Das 2-Grad-Ziel ist nicht mehr zu halten. „Denn es bleibt nicht mehr viel Zeit, um das Unbeherrschbare noch zu vermeiden und das Unvermeidbare sicher zu beherrschen“. (Homepage vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung) „Der Pfad, auf dem wir gegenwärtig sind, geht Richtung 4-5 Grad“. (Dr. Anders Levermann, PIK). Und die globalen Trends deuten in eben diese Richtung: das Wirtschaftswachstum mit den damit verbundenen Emissionen insbesondere in Asien und Lateinamerika geht weiter steil nach oben. Treiber ist u.a. das weitere starke Wachstum der Weltbevölkerung, die zunehmende Verstädterung (mehr als 50% der Weltbevölkerung leben in den sogenannten Mega-Cities wie Hongkong, Seoul, Sao Paolo etc.).
Der Energieverbrauch der Weltbevölkerung steigt. Die Emissionen steigen. Trotz Kyoto. Trotz internationaler Klimadiplomatie. Dies ist eine wichtige Einsicht: trotz Klimadiplomatie, trotz Energieeinsparprogrammen, trotz Klimaschutzmaßnahmen – steigen die Emissionen. Das Scheitern des UN-Gipfels in Kopenhagen vor einem Jahr und die aktuellen Bedingungen in Cancun zeigen: die Diplomatie ist zu langsam, um auf die Herausforderungen zu reagieren.
Notwendige Kompromisse werden, je höher man in den politischen Ebenen geht (lokal, Kreis, Land, Bund, Europa, UN) immer schwerer gefunden. Der Langsamste bestimmt das Tempo im Tross. Jetzt in Cancun werden nicht einmal die Staatschefs anreisen. Sie überlassen ihren Umweltministern die „Bühne“, was ja immer ein wenig ans Theater erinnert.
Um Missverständnissen vorzubeugen: es gibt keine Alternative zu Klimaschutzmaßnahmen und zu Klimadiplomatie. Denn sie könnten den Anstieg der Emissionen vielleicht doch verlangsamen. Aber: zu einem Stopp der Emissionen ab 2050 wird es nicht kommen. Der Trends wegen. Dies jedoch wäre nötig, um das 2-Grad-Ziel (Erwärmung der Atmosphäre um nicht mehr als 2 Grad) zu erreichen.
Das Wachstum der Weltbevölkerung und des Energiehungers frisst die Einspareffekte auf. Es ist schneller als die Einsparungen. Deshalb ist wohl richtig: Der gegenwärtige Pfad geht auf 4-5 Grad Temperaturanstieg in der Atmosphäre hinaus. In meinen Augen wäre es daher ein Zeichen verantwortlicher Politik, wenn man den Menschen nicht länger etwas vormachen würde. Es wäre verantwortlich, den Menschen zu sagen, dass man sich auf die Folgen des Anstiegs der Durchschnittstemperatur um 4-5 Grad bis Ende des Jahrhunderts einstellt.
Es ist falsch, den Menschen zu sagen, dass man den Klimawandel stoppen könnte. Alle Trends sprechen dagegen. Vielleicht gelingt es, den Anstieg der Emissionen etwas zu verlangsamen. Aber selbst dafür wären einschneidende Schritte nötig. Die Ergebnisse der bisherigen Klimaverhandlungen und auch die Effekte der bislang eingesetzten Klimaschutzmaßnahmen jedoch deuten in eine andere Richtung. Sie reichen bei weitem nicht aus, um eine wirksame Verlangsamung des Anstiegs der Emissionen zu erreichen.
Wir wissen sehr genau, dass beispielsweise die Effizienzgewinne bei der Entwicklung von Motoren (deutlich weniger Spritverbrauch) vom Wachstum des Verkehrs (insbesondere des Schwerlast- und Flugverkehrs) mehr als aufgefressen wird. Ähnliches gibt es vom Energiehunger der Städte zu berichten. Er wird immer stärker.
Die Folgen sind überaus komplex und sollen hier nicht dargestellt werden. Es genügt, auf die Arbeiten des IPCC dazu zu verweisen. Vieles ist bereits gesichert. Die Prognosen werden auch – dank moderner Höchstleistungsrechner – immer regionaler und präziser.
Am Wissen liegt es nicht. Es liegt auch nicht am Wollen. Dass wir es mit einem Systemfehler zu tun haben, darauf hatte ich kürzlich hier hingewiesen. Man weiß zwar noch zu wenig über die sozialwissenschaftlichen Zusammenhänge des Klimawandels, weshalb das PIK nun entsprechende Schwerpunktforschung eingerichtet hat. Aber die wesentlichen Zusammenhänge sind mittlerweile deutlich.
Da die internationale Forschercommunity seit längerem auf ein zentrales Problem hinweist – uns läuft die Zeit davon, um noch reagieren zu können – müsste meines Erachtens ein Umdenken in der Hinsicht stattfinden, dass man sich auf den 4-5 Grad Anstieg einstellt. Wenn es dank Klimaschutzmaßnahmen weniger wird, um so besser.
