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Wofür wird gestorben, am Hindukusch?

afghanistan german us soldiersSeit die Zahl der Opfer steigt und die Aussichtslosigkeit des Einsatzes, mehren sich die Stimmen, die eine Perspektive für den Rückzug aus Afghanistan fordern. Und je länger der Krieg dauert, umso geringer wird die Zahl derer, die glauben, was die Politik in den USA oder auch in Deutschland den Menschen als Kriegsmotive anbietet. Spätestens seit dem Beginn des Irakkrieges sollte deutlich geworden sein, dass keine Lüge billig genug ist, um als Kriegsgrund herzuhalten. Von Chemiewaffen war die Rede gewesen, Unterstützung für Al Kaida, die Verwicklung in den 11. September und vieles andere mehr. Nichts davon hatte sich bewahrheitet, sondern stellte sich immer deutlicher heraus als Mittel der Verwirrung der Weltöffentlichkeit zur Durchsetzung der amerikanischen Kriegspläne.

Die Gründe für den Krieg gegen Afghanistan waren fadenscheinig und hätten auch als Rechtfertigung ausgereicht für den Einsatz gegen so manchen guten Verbündeten im arabischen Raum, wie Saudi-Arabien, die Scheichtümer am Persischen Golf, Jemen und sogar Pakistan. Wieso also gerade Irak und Afghanistan und wieso deutsche Beteiligung, zumindest in einem der beiden Kriege?

Das Jahr 1989 hatte die Welt verändert. Die Berliner Mauer war gefallen und die Erschütterungen dieses Falles hatten auch die sozialistischen Staaten und den Warschauer Pakt zum Einsturz gebracht. Nun war möglich geworden, was ein starker Warschauer Pakt mit dem Anker UdSSR Jahrzehnte lang verhindert hatte, die Neuordnung der Welt im Interesse der kapitalistischen Staatengemeinschaft. Nach den Vorstellungen Bill Clintons sollte der ehemalige sowjetische Staatsverband aufgelöst werden in viele kleinere Einzelstaaten. Um dieses Ziel zu erreichen, machte man sich die inneren Konflikte des Landes zu nutze und unterstützte die, die dem eigenen Interesse dienlich waren.

Die baltischen Staaten erklärten ihre Unabhängigkeit ebenso wie die Ukraine und Weißrussland. Auch die ehemaligen südlichen Sowjetrepubliken wurden selbständige Staaten. Die Sowjetunion löste sich auf, und ein geschwächtes Russland musste hilflos mit ansehen, wie mit der Aussicht für die neu entstandenen Staaten auf Aufnahme in Nato und Europäische Union dieser Auflösungsprozess von den westlichen Staaten angeheizt wurde. Dieser Hoffnung auf eine Zukunft in Wohlstand hatte Russland nichts entgegensetzen können.

Der nächste Angriff galt dem noch immer sozialistischen Jugoslawien, das von seinen westlichen Rändern her aufgelöst wurde, unter Ausnutzung der immer noch vorhandenen und neu geschürten Konflikte zwischen den einzelnen Volksgruppen des Vielvölkerstaates. Damit war der Sozialismus in Europa vernichtet und ein riesiger Markt von der Adria bis Wladiwostok entstanden, in dem Kapital ohne die früheren Einschränkungen investiert werden konnte. Denn die neuen Regierungen, sowohl im ehemaligen Jugoslawien, den früheren sowjetischen Verbündeten in Osteuropa als auch den neuen Staaten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, waren prowestlich und garantierten das Privateigentum an Produktionsmitteln.

Waren den Investitionsmöglichkeiten von Kapital weltweit kaum noch Grenzen gesetzt und auch der Rückführung der Gewinne, so galt das nicht für Rohstoffe und fossile Energieträger. Sie waren lokal gebunden und unterlagen immer noch der Kontrolle der nationalen Regierungen dieser Länder. Diesen unterlag noch immer das Hoheitsrecht über die Genehmigungen für die Förderung der Bodenschätze. Unter diesen Regierungen gab es kooperative wie Saudi-Arabien, Russland zur Zeit Jelzins oder der Iran unter dem Schah, und es gab weniger kooperative wie Russland nach Jelzin, Venezuela unter Chavez, der Iran nach der islamischen Revolution und der Irak Saddam Husseins.

