Der Deutsche Bundestag hat die Ausweitung der Europäischen Finanzstabilisierungs-Fazilität (EFSF) beschlossen. Mit einer breiten Mehrheit von 523 Stimmen konnte die Entmachtung des Parlaments in europapolitischen Fragen durchgesetzt werden. Künftig wird in den meisten aller Fälle ein Unterausschuss des Haushaltsausschusses im Geheimen darüber befinden, ob weitere Stützungsmaßnahmen und -zahlungen notwendig sind. Die der Abstimmung vorangegangene Debatte im Plenum entpuppte sich als demokratische Farce.
CDU-Parteisoldat Volker Kauder eröffnete die Debatte mit einem leidenschaftlichen und gleichermaßen hanebüchenen Plädoyer für eine Ausweitung der EFSF. Es gehe darum, in Not geratenen Ländern helfen zu können, wodurch zuvorderst auch die deutsche Wirtschaft geschützt werde, so Kauder. Natürlich geht es bei der EFSF-Ausweitung nicht um Hilfsmaßnahmen für einzelne Euro-Mitgliedsländer, sondern um die institutionalisierte Rettung großer Geldhäuser, die sich ob ihrer Systemrelevanz auf alternativlose Art und Weise ihrer marktwirtschaftlichen Pflicht, im Zweifelsfall eben auch die Verluste ihres eigenen Handelns einfahren zu müssen, entledigt haben.
Der akute Realitätsverlust, der sich im Verlauf der Debatte beim Großteil der Parlamentarier abzeichnete, ist entweder Zeuge dafür, dass die Abgeordneten an geistiger Retardiertheit zu leiden scheinen oder aber schlicht lügen und dem Populismus anheimgefallen sind. Einer der Wenigen, die diesem Befund zuwider liefen, war der amtierende Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Dieser begründete, weshalb auch diejenigen, die sich bereits im Vorfeld gegen eine Erweiterung der EFSF ausgesprochen hatten, zu Wort kommen sollten, obwohl die Unions- und FDP-Fraktion diese nicht ans Rednerpult lassen wollten. So kam es, dass der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch und der FDP-Finanzexperte Frank Schäffler ihre Entscheidung, gegen die Erweiterung zu stimmen, begründen konnten. Ganz ohne Pathos lässt sich konstatieren, dass Lammert als inoffizieller zweiter Mann im Staat einer der letzten Hüter der Demokratie zu sein scheint.
Im Gegensatz dazu gerierte sich Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) als Geheimniskrämer. Auf die Nachfrage, was denn nun eigentlich mit der Hebelwirkung beim EFSF sei, nach der die eingezahlten Milliarden um einen Faktor fünf bis acht multipliziert werden können, wich Schäuble aus. Der Finanzminister antwortete zwar, dass eine derartige Erhöhung nicht zur Diskussion stehen würde, jedoch war gestern das genaue Gegenteil im französischen Parlament zu hören. Dort wurde ein Hebel beim EFSF als beschlossene Sache bezeichnet. Ähnlich sieht dies auch die EU-Kommission, weshalb von einem Täuschungsmanöver Schäubles ausgegangen werden darf.
Die Kommission war auch Gegenstand von der Rede eines der Steigbügelhalter unserer Kanzlerin: Jürgen Trittin (Grüne) verwahrte sich gegen die von Deutschland und Frankreich geplante EU-Wirtschaftsregierung. An und für sich genommen ist dies ja zunächst zu begrüßen. Die Begründung von Trittin hingegen ist jedoch mit dem Wort grotesk noch euphemistisch verklärt. Wir hätten bereits eine Wirtschaftsregierung, so Trittin. Die EU-Kommission als demokratisch legitimierte Institution auf europäischer Ebene sei die Wirtschaftsregierung. Dass deren Mitglieder im politischen Hinterzimmer der jeweiligen Nationalstaaten ausgeküngelt werden, verschwieg Trittin geflissentlich.
Finanzexperte Schäffler wies hingegen zu Recht darauf hin, dass die Staats- und Regierungschefs einen „kollektiven Rechtsbruch“ begangen hätten, indem sie die Schulden einzelner Euro- bzw. EU-Mitgliedsländer übernehmen würden. Der FDP-Mann rekurrierte damit auf Artikel 125 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, indem die sogenannte „No-bailout-Klausel“ ihren Niederschlag findet. Die Stille im deutschen Parlament zeigte, dass der Finanzexperte einen Nerv getroffen hatte.
Die deutsche Verlässlichkeit, die Außenminister Guido Westerwelle (FDP) kurz nach Bekanntwerden des Umstands, dass Merkel ihre prestigeträchtige Kanzlermehrheit verteidigen konnte, zu sehen glaubte, hat indes nichts mit Zuverlässigkeit zu tun, sondern mit der Angst der Parlamentarier vor ihrem eigenen Gewissen. Wer will schon gerne als Königinnenmörder in die Annalen eingehen? Zugegeben, Merkel hatte damit ihrerseits kaum Probleme, als „Kohls Mädchen“ ihren politischen Ziehvater für die eigene politische Karriere opferte.
Die Bundeskanzlerin kann also durchatmen, genau wie die EU-Eliten in Brüssel. Dies gilt selbstredend nicht für die Völker Europas, insbesondere für das griechische Volk, da diese für die Orgie an den Finanzmärkten zahlen dürfen und sich auf weitere Einschnitte im sozialen Bereich gefasst machen können oder, wie Merkel sagen würde, nun wichtige Strukturreformen in Angriff nehmen.