Freitag , 19 April 2024
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ACTA 3.0 – Medien-Panikmache zu Cyber-Terrorismus soll sich auszahlen

clean it screenshotNach ACTA droht uns CleanIT – der neueste Anlauf der EU-Bürokratie gegen ein freies Internet. Wenig einfallsreiche Begründung: Cyber-Terrorismus. Dem aggressiven Durchsetzen eines rigiden Staatsgeheimnisses gegen Bürgerrechtsbewegungen wie Wikileaks steht der immer gierigere Griff nach den Daten der Menschen im Netz gegenüber. Das letzte CleanIT-PDF stammte vom Mai 2012 und spielte gleich zu Anfang die Islamistenkarte bei der Beschwörung des Cyber-Terrorismus aus:

“The Internet plays a central role and is of great strategic importance for terrorists and extremist networks… Al Qaida influenced extremists for example, have made increasing use of this medium.” The CleanIT-Project

Jetzt ist eine neue Version des Entwurfs aufgetaucht, die offenbar noch nicht für die Öffentlichkeit gedacht war. Die European Digital Rights (EDRi), ein Zusammenschluss von 32 europäischen Bürgerrechtsgruppen, hat jüngst ein vertrauliches CleanIT-Dokument ans Licht gebracht, das die EU-Bestrebungen zum Ausbau der Netzkontrolle beleuchtet. Begonnen hatte CleanIT mit Diskussionen über einen nicht näher spezifizierten “Terrorismus” im Internet – die Medien machten mit und warfen einen Panik-Bericht nach dem anderen zu diesem Thema auf den Meldungsmarkt.

Eifrige Diskussionsteilnehmer waren Unternehmen, die Filtertechnologien vermarkten wollen und ihr Lobbyismus hat sich ausgezahlt: CleanIT präsentiert einen Vorschlag zur Filterung nach dem anderen. Unternehmen, Provider, Behörden und sogar NGOs sollen dafür eingespannt werden, so das Wiener Datenschutzportal unwatched.org. Es gebe Vorstöße zur Haftungserweiterung für den Fall, dass nicht weitgehend genug gefiltert wird und natürlich die Forderung nach mehr Geld für neue Filtertechnologien.

CleanIT will eine umfassende Infrastruktur zur Kontrolle des Netzes schaffen, unerwünschte Inhalte jeder Art könnten erfasst werden. Zunächst sollen Internetprovider künftig für “terroristische Aktivitäten” (was das ist bestimmen die Behörden) auf ihren Websites haften. Provider sollen mal wieder als Hilfs-Sheriff-Online unliebsamen Content löschen oder zumindest sperren – unter Androhung von Sanktionen. Die Polizeibehörden sollen ihnen dafür “automatische Detektionssysteme” installieren, die Websites nach Schlüsselbegriffen durchsuchen, Meldebuttons für “terroristische Inhalte inklusive.

Dabei geht es scheinbar vor allem um fragwürdige Auftragsbeschaffung für die Online-Sicherheitsindustrie, Motto: “Setzte Filter ein oder hafte für terroristische Angriffe”. Den Internetanbietern wird empfohlen, in ihren AGBs unerwünschte Aktivitäten zu untersagen, wobei geraten wird, die entsprechenden Bestimmungen “sollten nicht sehr detailliert” sein – Willkür und Zensur werden damit ebenso Tür und Tor geöffnet, wie die Angst vor freier Meinungsäußerung geschürt.

Das geleakte Papier steht laut unwatched.org auch im Widerspruch zu jenen Versicherungen, dass das Projekt “nicht auf die Einschränkung von Verhaltensweisen abzielt, die von Gesetzes wegen nicht verboten sind”. Denn wer in seinen AGBs verbiete, was theoretisch gesetzlich verboten sei, betreibe eine Form der Selbstjustiz durch die Privatwirtschaft. Die einzige Möglichkeit für ein Unternehmen, alles auszuschließen, was gesetzlich verboten ist, bestehe darin, die Geschäftsbedingungen so zu gestalten, dass sie noch breiter, ungenauer und weniger nachvollziehbar sind als die gesetzlichen Vorschriften.

Das von der EU-Generaldirektion für Inneres finanzierte CleanIT (Terrorismus) befasst sich mit denselben Problemen wie die CEO Coalition, die ebenfalls von der EU finanziert wird. Die 2011 auf EU-Betreiben gegründete CEO “Coalition to make the Internet a better place for kids” umfasst die ganze IT-Industrie: Unter seinen 30 Mitgliedern finden sich: Apple, BSkyB, BT, Dailymotion, Deutsche Telekom, Facebook, France Telecom, Orange, Google, Hyves, KPN, Liberty Global, LG Electronics, Mediaset, Microsoft, Netlog, Nintendo, Nokia, Opera Software, Research In Motion, Samsung, Skyrock, Stardoll, Sulake, Telefonica, TeliaSonera, Telecom Italia, Telenor Group, Tuenti, Vivendi, Vodafone und natürlich der größte europäische Medienkonzern und Polit-Lobbyist Bertelsmann, vertreten durch seine Tochter RTL Group.

Staat und IT-Industrie erweisen sich als traulich vereint im Bemühen, die Netzkultur zu kontrollieren. CEO und CleanIT entwickeln Strategien zu Fragen wie Meldebuttons und die Kennzeichnung von illegalen Materialien zur Schaffung eines “freiwilligen” Systems zur Bekämpfung von möglicherweise illegalen Inhalten. Beide haben sich mit Upload-Filtern beschäftigt, um Netzinhalte zu überwachen.

CleanIT fordert verbindliche Zusagen von den Internetanbietern, dass sie Überwachungs-, Sperr- und Filtermaßnahmen einsetzen (obwohl nur auf Ebene der “Endnutzer” – soll heißen, auf Ebene lokaler Netzwerke). CleanIT will ein Netz von zuverlässigen Netz-Informanten aufbauen und von den Mitgliedsstaaten strengere Rechtsvorschriften einfordern, so unwatched.org.

Mit dabei ist also wieder der feuchte Wunschtraum aller totalitären Netz-Überwacher: Eine strikte Klarnamenpflicht in Foren und sozialen Netzwerken soll freie Kommunikation unmöglich machen. Anbieter sollen verpflichtet werden, ihre Nutzer rechtssicher zu identifizieren und sogar kontrollieren, dass Nutzer nur echte Profilfotos von sich hochladen. Die Anonymität des Internets wäre damit verloren. Der bislang noch anonyme Blogger Gedankensindfreier meint dazu auf Humanicum:

“Die EU-Kommissarin Cecilia Malmström steht für die totale Überwachung des Internets. Dabei geht sie mit ihrer Vorstellung eines gereinigten Webs weit über ACTA hinaus; und selbst der Iran mutet dabei vergleichweise als Hüter der Meinungsfreiheit an.”

Wie heißt es doch so schön am Beginn des neuen CleanIT-Entwurfs: “This document is not for publication. The recipient may share this document only with others in their organization on a ‘need to know’-basis.” Transparenz sieht anders aus. Aus solchen Methoden und Ideologien kann keine Netzkultur hervorgehen, wie sie seit vielen Jahrzehnten von Netz-Aktivisten wie dem Chaos Computer Club oder Wikileaks angestrebt wird. Nutzen wir die (relative) Netzfreiheit, solange es sie noch gibt.

 

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