Samstag , 20 April 2024
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Geldsystem – Diffamierungen, konstruierte Argumente und Gegendarstellungen

euro_unter_lupeMehr und mehr fällt auf, dass sich die Zeit stupider Geldsystem-Ignoranz dem Ende zuneigt. Versteht man es als sein Anliegen, über die fehlerhafte und unsoziale Struktur des bestehenden Geldsystems aufzuklären, so kennt man diesen Effekt zu Genüge: Anstatt, dass die Adressaten sich für die gesellschaftlich eigentlich doch recht bedeutende Information bedanken, winden sie sich wie kleine Kinder, die keinen Spinat essen wollen. Frei nach dem Motto: Was nicht sein darf, kann nicht sein! Die zwanghafte Aufrechterhaltung des eigenen Weltbildes ist schließlich wichtiger als eine Erkenntnis.

Nun endet die sogenannte „Eurokrise“ natürlich nicht, und – oh Wunder – weltweit geraten immer mehr Staatshaushalte an den Rand der Überschuldung. Wer hätte das gedacht, in einem Geldsystem, in dem mathematisch bedingt Geldmengen und somit Schuldenstände exponentiell steigen müssen? Und wer hätte denn wissen können, dass dies ungerecht sein könnte; dass es sich bei einem solchen Geldsystem eben auch um ein Enteignungssystem von Arbeitskraft und physischen Werten handelt?

Nun ja, im Internet steht all dies schon recht lange. Unzählige Quellen gibt es hierfür. Und genau so lange wird diese Debatte auch schon mit stumpfen Diffamierungen, Unterstellungen und pseudo-intellektuell-verquasteten Warnungen garniert. Und was machen die ehemaligen Geldsystem-Ignoranten nun, nachdem sie endlich ihre Ignoranz aufgeben? Selbst denken? Mitnichten! Natürlich werden nun all jene bereits vorformulierten Scheinargumente und Unterstellungen herausgekramt, die nun doch irgendwie noch belegen sollen, es gäbe im Geldsystem keine Probleme, die man thematisieren sollte. Für diesen Zweck ist das Internet dann natürlich plötzlich eine seriöse Quelle. Wenn es um den Schutz des eigenen Weltbildes geht, scheinen meist andere Maßstäbe in die Bewertung von Information einzufließen, als wenn es um Erkenntnisse geht, die im Kern ausdrücken: So geht es nicht weiter!

Um den Lesern ein mühsames Verstolpern in den eifrig ausgehobenen Schlaglöchern der Geldsystemdebatte zu ersparen, werden im Folgenden die Highlights eben jener Kampagne dargestellt und kurz entkräftet. Im besten Fall werden so zusätzliche Ressourcen für die eigentlich viel wichtigere Frage freigesetzt: Wie kann man es denn besser machen?

Die Highlights der Scheinargumente in Sachen Geldsystem

Der Knaller gleich zuerst: Geldsystemkritik, fälschlicherweise dann als „Zinskritik“ bezeichnet, sei „strukturell antisemitisch“, denn man wolle ja eigentlich zwischen „schaffendem“ und „raffendem“ Kapital unterscheiden und den Geldbesitzern unterstellen, sie würden – eventuell gar in einer großen Verschwörung – den Rest der Menschheit planmäßig ausbeuten.

Gegendarstellung: An der Wortwahl dieser Argumentationsführung, die stets dieselbe ist, erkennt man, wie sehr dieser Einwand konstruiert ist. Gleichsam haben zahlreiche „Intellektuelle“ endlose Pamphlete über eben jenen Antisemitismusvorwurf verfasst, stets ohne eine grundlegende Sache zu berücksichtigen: Das Geldsystem als solches ist nun einmal fehlerhaft und ungerecht und führt zentrifugal zu einer Ungleichverteilung der Geldvermögen. Es handelt sich dabei um einen mathematischen Effekt, und weder Geldbesitzer noch Banker tragen dafür eine Verantwortung. Sie sind lediglich materielle Profiteure dieses Systems. Wenn man sich schon die Schuldfrage stellt, sollte man eher den homo ignorans weiter thematisieren, den Ignoranten des fehlerhaften Geldsystems. Und wen wundert es: Das wären dann wohl rund 90% der Bevölkerung.