Jetzt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Paktes sah die westliche Wertegemeinschaft die Gelegenheit gekommen, auch die Machtposition der Erdöl- und Gasförderländer zu schwächen. Der Irakkrieg führte nicht nur zu einer amerikafreundlichen und -abhängigen Regierung, sondern stellte auch eine Warnung dar gegenüber anderen Staaten der Region wie Syrien, Libyen und Iran und der OPEC als Kartell der Erdölförderer: Wir können auch anders, jetzt wo wir keine Angst mehr haben müssen davor, dass der politische Rivale UdSSR aus unseren politischen Fehlern und militärischen Aktionen Kapital schlagen könnte.

Doch die Kontrolle der Lagerstätten durch wohlgesonnene Regierungen alleine reicht nicht aus. Erdöl und –gas müssen auch zum Kunden gebracht werden, damit sie Gewinn bringen. Die gewaltigen Lagerstätten der ehemaligen südlichen Sowjetrepubliken, deren Förderrechte westliche Ölkonzerne erworben hatten in der Schwächephase der UdSSR und Russlands, waren nicht viel wert, solange man die Energieträger nicht an die Märkte bringen konnte.

Als einzige standen nur die Transport- und Verladeeinrichtungen (Pipelines, Häfen) auf russischem oder iranischem Territorium zur Verfügung. Mit der Nutzung dieser Systeme hätte man durch die Zahlung von Transitgebühren in Milliardenhöhe den politischen Gegner Iran und den wirtschaftlichen Konkurrenten Russland gestärkt. Außerdem wäre der Westen wirtschaftlich und politisch erpressbar geworden, hätte man sich noch mehr in seiner Versorgung vom Wohlwollen Irans und Russlands abhängig gemacht. Auch der Bau eigener Rohrleitungen wäre nur möglich gewesen mit der Genehmigung dieser beiden Staaten, die Pipelines über deren Staatsgebiet legen zu dürfen.

Die Lösung des Problems heißt Afghanistan. Bereits unter der Herrschaft der Taliban in den 1990er Jahren hatte die amerikanische Ölgesellschaft UNOCAL mit Unterstützung der amerikanischen Behörden mit den Planungen begonnen. Von den turkmenischen Gasfeldern sollten Pipelines verlegt werden über Afghanistan und Pakistan zum Arabischen Meer. Die Pläne scheiterten an der Instabilität der politischen Verhältnisse in Afghanistan. Milliardenschwere Investitionen wie der Bau von Pipelines setzen politisch gefestigte Verhältnisse voraus. Ansonsten ist kein Investor bereit, sein Geld zu riskieren. Mit der Entmachtung der Taliban und der Afghanistankonferenz auf dem Bonner Petersberg zu Beginn der 2000er Jahre, der die Einsetzung Karsais folgte, hoffte man, die Voraussetzungen schaffen zu können für eine Stabilisierung des Landes und die Ausbeutung der Energiequellen der ehemaligen Sowjetrepubliken.

Denn die Zeit drängt auch für die Stabilität dieser Republiken. Gelingt es nicht bald, dort einen Lebensstandard wieder herzustellen, wie er noch zu Zeiten der UdSSR geherrscht hatte, werden sich auch diese Republiken nicht lange halten können, wie die ständig aufflammenden sozialen Konflikte zeigen. Zudem wenden sich immer mehr dieser Staaten Russland und China zu als Abnehmer für ihre Energiereserven. Dem Westen läuft die Zeit davon und die Unterstützung in der eigenen Bevölkerung für den Afghanistaneinsatz schwindet immer mehr. Bei jedem toten deutschen Soldaten stellt sich die Frage immer lauter nach dem Sinn des deutschen Engagements. Und aus diesem Grund ist auch ein regulärer Krieg unter hohem Einsatz an Mensch und Material unter solchen Bedingungen nicht zu führen, nur ein Krieg auf Sparflamme, einer mit „menschlichem Antlitz“.