Wenn man dies jedoch tatsächlich tun würde – hätte das sehr weitreichende Konsequenzen für Parlament und Administration. Denn man würde von der Annahme ausgehen, dass die Prognose eintrifft: Anstieg der durchschnittlichen Temperatur um 4-5 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts. Und von daher würde man relativ zügig entwickeln können, was zu tun wäre. Ein paar Stichworte:
1. Einrichtung eines wirklich entscheidungsfähigen green cabinet. Erste Vorarbeiten dazu gibt es in einigen Staaten, auch in Deutschland; aber die Durchsetzungsfähigkeit dieser Gremien ist nicht gegeben; es fehlt beispielsweise ein Veto-Recht vor Zuleitung ins Kabinett.
2. Fokussierung aller mittelfristigen Planungsprozesse auf das Thema Klimawandel in Deutschland, z.B. Bundesverkehrswegeplan (Laufzeit 15 Jahre, diese Planung hat noch einen Ölpreis von vor zehn Jahren zur Grundlage); Stadtentwicklungspolitik (erste Anfänge gibt es mit der Leipzig-Charta); MifriFi (die von Karl Schiller eingeführte mittelfristige Finanzplanung des Bundes, die sie etwas unabhängiger von Konjunkturzyklen machen soll); Küstenschutzmaßnahmen (allein die Hafenstädte werden in den kommenden Jahren enormen Finanzierungsbedarf haben); Fokussierung der Forschungspolitik (es ist beispielsweise ein Unding, wie viel Geld der Bund in der seit 50 Jahren erfolglosen Fusionsforschung versenkt, ohne, dass es zu brauchbaren Ergebnissen kommt) auf Effizienz, Neue Materialien, Senkung der Energieverbräuche; Klimafolgenforschung. Dies würde beispielsweise bedeuten, dass die Finanzierung der außeruniversitären Forschung in Deutschland sehr viel stärker als bislang tatsächlich transdisziplinär möglich werden müsste. Davon sind wir meilenweit entfernt (man stelle mal einen wirklich transdisziplinären Forschungsantrag bei der DFG, dann merkt man schnell, wovon ich rede).
3. Präzisierung der zu erwartenden Folgen des Klimawandels in allen anderen Politikfeldern. Es gibt kein Ressort, das nicht vom Klimawandel betroffen ist. Exemplarisch: Auswirkungen in der Land- und Forstwirtschaft; in der Außen- und Sicherheitspolitik; in der Migrationspolitik; Auswirkungen auf die Energiewirtschaft und übrigen Wirtschaftsbereiche; Auswirkungen im Gesundheitssystem (die extrem heißen Sommer in vergangenen Jahren haben beispielsweise zum starken Anstieg von Todesopfern geführt).
4. Einrichtung von wirklich transdisziplinär arbeitenden parlamentarischen Arbeitsgruppen. Mit Ausnahme der Arbeitsgruppen Energie ist die parlamentarische Arbeit noch sehr stark segmentiert; wirklich transdisziplinäres Arbeiten sehr ungewohnt.
5. Verbesserung der Kooperation über Fraktionsgrenzen hinweg. Nichts eignet sich weniger zum Parteienstreit als das Thema Klimawandel, denn die Folgen müssen bezahlt werden, egal, wer gerade regiert. Ich weiß, dass gerade dieser Punkt angesichts des parlamentarischen Alltags überaus kühn ist und schnell das Votum „ist ja lächerlich“ bekommt. Dennoch sei’s gesagt.
Gesamtgesellschaftlich wäre es überaus wünschenswert, wenn dem Thema Klimawandel weitaus mehr seriöse Aufmerksamkeit gewidmet würde. Im Moment hat das Thema Zyklen, die von immer den selben Bildern von „untergehenden Inseln“ etc. begleitet werden – ohne wirklich zu einer wirksamen Veränderung des Denkens beizutragen. Nicht nur Fachjournalisten, sondern insbesondere die Herausgeber großer Medien haben auch eine Verantwortung – nicht nur die, sich um Einschaltquoten und Verkaufszahlen zu kümmern. Die Herausforderung besteht ja gerade darin, zu einer Veränderung des Denkens auf eine Weise beizutragen, die nicht von Sensationslust, Einschaltquoten und kurzfristigen „Erfolgen“ geprägt ist, sondern sich wirklich darum bemüht, zu veränderten Denken zu kommen.
Am Anfang der Bemühungen um eine wirksame Vorbereitung auf die voraussehbaren Entwicklungen stünde jedoch die nüchterne Einsicht: der Klimawandel ist nicht zu stoppen. Vielleicht gelingt es, ihn ein wenig abzumildern. Es wäre vorausschauend und verantwortliche Politik, sich auf den Korridor von 4-5 Grad vorzubereiten, zum Beispiel durch die Einführung einer neuen Technologie, wie z.B. eines Elektro-Autos, bis zum Erreichen der Massenmarkt-Schwelle. Die wird bei etwa 1 Million verkaufter Einheiten erreicht; Deutschland hat das Ziel, 2020 diese 1 Million e-cars auf den Straßen zu haben.
Um es in einem Bild zu sagen: es vielleicht wie bei der Diagnose einer schweren Erkrankung. Es genügt nicht, die Ursachen in der Vergangenheit zu analysieren – falsche Lebensweise – sondern es kommt nun darauf an, mit der Diagnose verändert weiterzuleben. Dies bedeutet: eine radikale Veränderung. Man muss lernen „mit der Krankheit zu leben“.
Deshalb stünde am Anfang eines solchen Bemühens eine nüchterne Ehrlichkeit: Vergesst Cancun!