Kürzlich wurde aus Israel verlautet, dass ein Angriff gegen den Iran noch vor den US-Wahlen im November erfolgen könnte. Jetzt erklingen Spekulationen, dass ein solcher Krieg innerhalb von 30 Tagen beendet sein sollte! Dass irgendein Politiker oder Militärstrategie solch einen Unsinn glauben könnte, ist kaum denkbar. Vielmehr scheint es sich um eine Parole zu handeln, um die Angst der Bevölkerung vor einem israelisch-iranischen Konflikt, der weltumspannende Folgen nach sich ziehen wird, einzudämmen.
Am 28. Juni 1914 wurde in Sarajevo, der Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina, Kronprinz Franz Ferdinand ermordet. Österreich-Ungarn verdächtigte die serbische Regierung, an diesem Komplott beteiligt gewesen zu sein. Nachdem ein unerfüllbares Ultimatum zurückgewiesen wurde, erfolgte ein Monat später die Kriegserklärung.
Die Geschichtsbücher lehren, dass die militärische Führung und der 83-jährige Kaiser Franz Josef von einem zeitlich befristeten Straffeldzug ausgegangen seien. Seit Jahrzehnten hatte es keinen Krieg mehr gegeben. Die verheerende Schlagkraft modernen Kriegsgeräts war unerprobt – und brachte wohl auch die Illusion mit sich, den Feind mittels dieser Waffen kurzerhand hinwegfegen zu können. Doch, wie wir heute wissen, die Geschicke wollten es anders: Das damals noch zaristische Russland schien bereit, Serbien zu verteidigen. Das Deutsche Reich, Bündnispartner von Österreich-Ungarn, erklärte Russland und dessen Verbündeten Frankreich den Krieg. Nach der Durchquerung des neutralen Belgiens, um auf Paris vorzustoßen, trat England in den Konflikt ein. Das Osmanische Reich und Bulgarien verbündeten sich mit den Mittelmächten, während Rumänien und 1915 Italien sich auf die Seite der Entente schlugen. Hätte in diesem verhängnisvollen Sommer des Jahres 1914 jemand erwartet, dass ein menschenverachtendes Blutvergießen vier Jahre währen sollte, dass mehr als zehn Millionen Menschen ihr Leben, und noch wesentlich mehr ihre Unversehrtheit, ihren Verstand, ihre Heimat und ihr Hab und Gut verlieren sollten, die zur Legende gewordene anfängliche Begeisterung wäre gewiss im Keim erstickt.
Technisch mag die Armee Israels – eine stillschweigend geduldete Atommacht – der iranischen überlegen sein. Zweifellos erlauben moderne Waffensysteme auch, jedes Land beliebiger Größe in kürzester Zeit restlos zu vernichten. Ein Beispiel dafür wäre die Zündung einer Atombombe in großer Höhe, wodurch ein sogenannter „elektromagnetischer Puls“ (EMP) ausgelöst wird. Je nach Höhe der Kernexplosion wird dadurch in einem bestimmten Bereich, der sich über Hunderte, aber auch Tausende Kilometer erstrecken kann, jegliche Elektronik unbrauchbar gemacht. Die Infrastruktur in den Ballungszentren würde restlos zusammenbrechen.
Doch bei der Anwendung solcher, durchaus verfügbaren, Mittel handelt es sich zweifellos um einen Schlag, der sich gegen die zivile Bevölkerung eines Landes richtet. Das Gerede vom Befreien des Volkes vom „bösen Diktator“ oder durch „Wahlbetrug“ an die Macht gekommenen Präsidenten würde dadurch mit Sicherheit jegliche Glaubwürdigkeit einbüßen.
Der Iran ist für einen Konflikt um ein Vielfaches besser gerüstet als es der Irak jemals war. Davon auszugehen, dass sich die iranische Regierung gefallen lässt, sich alle Verteidigungsanlagen Schritt um Schritt durch Luftangriffe zerstören zu lassen, entspricht wohl demselben Wunschdenken wie die Hoffnung auf einen folgenlosen Straffeldzug gegen Serbien anno 1914.
