Selbstverständlich handelt es sich beim militärischen Eingreifen einer Reihe von Staaten in den innerlibyschen Konflikt ausschließlich um humanitäre Unterstützung. Tote Zivilisten wurden nicht durch Bomben und Tomahawks getötet, sondern durch Gaddafi-Truppen. Und bei den bewaffneten Rebellen handelt es sich um friedliche Demonstranten, die sich nach nichts anderem sehnen als nach Freiheit. Aus diesem Grunde haben sie auch bereits eine neue Ölgesellschaft ins Leben gerufen, um der brutalen Gaddafi-Regierung die Profite zu entreißen. Ja, sogar eine neue Notenbank wurde ins Leben gerufen, damit der Diktator auch die Kontrolle über das Geldwesen verliert. Falls es den Aufständischen am nötigen Geschick im Big Business fehlt, steht mit Sicherheit ausreichend internationale Unterstützung zur Verfügung.
Die Süddeutsche ließ heute einen gewissen Aiman A. Mazyek zu Wort kommen. Er ist Vorsitzender einer Vereinigung, die sich „Zentralrat der Muslime in Deutschland nennt“. Aiman Mazyek ist, wie sein Name schon vermuten lässt, selbst Deutscher. In seinem Gastbeitrag verweist er auf die „hysterische Angst“ vor dem Islam, während die Menschen in arabischen Staaten „Leib und Leben“ bei ihrem Kampf um Demokratie einsetzen. Über Libyen schreibt er: „Ermutigt durch seine direkten Nachbarländer Ägypten und Tunesien ging auch hier das Volk zunächst friedlich für Freiheit und Demokratie auf die Straßen und wurde von Gaddafis Militärmaschine brutal niedergewalzt.“
Um Freiheit und Demokratie auch finanzieren zu können, scheint es sich beim libyschen Öl um eine der Hauptinteressen der „friedlichen Demonstranten“ zu handeln. Der Ruf „Allah hu akbar“, der ansonsten meist im Zusammenhang mit Terrordrohungen in den Medien zu vernehmen war, wird in diesem Fall zur Unabhängigkeits-Parole – begleitet von einigen friedlichen Gewehrsalven. Kommen wir jedoch gleich zum Öl. Schon vor einer Woche meldete eine Nachrichtenagentur, dass die Rebellen schon eine neue „staatliche“ Ölgesellschaft ins Leben riefen, um die National Oil Corporation, ein Staatsbetrieb unter Gaddafi-Kontrolle, abzulösen.
Gaddafis sozialistische Tendenzen sorgten seit seiner Machtergreifung für Probleme in der Ölverteilung. Während der vergangenen Jahre schienen sich die Wellen jedoch zu glätten. Der Artikel über die National Oil Coporation in der englischen Ausgabe von Wikipedia bietet eine Menge Details über die Zusammenarbeit mit internationalen Öl-Gesellschaften. Für einige Zeit, nachdem der Diktator des ehemaligen „Schurkenstaates“ dann doch wieder zum umworbenen Geschäftspartner geworden ist, dürften einige der internationalen Giganten ja doch ihr Stück vom Kuchen abbekommen haben. Doch langfristig konnte man sich auf diesen Gaddafi einfach nicht verlassen. Schon am 22. Januar 2009 fand sich in der Online-Ausgabe von Forbes die Schlagzeile „Macht sich Libyen daran, amerikanische Öl-Gesellschaften hinauszuwerfen?“. Und weiter: „Muammar Gaddafi scheint bereit, eine neue Runde von Verstaatlichungen im Energie-Sektor loszulassen.“
Verstaatlichung klingt nie gut in einer Welt des freien Handels. Dass Einnahmen von Staatsbetrieben dem Volk zugute kommen könnten, wird von vornherein einmal ausgeschlossen. Gewiss, finanziell ist es den Libyern bis dato keineswegs schlecht ergangene. Doch was nützt schon Wohlstand ohne Demokratie, ohne internationale Konzerne, ohne Zusammenarbeit mit dem internationalen Bankenwesen, das bereitwillig Kredite zur Verfügung stellt und vielleicht auch Fabriken errichtet, damit die Leute, die bislang ohne Job auskamen, endlich Arbeit kriegen, damit sie Steuern zahlen können, um die Zinsen für die Kredite zu finanzieren?