Aber wieso will man von deutscher Seite unbedingt mitmischen? Wer später beim Wettrennen um die besten Anteile des zu verteilenden Kuchens dabei sein will, muss sich vorher schon die Startlöcher gegraben haben. Bis 1989 waren den Deutschen die Hände gebunden. Jetzt, da es keine DDR und kein Westberlin mehr gab, über die eine mächtige Sowjetunion Druck ausüben konnte auf die Bundesrepublik, waren viele Hindernisse für ein verstärktes, auch militärisches Engagement verschwunden. Der Testfall war Jugoslawien. Die Aufnahme ehemaliger jugoslawischer Republiken in die europäische Union hat in erster Linie der Exportnation Deutschland genutzt. Am Irakkrieg hat Deutschland wegen des vollmundigen Auftretens des damaligen Kanzlers Schröder nicht teilgenommen, was den Start deutscher Firmen im Nachkriegs-Irak sehr behinderte. Da waren die besten Aufträge bereits an Amerikaner, Engländer usw. vergeben.

Aber in Afghanistan wollte man dabei sein. So wie man auch bei den Einsätzen der deutschen Marine vor dem Libanon und Somalia sich förmlich aufgedrängt hatte. Beim deutschen Engagement im Kongo hatte die deutsche Telekom sehr schnell ihr Interesse an der Ausstattung des Landes mit Mobilfunk bekundet. Das waren die besten Voraussetzungen für die Umsetzung der eigenen wirtschaftlichen Interessen: Von vorneherein schon Einfluss nehmen auf die Besetzung der Regierung, die Auswahl des Truppenstandortes, Kontakte knüpfen, die später nach dem Krieg hilfreich sein konnten, Strukturen schaffen, die verbunden waren mit der Vergabe deutscher Gelder, mit deutschen Firmen, mit deutschen Fachleuten usw. Man wollte sich von vorneherein unentbehrlich machen. Aber das ging nur, wenn Deutschland auch eigene Truppen stellte und eigene Opfer brachte.

Wie stark die wirtschaftlichen Interessen im Hintergrund sind und wie groß die Angst vor ihrer Entdeckung ist, wurde deutlich am Rücktritt des Bundespräsidenten Horst Köhler im Sommer 2010. Köhler ist Ökonom und kein Politiker. Und in seiner naiven ökonomischen Sichtweise fand er nichts dabei, die Bedeutung der wirtschaftlichen Interessen bei den Militäreinsätzen zu erwähnen. Aber nicht das war eigentlich das Verblüffende, das dachte sich ohnehin jeder. Erst die hektischen und hysterischen Reaktionen der führenden Politiker machten deutlich, in welches Wespennest Köhler ungewollt gestochen hatte. Und auch er selbst war erschrocken über deren Heftigkeit. Unwichtig ist, ob er freiwillig zurücktrat oder hinter den Kulissen dazu gedrängt wurde. Aber offensichtlich wurde nichts mehr gefürchtet als dass eine breite und öffentliche Diskussion über die wirklichen Hintergründe des deutschen Engagements in Afghanistan und anderer Krisengebiete wie Kongo, Libanon und Somalia entstehen könnte. Und deshalb musste Köhler so schnell wie möglich von der Bildfläche verschwinden und mit ihm der Anstoß der Diskussion.

Denn es geht nicht um Wiederaufbau, nicht um Frauenbefreiung und Gleichberechtigung, nicht um Abschaffung der Burka. Aber das kann man der Bevölkerung nicht sagen. Die Menschen wollen für Sinnvolles sterben, wenn schon gestorben werden muss. Aber dafür wird nicht gestorben am Hindukusch, sondern für die deutschen Interessen, wie es weiland Verteidigungsminister Struck vollkommen richtig ausdrückte. Nur dass die deutschen Interessen hier die Interessen der deutschen Wirtschaft sind, die am Goldrausch der ehemaligen südlichen Sowjetrepubliken profitieren will.