Israel verfügt mit den Vereinigten Staaten und anderen NATO-Mitgliedern über schlagkräftige Bündnispartner. Auch Kanzlerin Merkel gab gegen Ende 2009 vor dem US-Kongress im Rahmen einer längeren Rede von sich: „Wer Israel bedroht, bedroht auch uns!“
Doch der Iran ist, im Gegensatz zu dem von den Massenmedien regelmäßig gezeichneten Bild, keineswegs vom Rest der Welt isoliert. Sowohl auf internationaler als auch nationaler Ebene haben sich Russland und China mehrmals zu einer Verteidigung des Iran bereit erklärt.
Warum für bestimmte Kreise ein Angriff gegen den Iran so wichtig zu sein scheint, darüber lässt sich nur spekulieren. Gewiss, die offizielle Version lautet, dass der Iran dabei sei, nukleare Sprengköpfe zu entwickeln und jederzeit zu einem Erstschlag gegen Israel bereit sei. Allerdings, haben wir eine ähnliche Behauptung nicht schon vor Jahren vernommen, als die US-Regierung nach einer Rechtfertigung suchte, den Irak zu besetzen? Dass es sich dabei um eine bewusste Lüge gehandelt hat, ist seit langem zweifelsfrei belegt. Über den tatsächlichen Grund wird natürlich immer noch spekuliert. Der greisen White-House-Korrespondentin Helen Thomas gegenüber hat der verantwortliche US-Präsident George W. Bush jegliche Antwort auf die Frage nach dem wahren Grund kategorisch unterlassen (und sie sogar in die letzte Reihe verbannt). John Perkins zufolge, Autor des Buches „Bekenntnisse eines Economic Hit Man“, wollte Saddam Hussein Ölverkäufe gegen US-Dollar einstellen, die einzige Rechtfertigung dafür, diese wertlosen Papierfetzen weiter als Leitwährung anzuerkennen. Nachdem es an einer besseren Erklärung mangelt, lässt sich jene von Perkins mit Sicherheit nicht ausschließen.
Dass sich die Behauptung, ein anderes Land würde für die eigene Bevölkerung eine Bedrohung darstellen, schon immer dazu hernehmen ließ, den Menschen einen ansonsten verabscheuten Krieg schmackhaft zu machen, erklärte sogar Hermann Göring in einem Interview, 1946 im Nürnberger Gefängnis. Am 3. Januar 1946 wurde er von Gustave Gilbert darauf angesprochen, dass in einer Demokratie die Menschen über einen möglichen Krieg mitentscheiden würden. Görings Antwort (aus dem Englischen rückübersetzt): „Ja, das ist schon richtig, aber, Stimmrecht oder nicht, die Menschen können immer dazu gebracht werden, den Führern zu folgen. Das ist einfach. Alles, was man ihnen zu erzählen hat, ist, sie würden angegriffen, und man beschuldigt die Pazifisten, dass es ihnen an Patriotismus mangle und sie das Land in Gefahr bringen. Das funktioniert in allen Ländern gleich.“
Fassen wir zusammen: Bei der Beschuldigung, der Iran würde an der Herstellung nuklearer Waffen arbeiten, handelt es sich bis jetzt um eine unbeweisbare Behauptung, vergleichbar mit den Anschuldigungen gegen den Irak im Jahr 2003. Doch selbst die Verfügbarkeit einer beschränkten Zahl atomarer Sprengköpfe dient grundsätzlich nur Verteidigungszwecken. Bei der Möglichkeit, im Falle eines Angriffes einen atomaren Gegenschlag durchzuführen, handelt es sich um den sichersten Schutz vor Aggressionen. Wie es Ländern ergehen kann, die zu einem solchen Gegenschlag nicht fähig sind, zeigen am besten die Beispiele Irak, Afghanistan und Libyen.