Zudem gilt: Wenn die Menschen die Fehlerhaftigkeit des bestehenden Geldsystems nicht verstehen, droht meist eine „Hexenjagd“; wird für gewöhnlich die Schuld einer privilegierten Minderheit in die Schuhe geschoben. Man selbst kann es ja nicht gewesen sein – man hat ja schließlich immer alles richtig gemacht. Vielleicht hat man sich ab und zu mal etwas ignorant verhalten, aber das kann es ja nicht gewesen sein.

 

Die „kritische“ Variante des Vorwurfs: Bei der Geldsystemkritik (auch dann gerne wieder als „Zinskritik“ umgedeutet) handele es sich um eine „Verkürzte Kapitalismuskritik“. Einfach ausgedrückt: „Du dachtest zwar, du hast es verstanden, aber eigentlich bist du zu doof dafür; musst erst 10 Jahre lang Marx gelesen haben – die gesammelten Schriften versteht sich – und ohnehin ist Kapitalismus ja so schrecklich komplex, dass es keine einfachen Antworten geben kann.“

Gegendarstellung: Ja, Kapitalismus ist komplex und eine umfassende Kapitalismuskritik beinhaltet natürlich mehr als der Blick auf das Geldsystem. Genau genommen sind Kapitalismuskritik und Geldsystemkritik sogar zwei verschiedene paar Schuhe: Während die klassische Kapitalismuskritik – ausgehend von Marx – den Blick auf die Wirtschaftsordnung und auf die Eigentumsverhältnisse der Produktionsmittel richtet, thematisiert die Geldsystemkritik die Ungerechtigkeit und Fehlerhaftigkeit des Geldsystems. Beides muss nicht in Konkurrenz zueinanderstehen – lässt sich sogar verbinden, worin im Übrigen der Königsweg einer umfassenden Systemkritik besteht. Menschen, die die Keule der „Verkürzten Kapitalismuskritik“ schwingen, haben meist etwas Wesentliches nicht verstanden: Den Unterschied zwischen notwendiger und hinreichender Bedingung. Soll heißen: Ein demokratisches, gerechtes Geldsystem ist für eine funktionierende Demokratie von Nöten, es ist aber nicht das einzige derzeitige gesellschaftliche Subsystem, das umkonstruiert werden muss. Dies wird aufgrund falscher Rückschlüsse oft nicht verstanden oder ausgeblendet.

 

Unterstellung falscher Aussagen, zum Beispiel: „Ohne Geld geht es nun mal nicht“, „Das Wesen des Geldes wurde nicht vollständig erfasst“, „Man kann den Zins nun mal nicht abschaffen“, „Das ist nicht realistisch“, etc.

Gegendarstellung: Derlei Einwände werden in der Regel von Menschen formuliert, die sich nicht mit den Ausgangsargumenten der aufgeklärten Geldsystemkritik auseinandergesetzt haben. Diese lauten im Kern, wie schon erwähnt, und unter anderem hier näher dargestellt: Im bestehenden Geldsystem führt das undemokratisch verteilte Recht der Buchgeldschöpfung in Verbindung mit dem Zinseszinseffekt zu massiver Ungerechtigkeit. Außerdem müssen die Geldmengen mathematisch bedingt ständig steigen, was – da es sich um zwei Seiten derselben Medaille handelt – auf der Gegenseite zu exponentiell steigenden Schuldenständen führt.

Nun ist der naheliegende Schluss daraus, zunächst einmal ein Geldsystem – also ein Bezahlsystem für Handel – zu etablieren, dass diese Fehler nicht in sich trägt. Es gibt zwar auch Ideen geldfreier Kooperationsgesellschaften, jedoch muss durchaus bezweifelt werden, dass die Menschheit schon zu so einem Modell fähig wäre.

Auch gilt: Ein fertiges Alternativsystem existiert derzeit noch nicht. Der Vorwurf, alternative Ansätze seien unrealistisch, greift deshalb nicht. Denn eben jene Ansätze müssen erst einmal entwickelt werden. Hierzu bedarf es einer ernsthafteren, gesamtgesellschaftlichen Geldsystemdebatte, aufbauend auf den rudimentären Vorschlägen, die es bereits gibt.

 

Klassische Diffamierungen: Bei Geldsystemkritikern (dann auch gerne wieder „Zinskritiker“ genannt) handele es sich stets um „Gesellianer“, „Esoteriker“, „Spinner“, „Goldverkäufer“, „Verschwörungstheoretiker“, „Untergangspropheten“, etc.