Und aus eben diesem Grunde zieht man nun auch langsam ab aus Afghanistan. Am Goldrausch verdienen andere. Das Öl der ehemaligen Sowjetrepubliken läuft weiter durch die Pipelines der Russen. Die Staaten, die ihre Hoffnungen auf den Westen gesetzt hatten, mussten erkennen, dass er ihnen nicht weiterhelfen kann. Der Westen hat zwar die Konzessionen, aber die Transportmöglichkeiten haben die Russen, Iraner und Chinesen. Denn vieles von dem Öl und Gas, das man gerne durch Afghanistan und Pakistan geleitet hätte, um es den Chinesen zu verkaufen, fließt nun von den Förderländern (Öl aus Kasachstan, Gas aus Turkmenistan) über direkte Pipelines nach China. Der Krieg hat zu lange gedauert und keine Aussicht auf Erfolg geboten, als dass Usbeken, Kirgisen, Kasachen und all die anderen Völker noch länger hätten warten können auf die Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft, das sie dringend brauchen, um ihre Staaten zu finanzieren. Denn die Lage in den ehemaligen südlichen Sowjetrepubliken ist explosiv. Armut, Arbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit schüren soziale und ethnische Konflikte.

Es gibt für den Westen nichts mehr zu gewinnen in Afghanistan. Das Land ist nicht stabiler geworden als zur Zeit der Taliban, die man hatte vertreiben wollen und die man nun nur gestärkt hat. Der Drogenhandel blüht ebenso wie die Korruption.

Der Krieg findet statt gegen die Mehrheit der eigenen Bevölkerung. Und weil er keine Sympathie und schon gar keine Unterstützung in der Bevölkerung hat, muss er geführt werden unter weitgehender Vermeidung eigener Verluste an Menschenleben, um nicht in der Heimat eine zweite Front zu haben, wie zu Zeiten des Vietnam-Krieges. Eine massive Kriegsführung unter hohen eigenen Verlusten ist nicht mehr möglich, auch wenn die Medien viel stärker der Kontrolle der Militärs unterworfen sind und Eindrücke über das wirkliche Kriegsgeschehen kaum noch in die Haushalte der Bürger dringen wie zu Zeiten des Krieges in Südostasien.

Besonders hoch sind die wirtschaftlichen Verluste für den Westen. Viele Schürfrechte für die zahlreichen neue Funde an Bodenschätzen sind längst vergeben an die Chinesen, die das glaubhaft in Aussicht stellen, was der Westen in zehn Jahren Krieg nicht erreichen konnte: den Aufbau der Infrastruktur. Das haben sie bereits in Afrika erfolgreich unter Beweis gestellt und dadurch dort bisher in kürzester Zeit erheblichen Einfluss gewonnen zum Leidwesen ihrer westlichen Konkurrenten.

Nicht zuletzt die Kosten des Afghanistanfeldzuges und auch des Irakkrieges haben die USA an den Rand der Zahlungsunfähigkeit geführt. Um nicht eine Herabstufung der eigenen Kreditwürdigkeit durch die Rating-Agenturen zu riskieren und eine Anhebung der Verschuldungsbegrenzen durch den Kongress genehmigt zu bekommen, musste der amerikanische Präsident im Juli 2011 kurzfristig den Abzug von 33.000 Soldaten bekannt geben. Immer mehr Menschen in den am Krieg beteiligten Nato-Staaten spüren schmerzhaft den Widerspruch, dass dort Milliarden buchstäblich verpulvert werden, die ihnen im eigenen Land fehlen in den Schulen, der Gesundheitsversorgung und in allen anderen Bereichen der sozialen Versorgung.

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