Dass ein atomarer Erstschlag durch einen Staat wie dem Iran kategorisch auszuschließen ist, erklärt sich dadurch, dass ein solcher einem nationalen Selbstmord gleichkäme. Ungeachtet, ob Israel oder ein anderes westliches Land das Angriffsziel wäre, der in einem solchen Fall völlig berechtigte nukleare Gegenschlag durch Armeen, die über Tausende Sprengköpfe und die entsprechenden Träger verfügen, hätte mehr als nur verheerende Folgen. Bei der angeblichen Bedrohung, die der Iran insbesondere für Israel darstellen soll, handelt es sich somit offensichtlich um eine Strategie, die den Israelis und den Bürgern befreundeter Nationen einen Krieg als notwendig vorzuspielen versucht – so wie Göring es 1946 erklärt hatte.
Doch trotz aller angstschürenden Behauptungen ist die Zahl der Menschen enorm groß, die einen Krieg ablehnen. Auch in Israel gibt es Initiativen innerhalb der Bevölkerung, von denen die Botschaft „Iran, wie love you“ ehrlich und überzeugend ausgesandt wird. Mit Sicherheit geht es dabei aber nicht nur um das Mitgefühl für die persische Zivilbevölkerung. In einem Zeitalter, in dem Massenvernichtungswaffen zur Verfügung stehen, die die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs als „Kinderspielplätze“ erscheinen lassen, schürt allein schon der Gedanke an einen möglichen Weltkrieg in jedem Menschen, der zumindest über Ansätze von Vernunft verfügt, berechtigte Ängste.
Und genau aus diesem Grunde sollte diese verlogene Behauptung, ein von Israel angezettelter Krieg gegen den Iran würde nicht länger als 30 Tage dauern, als bedrohliche Zuspitzung der Situation verstanden werden!
Kriegspropaganda wird gegen den Iran seit Jahren geführt. Zeitungsmeldungen insbesondere aus Israel machten schon mehrmals glauben, dass ein Angriff innerhalb weniger Wochen erfolgen könnte. Dass weder ein Großteil der israelischen Bevölkerung noch die Menschen in Amerika und in Europa von einem neuen Krieg begeistert wären, ist allgemein bekannt und verständlich. Denn wer möchte schon mit der Gefahr eines dritten Weltkrieges konfrontiert werden?
Und genau diese Sorge wird von den jüngsten Meldungen gezielt angesprochen. Nicht nur, dass der Schauplatz eines Angriffs gegen den Iran ohnehin – zumindest vorläufig – weit weg wäre, es gäbe ja somit überhaupt keinen Grund zur Beunruhigung. Auf 30 Tage werden eben ein paar Bomben abgeworfen. Gegenangriffen durch iranische Raketen könnten 500 Zivilisten zum Opfer fallen. Auch wenn es absurd ist, doch solche Opferzahlen werden auf die leichte Schulter genommen. Kurz gesagt: Es wird den Menschen vorgelogen, es handle sich um einen „militärischen Spaziergang“ – kein Grund zur Beunruhigung. So wie seinerzeit, 1914, vor dem Angriff gegen Serbien.
Falls unseren Lesern aus Österreich der zweite Teil der Überschrift, „lernen Sie Geschichte“, bekannt vorkommt, so bin ich mir durchaus bewusst, dass diese Worte vom mittlerweile verstorbenen Altkanzler Bruno Kreisky geliehen sind. 1981 verwendete er sie gegenüber einem Journalisten. Und wenn ich sie als Einleitung verwende, dann spreche ich natürlich keinesfalls die Leser damit an, sondern ebenfalls Journalisten. Und zwar jene, die diesen Unsinn eines Krieges gegen den Iran, der nur 30 Tage dauern soll, bedenkenlos weitergeben. Auch wenn der Prozentsatz jener Menschen, die den Erklärungen der Massenmedien noch Glauben schenken, immer weiter absinkt, noch immer sind es viele, die diesen blindes Vertrauen entgegenbringen. Und eine derart verharmlosende Behauptung unkommentiert weiterzugeben, dabei handelt es sich um eine unentschuldbare Verantwortungslosigkeit. Und somit rate ich den auf Lohnlisten stehenden Kollegen der Massenmedien dringlich, ihr Geschichtswissen etwas aufzufrischen.