Dieser Überzeugung ist der Rechtsgelehrte Gunnar Beck, Professor für EU-Recht an der Universität von London. Trotzdem befürchtet er, dass die Verfassungsrichter in Karlsruhe diesem Vertrag zustimmen werden. Denn ein Kippen des Vertrages würde die Eurokrise um ein Vielfaches verschärfen. Die Bestätigung würde gleichzeitig aber einer Aufhebung des Rechtsstaates gleichkommen. Wie immer die Entscheidung am 12. September ausfallen wird, die Tragödie ist besiegelt.
Der in Düsseldorf geborene und nun in London unterrichtende Gunnar Beck gilt als einer der kompetentesten Rechtsexperten im Rahmen der Europäischen Union. Einem Eintrag bei Wikipedia zufolge, arbeitet er zurzeit an einer Studie mit dem Titel: „Der Europäische Gerichtshof und die rechtliche Vernunft.“
Heute.de veröffentlichte am 9. September ein aussagekräftiges Interview mit Gunnar Beck.
Schon die Antwort auf die erste Frage, ob der Euro noch eine Zukunft hätte, wenn die Richter in Karlsruhe die Verfassungswidrigkeit des ESM feststellen sollten, ist schockierend: „Wenn das Gericht den ESM-Vertrag tatsächlich kippen sollte, würde es damit die bislang größte Eurokrise heraufbeschwören.“ Doch schon im darauffolgenden Satz spricht er seine Überzeugung aus, nämlich, dass die Richter den Vertrag nicht fundamental angreifen werden. Das bedeutet, ungeachtet wie sich die Richter entscheiden werden, die Bürger, die Steuerzahler haben bereits verloren. Entweder durch das Heraufbeschwören einer Finanzkrise, wie sie bis dato kein Beispiel kennt, oder durch uneingeschränkte Schuldsklaverei. Denn, so führt Gunnar Beck in weiterer Folge aus, die Haftung ist letztendlich unbegrenzt. Entgegen oft wiederholter Erklärungen, beschränkt sie sich keineswegs auf den 27,15-prozentigen Anteil für Verluste am Fondskapital von 700 Milliarden Euro. Gunnar Beck wörtlich: „De facto gibt es keine Haftungsobergrenze!“
Was die Zusagen der Politiker betrifft, möchte ich an dieser Stelle ganz beiläufig an ein Versprechen der CDU im Jahr 1999 erinnern, das eindeutig besagte, dass Deutschland unter keinen Umständen für die Schulden anderer Länder aufkommen muss.
Dass den Richtern auch gegen besseres Wissen keine andere Wahl bleibt, als gegen bestehendes Verfassungsrecht zu entscheiden, erklärt Gunnar Beck folgendermaßen: „Das Urteil hat eine weltweite Tragweite. Deshalb wird ein enormer Druck auf die Richter ausgeübt. Mit Sicherheit wäre es eine rechtsstaatliche Tragödie, wenn das Verfassungsgericht bei klarer Rechtslage nicht den Mut aufbringt, Verfassung und Bürger gegen die ‚große politische Koalition‘ fast aller Parteien in Berlin zu schützen. Recht ist jedoch auch immer die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“
Ebenfalls am 9. September veröffentlichte Der Spiegel einen Artikel, der auf die tragende Rolle Deutschlands in der Eurozone verweist. Der Multimilliardär George Soros zählt zwar kaum zu den höchsten Entscheidungsträgern, doch ist er seit vielen Jahren für sein internationales Engagement bekannt. Ihm zufolge muss Deutschland die Führung übernehmen oder aus dem Euro aussteigen (was aber ebenfalls zu dessen Zusammenbruch führen müsste).
Genau zu dieser Ansicht passt nun auch Gunnar Becks Meinung bezüglich Draghis jüngstem Beschluss über den Ankauf fauler Staatsanleihen durch die EZB. Würde Deutschland durch eine Entscheidung des Verfassungsgerichts deutlich ausdrücken, nicht hinter den, durch die Steuerzahler abgesicherten, Rettungsmaßnahmen zu stehen, wäre die Signalwirkung „verheerend“.
Dieses Interview mit Gunnar Beck, das ich unbedingt in voller Länge zu lesen empfehle, drückt in aller Deutlichkeit aus, wie verfahren die ganze Situation mittlerweile ist. Alle während der vergangenen Jahre eingeleiteten Maßnahmen setzen sich ausschließlich mit den negativen Auswirkungen eines Geldsystems auseinander, das genau diese Probleme zwingend herbeiführen musste. Und selbst wenn es gelingen sollte, durch die eingeleiteten Rettungsmaßnahmen das Schlimmste zu verhindern, dann handelt es sich dabei lediglich um eine Verzögerung.
Ist es denn wirklich so schwer zu begreifen, dass ein System, das in eine Krise führt, derartige Krisen immer wieder von neuem auslösen wird, solange es nicht von Grund auf geändert wird?
Einen klar verständlichen Überblick über die eigentlichen Ursachen dieser Finanzkatastrophe bieten die „elementaren Fragen an die Politik“, ausgearbeitet von Wirtschaftswissenschaftler Dr. Otmar Pregetter, wie sie kürzlich den Bundeskanzlern und allen Parteichefs der beiden deutschsprachigen Euroländer übermittelt wurden. Wie volksfremd unsere Damen und Herren Politiker mittlerweile sind, zeigt sich jedoch deutlich aus den bei uns eingegangenen Reaktionen. Und die einzige ausführliche Antwort verdeutlicht wiederum die haarsträubende Oberflächlichkeit, mit der unsere „Volksvertreter“ der Situation gegenüberstehen.