Betrachten wir eine Meldung aus der Financial Times vom 20. März 1011, scheint es, als hätte Gaddafi wirklich Schritte in dieser, anno 2009 befürchteten, Richtung eingeschlagen. Zumindest, seit sich die „internationale Gemeinschaft“ gegen ihn erhebt. Dort steht geschrieben: „In Libyen operierende westliche Öl-Gesellschaften haben vertraulich davor gewarnt, dass ihre Niederlassungen im Land verstaatlicht werden könnten, falls Muammar Gaddafis Regierung die Oberhand gewinnt.“
Diese Information wurde am Tag nach dem Beginn des Einsatzes von Bombern und Marschflugkörpern gegen Libyen veröffentlicht. Westliche Ölgesellschaften fürchten, ihrer Besitzungen in Libyen verlustig zu werden, und der Weltöffentlichkeit wird eine „humanitäre Mission“ vorgegaukelt. Und alle Politiker der westlichen Welt verlieren kein Wort darüber. Und alle etablierten Medien der westlichen Welt schließen sich der Lügenkampagne an. Und ein Großteil der Menschen, die im Westen leben, glaubt diesen blanken Unsinn, dass sich das Libysche Volk nach Freiheit und Demokratie sehnt und „Leib und Leben“ einsetzt, um den „brutalen Diktator“ zu stürzen.
Doch nicht genug damit. Im bereits erwähnten Bloomberg-Artikel stand ebenfalls schon vor einer Woche zu lesen, dass die Central Bank of Bengazi, jener Stadt, die von den Rebellen kontrolliert wird, zur monetären Autorität des Landes Libyen erklärt wurde. Die Aufständischen, während sie in erbittertem Kampf ihrem Land Freiheit und Demokratie zu bescheren versuchen, greifen auch gleich ins Bankwesen ein. Unter Gaddafi verfügte die Central Bank of Libya über die absolute Kontrolle des Geldwesens. Gaddafi-Gegner werden natürlich Beschuldigungen erheben, dass die damit verbundene Macht vom Diktator ausgenützt wurde. Doch lassen Sie mich in Erinnerung rufen: Libyen ist praktisch schuldenfrei, Libyen verfügt über ein staatlich finanziertes Gesundheitssystem, den Libyern ging es finanziell derart gut, dass Millionen von Ausländern ins Land geholt wurden, um die Arbeit zu erledigen. Und dass es in diesem Land eine unabhängige Zentralbank gibt, ist der „internationalen Gemeinschaft“ natürlich ein Dorn im Auge. Da könnte sich doch vielleicht jemand ein Beispiel daran nehmen.
Warum ist Libyen auch für uns von so großer Bedeutung? Es geht nicht nur darum, dass dort Menschen sterben, weil internationale Öl-Gesellschaften um ihre Besitzungen bangen oder dass wir wieder einmal mit unverschämten Lügen konfrontiert werden wie seinerzeit, als Saddam Hussein beschuldigt wurde, Massenvernichtungswaffen zu basteln. Libyen ist ein Beispiel dafür, was mit einem Land geschieht, das sich aus der internationalen Finanzdiktatur zu lösen versucht. Gewiss, Muammar Gaddafis bisherige Auftritte in der Öffentlichkeit erlaubten problemlos, ihn zum Schurken zu erklären. Ein Mann, der bei Staatsbesuchen sein Beduinenzelt im Hotelpark errichtet und gegen die Schweiz den „heiligen Krieg“ erklärt, ist der perfekte Buhmann. Da lässt sich dann auch gerne glauben, dass er eigenhändig seine Mitmenschen abmurkst und die Leichen neben die von Bomben und Tomahawks zertrümmerten Einrichtungen platziert.
Vergessen wir jedoch Gaddafi als Person, nehmen wir ein Land, das die Bodenschätze für den Staatshaushalt nutzt, anstatt sie internationalen Konzernen zu überlassen, das ein unabhängiges Geldwesen betreibt, das schuldenfrei ist und das es bislang unterlassen hat, seine Bürger in die Armut zu treiben. Was würde mit einem westlichen Staat wohl geschehen, der radikale Maßnahmen einsetzt, um die derzeitige Wirtschaftkrise zu überwinden? Ein Staat, dem das Wohlergehen der Bürger mehr bedeutet als das der Finanzlobby. Werfen Sie einen Blick auf die Zahlen, die von Forbes jährlich in der Liste der Milliardäre veröffentlicht werden. Vergleichen Sie den Anstieg der Vermögen mit dem der Arbeitslosenzahlen und der immer weiter fortschreitenden Verbreitung wirklicher Armut in unseren sogenannten reichen Ländern. Was würde mit einem Land wohl geschehen, in dem eine Regierung gewählt wird, die sich der Probleme wirklich annimmt? Was man dieser Regierung alles vorwerfen würde, darüber lasse ich Sie selbst nachdenken. Schade, dass es so Wenige sind, die es begreifen.