In der Woche vor Weihnachten haben wir über das Buch „Notbremse“ berichtet, in dem bekennende Polit-Junkie und ehemalige parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick darüber schreibt, wie er nach 20 Jahren im politischen Geschäft mehr oder weniger von heute auf morgen ausgestiegen ist und die Stille für sich entdeckt hat. Erfreulicherweise schreibt Kasparick nicht nur Bücher, sondern seit kurzem auch Beiträge bei The Intelligence und so haben wir die Gelegenheit genutzt, ihn zu einem Interview einzuladen. Darin geht es nicht nur um das Buch, sondern auch um seine Ex-Droge: die Politik.
The Intelligence (TI): Wer ein Buch mit dem Titel „Notbremse“ schreibt muss wahrscheinlich damit rechnen, gefragt zu werden ob sie denn auch gewirkt hat? Ist der Politiker zum Stillstand gekommen?
Ulrich Kasparick (UK): Ja und nein. Zunächst einmal hat es mehrere Wochen gedauert, bis der Entzug vorbei war und ich gestehe, diese Zeit war nicht leicht. Von Heute auf Morgen nichts mehr zu tun zu haben ist mehr als nur ungewohnt. Mittlerweile habe ich mich aber daran gewöhnt und genieße es den Tag nicht nach Terminkalender abzuarbeiten. Was natürlich nicht still steht ist mein politisches Denken. Das ist nach wie vor sehr aktiv.
TI: Wie waren denn die Reaktionen auf das Buch, speziell von Ex-Kollegen?
UK: Erstaunlicherweise relativ verhalten. Einige konnten wohl nicht verstehen wie man sich dazu entschließen kann plötzlich nichts mehr zu tun und die Arbeit von 20 Jahren einfach hinter sich zu lassen. Zugegeben, vor zwei Jahren hätte ich das ebenfalls nicht verstanden. Bei manchen war zwischen den Zeilen allerdings deutlich zu erkennen, dass sie zumindest ein bisschen neidisch sind. Aus meiner heutigen Sicht kann ich sagen: das sind sie zu Recht.
TI: Diesen Neid kann ich durchaus nachvollziehen, aber irgendwann ist wahrscheinlich auch bei Ihnen das Nichtstun vorbei. Was kommt nach dem Sabbatical? Zurück ins Politikgeschäft? Oder etwas ganz anderes?
UK: Politik wohl eher nicht, auch wenn es immer heißt „sag niemals nie“. Es sind ein paar Angebote eingegangen die ich mir in den kommenden Monaten überlegen werde, aber ich bin noch nicht schlüssig in welche Richtung es gehen wird. Dank des Übergangsgeldes, das Bundestagsabgeordnete nach ihrem Ausscheiden bekommen, stehe ich nicht unter dem Druck möglichst schnell einen neuen Job finden zu müssen.
TI: Nochmal zurück zu ihrem Buch beziehungsweise zum Bundestagsalltag. Sie beschreiben darin ein Projekt, das sich über mehrere Jahrzehnte hingezogen hat? Wie frustrierend ist es eigentlich wenn’s mal wieder „etwas länger“ dauert?
UK: Dazu fällt mir ein Satz ein, der das wunderschön auf den Punkt bringt: Es tagt und tagt und wird nicht heller! Und ja, es ist frustrierend. Genau an dieser Stelle muss sich in der Politik etwas bewegen. Solche Endlos-Prozesse sind einfach nicht mehr tragbar. Allerdings gilt das nicht nur auf Bundesebene, da muss im Besonderen auch Europa daran arbeiten.
TI: Was ist aktuell die größte Bedrohung? Der Terror? Die Wirtschafts- und Finanzkrise? Das Klima? Oder etwas ganz anderes?
UK: Aus meiner Sicht ist es in erster Linie das Thema Energie, insbesondere die Nutzung der fossilen Brennstoffe, also das Öl. Als ich damals in das Verkehrsministerium kam war meine erste Frage „Wie viel von dem was wir verbrauchen, können wir durch alternative Energien ersetzen, wenn die Erdölvorräte einmal zu Ende gehen?“ Ich erntete von den Abteilungsleitern erstaunte Blicke und die Antwort „Das wissen wir nicht“. Ich bat meine Fachleute um sorgfältige Recherche und nach drei Wochen war dann ersichtlich, dass wir nur ca. 34% dessen, was bis zu diesem Zeitpunkt durch Öl angetrieben wird, ersetzen können. Oder anders gesagt, 2/3 davon werden entweder durch intensive Forschung (Energieeffizienz, Neue Materialien) dazukommen müssen, oder schlicht und ergreifend wegfallen. Ganz lapidar gesagt, dann ist es vorbei mit den frischen Erdbeeren im Winter und dem Shoppingwochenende in New York. Die Wirtschaft wird sich enorm umstellen müssen und die Globalisierung erfährt spätestens dann einen gewaltigen Dämpfer.
TI: Aus Sicht mancher Regierungen ist Wikileaks ja derzeit die Bedrohung schlechthin. Würde das Volk es vertragen die komplette Wahrheit über absolut alles zu erfahren? Oder kommt es dann zur blutigen Revolution?
UK: Ich fürchte es wäre weit schlimmer als es eine Revolution jemals sein könnte. Der Aufschrei wäre kurzfristig riesengroß aber gleich danach würde sich ein Großteil der Menschen wieder hinter den Fernseher verziehen und zuschauen welcher Bauer eine Frau sucht oder wer möglicherweise Millionär wird. Der Löwenanteil aller Informationen die da auf uns einprasseln würden ist so komplex, dass er von den meisten Menschen gar nicht verarbeitet werden kann und mit den Worten „Das ist mir zu hoch und ich kann es eh nicht ändern“ würde man sich der Ablenkung hingeben.
TI: Zum Abschluss noch eine Frage die ich schon immer einem Politiker stellen wollte: Welche mathematische Geheim-Formel muss man eigentlich anwenden, um bei der Addition von 0 und 2 das Ergebnis 3 zu bekommen? Ich spiele damit auf die Mehrwertsteuererhöhung zu Beginn der schwarz-roten Koalition an.
UK: (lacht) Nun ja, das war wirklich ein ungeschickter Schachzug, der selbst dem letzten Nochwähler aufgefallen ist. Das eine überstehende Prozent wäre besser in etwas anderes verpackt worden. Aber so ist das nun mal in der Politik: Wenn man eine notwendige „Schweinerei“ plant und durchführt, sollte das kurz nach den Wahlen passieren, damit es bis zur nächsten Wahl wieder vergessen wurde.
TI: Oder während einer Fußball-WM?
UK: Ja auch das bietet sich an (lacht wieder)
TI: Wir bedanken uns für das Gespräch.
Das Interview führte Micha Röder