Gegendarstellung: Besonders der Vorwurf „Gesellianer“ zu sein, wird dabei oft paranoid verbreitet. Was genau ein „Gesellianer“ sein soll, ist dabei meist eher zweitrangig. Aus dem panisch-warnenden Duktus lässt sich allerdings ableiten: Ein „Gesellianer“ muss etwas ganz, ganz Schreckliches sein, wohl so etwas wie eine yeti-artige Kreatur, von Grund auf böse, verklärt, verrückt gar, jedenfalls unbedingt vom Diskurs fernzuhalten.

Zur Einordnung: Bei Silvio Gesell handelte es sich um einen Freiwirtschaftler des späten 19. Jahrhunderts/ frühen 20. Jahrhunderts, der selbst von John M. Keynes höchste Würdigung erfuhr. Gesell gilt als Ideengeber des „Wunders von Wörgl“, ein recht erfolgreiches Regio-Geld-Experiment aus dem Jahre 1932. Während Gerichte das Experiment bald verboten, wurde Gesell selbst schnell mit kruden Antisemitismusvorwürfen überzogen – alle die es wagten, seine Ideen weiterzudenken oder Gesells Werk zu zitieren ( = „Gesellianer“?) ebenfalls. Diese Keule wird bis heute geschwungen.

Ansonsten ist es natürlich so, dass die Thematik des Geldsystems von den verschiedensten Subkulturen aufgegriffen wird. Die Tatsache, dass dies so auffällig ist, hat aber lediglich ihren Ursprung darin, dass versucht wird, die Problematik aus dem gesellschaftlich-medialen oder gar wissenschaftlichen Mainstream herauszuhalten.

 

Geldsystemkritik im Zuge der sogenannten „Occupy-Bewegung“: Gleich nach den ersten größeren Demonstrationen am 15. Oktober 2011 fiel auf, dass den Demonstranten vorgehalten wurde, sie würden zu einer „verkürzten Kapitalismuskritik“ neigen. Der Beweis: die Demoplakate, auf denen meist nur kantige, undifferenzierte Sprüche vermerkt waren.

Gegendarstellung: Sinn und Zweck von Demonstrationen ist es, gesellschaftlichen Missständen plakativ Ausdruck zu verleihen. Niemand kann von Demonstranten erwarten, Marxens Kapital als Gesamttext auf einem Plakat durch die Stadt zu tragen. Der Vorwurf, auf Demonstrationsplakaten würde verkürzte Gesellschaftskritik geübt werden, ist daher reichlich unkreativ, geradezu verbrämt. Für umfassende Debatten gibt es nun einmal Blogs, Diskurse, Gespräche etc. Umfassende Gesellschaftskritik wurde von Occupy-Aktivisten auch bei der zweiten Demonstrationswelle am 12. November 2011 geübt. Eine Abschrift der „Berliner Rede“ findet sich hier.

 

Anhaltendes Ignorieren: „Ich warte einfach bis zum Crash und dann regelt sich das schon“.

Gegendarstellung: a) Das Geldsystem kann nicht aus einer inneren Logik heraus crashen, sondern nur, wenn der Bürger ihm das Vertrauen entzieht. Banken können faktisch unbegrenzt neues Geld schöpfen, die korrumpierten politischen Systeme überschlagen sich mit Maßnahmen, um die gigantischen Verschuldungsorgien neu zu verpacken und abermals zu befeuern. Einziger Nachteil: Das Ganze wird immer ungerechter, da das unendlich geschöpfte Zockergeld nun einmal in derselben Währung verrechnet wird, in der Bürger Handel betreiben wollen. Das Ganze wird auch immer undemokratischer, da auf zivilen Widerstand gegen diesen Mechanismus von Seiten des „Systems“ mit autoritären Maßnahmen reagiert werden muss.

b) Es würde zunächst auch erst nur einmal die Währung crashen (oder mehrere). Sprich: Schuldenschnitt, Entwertung von Sparvermögen, möglicherweise Kollaps der sozialen Sicherungssysteme, Währungsreform. Dadurch ändert sich allerdings rein gar nichts am Geldsystem als solchem. Um hier Änderungen zu erwirken, gibt es nur einen gangbaren Weg: Man redet endlich darüber, wie es bessergeht!

 

Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf www.the-babyshambler.com veröffentlicht

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