Ich möchte abseits der üblichen Links-Rechts-Streitereien ein paar Gedanken zum Verhältnis der Türkei zur westlichen Welt anstellen. Es gibt kein zweites Land, das die Menschen in Österreich und Deutschland durch die Zuwanderung so polarisiert wie die Türkei. Immer wieder findet sowohl das Verhalten der Zuwanderer als auch jenes der Politiker bei Staatsbesuchen den Weg in die Schlagzeilen. Woran mag es liegen, dass hier immer wieder nur die Türkei von sich reden macht? Kein Land des ehemaligen Ostblocks, kein asiatisches, kein afrikanisches, kein südamerikanisches?
Während man mit Bewunderung anerkennen muss, auf welch stabilen Beinen die türkische Wirtschaft steht und auch wie westlich Istanbul orientiert ist, gibt es auf der anderen Seite merkwürdige Tatsachen, die sich nicht wegleugnen lassen. Da gibt es die Forderung des Premierministers Erdogan bei seinen Staatsbesuchen, dass türkische Kinder in Deutschland und Österreich gefälligst zuerst türkisch zu lernen haben – und dann erst deutsch! Entschuldigen schon, Herr Erdogan, die Eltern dieser Kinder haben sich entschlossen, eine neue Staatsbürgerschaft anzunehmen. Da darf doch schon erwartet werden, dass die Landessprache im Vordergrund steht. Mit solchen Bemerkungen nimmt Herr Erdogan praktisch all jene Deutschtürken, die sich in die neue Heimat integriert haben, voll in Beschlag.
Apropos: Integrieren. Beim jüngsten Besuch sprach er sich dafür aus, dass türkischstämmige Migranten sich in Deutschland durchaus „integrieren“ sollten, eine „Assimilation“ lehnte er jedoch kategorisch ab. Assimilation (vom lateinischen Wort „simili“ – ähnlich) würde bedeuten, dass sich die nächste oder übernächste Generation restlos als deutsch betrachtet.
Hier möchte ich, zur besseren Veranschaulichung, den Spieß einmal umdrehen. Würde ich ein anderes Land auswandern, wäre es dann mein Bestreben, meine dort geborenen Kinder in einer Art zu erziehen, dass sie sich immer als Fremde fühlen werden? Oder würde ich eher begrüßen, dass sie Teil des Landes werden, in dem sie ihr Leben verbringen? Sollte ich das Zweitgenannte vermeiden wollen, folgt eine neue Frage: Warum? Wenn ich die Lebensbedingungen in einem anderen Land besser finde als in meinem eigenen, warum würde ich nicht wollen, dass meine Kinder von dieser neuen Heimat assimiliert werden?
Ich kann hier nur für mich sprechen. Und für mich gäbe es dafür nur einen Grund. Nämlich, dass ich zwar materielle Vorteile in diesem Land schätze, die Bevölkerung aber verachte. Wie gesagt, ich drücke meine eigene Meinung aus, und kann natürlich nicht für andere Menschen sprechen. Doch falls es einen anderen Grund geben könnte, so bitte, klären Sie mich auf.
Doch kommen wir zurück zur Türkei: Beim Thema Toleranz (die bei jedem Anlass eingefordert wird) sollte die Türkei besonders vorsichtig sein, denn dort geschehen laufend Dinge, die nicht in das Bild eines toleranten Staates passen.
So wurde am 2. Juli 1993 in der Stadt Sivas das Madimak-Hotel belagert, in dem sich der Satiriker Aziz Nesin aufhielt. Nachdem dieser eine türkische Übersetzung von Auszügen aus Salman Rushdies „Satanischen Versen“ veröffentlicht hatte, wurde er von islamistischen Gruppen zum „Abtrünnigen“ erklärt. Obwohl sich etwa 20.000 aggressive Randalierer eingefunden hatten, wurden keine Schritte zum Schutz eingeleitet. Militär soll sich zwar genähert haben, zog aber wieder ab. Das Hotel, aus Holz gebaut, ging in Flammen auf. Es starben 37 Menschen, darunter zahlreiche Künstler.
Es vergeht auch kaum ein Jahr, in dem es keine Ermordung eines praktizierenden Katholiken in der Türkei gibt. Doch selbstverständlich finden sich solche Ereignisse nicht in den Schlagzeilen.
Und dann gäbe es auch noch den Chauvinismus, der sich mit den modernen Vorstellungen der westlichen Welt ja nicht unbedingt vereinbaren lässt. Natürlich, die Gutmenschen werden gleich sagen: „Stimmt ja alles nicht! Das sind doch nur Gerüchte“. Doch lasen wir nicht erst jetzt vom Gerichtsprozess bezüglich der regelmäßigen Vergewaltigung eines Mädchens namens Nailan in – wie in solchen Fällen üblich, nur wenigen – Zeitungen? Mehr als zwanzig „ehrenwerte“ Männer, unter ihnen Beamte, Lehrer und Soldaten, vergingen sich regelmäßig an der 13-Jährigen. Und jetzt kommt der Gipfel: Mit einer Verurteilung der Täter ist nicht zu rechnen!
Auch die regelmäßigen Ausschreitungen gegen Kurden verdienen eine Erwähnung. Hier versagt die Forderung nach Schutz von Minderheiten und nach Toleranz. Und selbst dafür finden sich Rechtfertigungen, werden engagierte Kurden, die sich für mehr Rechte und Unabhängigkeit in ihren eigenen Territorien einsetzen, schließlich als Terroristen bezeichnet.
Toleranz ist keine Einbahnstraße. Ich will jetzt keineswegs alle in einen Topf werfen. Mit Sicherheit gibt es auch eine respektable Zahl türkischer Zuwanderer, die ihre neue Heimat respektieren, die mit ihren Nachbarn in gutem Verhältnis leben, die ihre Kinder zur Anpassung erziehen. Doch warum erwähne ich das überhaupt? Das sollte schließlich eine Selbstverständlichkeit sein. Doch, anstatt das Verhalten dieser Menschen zu würdigen, kommt ein Herr Erdogan und rät zum Gegenteil. Türkische Politiker sollten vielleicht mit ihren Worten etwas vorsichtiger umgehen, sollte es ihnen wirklich daran liegen, ein friedliches und harmonisches Zusammenleben herbeizuführen.