uns nicht genug, um etwas zu verändern!
Seit Jahren wird Kritik am ökonomischen System der westlichen Welt gehegt, doch war diese Kritik niemals populär genug, um sich durchzusetzen. Die 68er haben sich in den 80ern politisch konformieren lassen und die 90er waren von der Erinnerung an einen gescheiterten Sozialismus geprägt – dessen Scheitern medial aufgebauscht wurde. Vereinzelte Stimmen der Mäßigung oder Abkehr vom Mammon – zuvorderst aus den Reihen der Linken, wie Gysi und Lafontaine – wurden belacht und verspottet.
Stimmen von solchen, die man nicht belachen oder verspotten konnte, wurden regelrecht abgewürgt. Horst Köhler, ehemaliger Bundespräsident und IWF Vorsitzender, wagte Imperialismuskritik auf seiner Heimreise von Afghanistan. Und weg war er. Doch keiner hat vor seiner Villa gestanden und gegen seine Absetzung demonstriert. Bei Michael Jackson schon. Der Mann ist seit einer langen Zeit unter der Erde und vor einem Gericht in Los Angeles war es den Menschen das Wichtigste, einem einzigen Menschen ihre Verachtung zu erklären: dem ehemaligen Arzt Jacksons.
Wo liegt das Problem? Politik ist nicht populär. War sie noch nie. Sie ist kein Entertainment, wie die Gladiatorenkämpfe im alten Rom. Wo wir bei einer Ausnahme wären: Berlusconi. So, wie Michael Jackson, gab er dem Volk, was es offenbar braucht, um sich für die politische Bühne zu interessieren: Emotionen. Selbst wenn sie negativ besetzt sind.
Die Wahrheit ist so einfach. Und wenn jeder sie einfach erklärt bekäme, wie Henry Ford meinte, würde die Welt schon vor Jahrhunderten gebrannt haben. Nehmen wir die Fugger – die kaiserlichen Bankiers im 14. Jahrhundert: „Ich gebe dir fünf Münzen, damit du eine Woche zu essen hast, und nehme täglich eine Münze als Zins.“ Was der Bankier verschweigt: „Von deinem Zins kann ich mir täglich zu essen kaufen – und allen ist geholfen. Damit ernährst du dich von meinem Darlehen – und mich, den Bankier, gleich mit.“ Derjenige, der Geld leihen muss, arbeitet also für sein Brot und für das Brot des Darleihers, indem er Zinsen zahlt. So ist die Welt schon seit langem und warum sollte sie sich ändern?
Lassen wir uns auch die kommenden Jahrzehnte weiterhin wie die Ochsen durch die Manege ziehen? Eine Ursache davon ist, dass Menschen belogen werden wollen, weil sie eitel sind. Die Wahrheit ist anstrengend und man begnügt sich zu oft mit dem Hinweis auf die Kompliziertheit des Prozesses. Es ist für den Menschen einfacher, den Körper schuften zu lassen als den Geist. Wir diskutieren nicht, denn wir verstehen nichts von der Kompliziertheit selbst; gelegentlich denken wir, dass es eigentlich doch einfach ist, oder nicht? Sicher sind wir uns nicht und aus Eitelkeit schweigen wir. Und doch ist nichts kompliziert. Wir haben nur verlernt, zu fokussieren, weil wir auf bunte Plakatwände, Fernseher, Bildschirme und Touch-Screens starren, anstatt uns um die wichtigen Dinge zu kümmern: die politischen Entscheidungen, unsere Familien und unser eigenes, wirkliches Wohlbefinden. Happiness is a state of mind – sie kommt von innen heraus. Das ist schwere Arbeit. Wir lassen uns lieber vor den Karren und in ein Netz von Verordnungen spannen – denn wir haben es nicht so mit der Mündigkeit, sie macht uns Angst. Wir sind absurd.
Für das akute Problem, die Finanzkrise, empfehle ich eine ebenso einfache Lösung: Schuldenschnitt. Uns ist allen klar, dass die Schulden aus dem Nichts entstanden sind und genau da sollen sie auch enden. Merkel und Sarkozy – die Unfähigkeit in Person – werden abgesetzt, Neuwahlen. Wer entscheidet denn über den Thron in einer Demokratie? Und wenn mich ein „Wirtschaftsweiser“ nun als naiv herabsetzen möchte, behaupte ich es doch: Die Krise ist ein Theater. Das Geld, das Staaten schulden, schulden sie privatrechtlich organisierten Banken, inzwischen Verbrechern, die leer ausgehen können. Wo liegt das Problem, wenn 1% der Bevölkerung ihre Schulden nicht bezahlt bekommt und ganze Volkswirtschaften wieder schuldenfrei beginnen? Die Welt besitzt noch immer Güter im Überfluss – Geld hat daran nichts geändert. Wir brauchen Geld nicht. Stattdessen werden nun Banknoten gedruckt, um die Schulden bezahlen zu können. Irrsinn, den wir hinnehmen. Oder bin ich und alle übrigen 99% nur naiv und ahnungslos?