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Arte-Doku trommelt für griechischen Sparkurs

parthenon athenDie Arte-Doku „I love Democracy“ wurde von Emmanuel Leconte (Kamera) und Daniel Leconte ab dem 5.Februar 2012 gedreht. Immer wieder warf Leconte (Markenzeichen: erhobener Zeigefinger, arrogant gekräuselte Lippen) in seiner Arte-Doku den Griechen vor, über ihre Verhältnisse gelebt zu haben, Schulden, Schlendrian und Korruption, die übliche Leier. Von französischem Schlendrian, Mogelei und Korruption bei der EU-Behörde Eurostat weiß Leconte nichts: Dort hätten die griechischen Machthaber bei ihren von Goldmann Sachs erlernten Statistik- und Bilanzfälschungstricks kontrolliert werden sollen. Seine stramm neoliberale Gesinnung reicht offenbar zur Qualifikation aus, denn seine Kenntnis der griechischen Geschichte erweisen sich im eingangs zitierten Schluss-Sermon des Starreporters als lückenhaft bis einseitig verzerrt. Die Griechen mussten sich ihre Freiheit zweimal erkämpfen: einmal gegen deutsche Nazis und Britische Besatzer und dann gegen die mit CIA-Hilfe betriebene Folterdiktatur der Obristen (1967-74).

„Zwar haben die Griechen die Demokratie erfunden und damit das Gesicht der Welt verändert, aber sie haben es dabei belassen. Während die übrige Welt sich das Erbe Platos und der Agora zu eigen machte, wurde es in Griechenland verschmäht. Im 19.Jh. war das Land zweimal bankrott und beide Male wurde es von den europäischen Mächten aufgefangen. Und erst 1974 hat sich Griechenland dem Kreis demokratischer Staaten wirklich angeschlossen.“ Daniel Leconte (Arte).

Daniel Leconte vom oftmals erfreulich liberalen Qualitätssender Arte, präsentierte seinen Zuschauern damit den wohl langatmigsten neoliberalen Propagandastreifen des Jahres. In Form eines öden Urlaubsvideos durchs verregnete Griechenland, immer wieder unterbrochen von quälenden Interviews mit „einfachen Leuten“ bis hin zu Politikern. Durchgehend macht er Werbung für die Sparprogramme, gegen die Linksparteien, die für die Rechte der Menschen kämpfen. Das Wahlergebnis muss für ihn ein Schock gewesen sein: Ein Linksbündnis errang einen Wahlkampfsieg, dessen stolze Tradition im antifaschistischen Widerstand der Arte-Reporter mit seinen platten Sprüchen degradierte und ableugnete: Syriza.

Für Griechenland eine politische Sensation: Der Auftrag zur Regierungsbildung geht an den Chef des linken Syriza-Bündnisses, Alexis Tsipras, der den neoliberalen Sparkurs der Vorgängerregierung strikt ablehnt. Antikommunistische Emotionen kochen hoch: Tsipras, Fraktionschef des „linksradikalen Bündnisses Syriza“ war „schon als Schüler“ „in der kommunistischen Jugend organisiert“ gruselt sich Spiegel-Online.

Die Zwei-Parteien-Herrschaft scheint gebrochen, trotz unfairen Wahlrechts, das dem Sieger 50 Extra-Mandate im Parlament zuschanzt. Eine Koalitionsregierung scheint unmöglich: Selbst Schwarzrot fehlt eine Stimme zur Mehrheit. Neuwahlen sind im Gespräch, die Börsen sind verunsichert. Lassen sich die Griechen das rücksichtslose Eintreiben der von Geldeliten inszenierten Schulden bei der zunehmend verarmten Bevölkerung weiter bieten? Die Mainstream-Medien besonders in Deutschland, aber auch in Frankreich taten das ihre dazu, den gnadenlosen Sparkurs durchzusetzen, z.B. Leconte.

Leconte ficht das nicht an, ungehemmt lässt er seine Wut über den – vermutlich von Arte finanzierten – verregneten Mittelmeer-Urlaub mit Madame.Leconte an den von Finanzmächten gebeutelten Griechen aus, sie seien „zweimal bankrott“ und von uns gerettet worden. Mit etwas weniger Liebedienerei bei selbigen Finanzmächten hätte Leconte etwas anderes recherchieren können: Die US-Banken Citigroup und Goldmann Sachs wurden seit der Weltwirtschaftskrise 1928 schon viermal staatlich – also von uns Bürgern – gerettet. Griechenland leidet unter schlechten Ratings der drei großen Bewerter-Agenturen (Standard&Poors, Moodys und der bis vor kurzem französischen Fitch), aber diese bewerten unfair: Banken-Ratings verbessern sich bei staatlichen Subventionen (sog. Rettungsschirmen), Staaten-Ratings verschlechtern sich, bei staatlichen Krediten von außen (Rügemer 2012, S.82). Irgendwie unfair, doch das ist nicht Thema bei Leconte, ebenso wenig wie der griechische Kampf um Demokratie. Seine Doku ist nur die übliche hirnlos-neoliberale Begleitmusik für finanzpolitische Drangsalierung eines Landes, das wahrlich Besseres verdient hat.

Am 21. April 1967 ergriff eine Gruppe rechtsextremer Offiziere unter Georgios Papadopoulos im sog. Obristenputsch die Macht und errichtete eine Militärdiktatur. Man hatte den Wahlsieg der sozialistischen Eniea Dimokratiki Aristera (griechisch ?????? ??????????? ???????? ???, Vereinigung der Demokratischen Linken EDA) erwartet , in der sich auch zahlreiche Mitglieder der illegalen KKE engagiert hatten. Heute sieht sich die KKE weiterhin als marxistisch-leninistische Partei, während in der Nachfolge des Eurokommunismus das SY.RIZ.A -Bündnis linker Kleinparteien im Parlament bis zum 6.Mai 2012 ein Schattendasein fristeten.

Nach Massenverhaftungen wurden 1967 zahlreiche linke Oppositionelle gefoltert, ermordet oder ins Exil getrieben. Eine entscheidende Schwächung erfuhr die vom CIA gestützte Junta erst am 17. November 1973 durch den Aufstand der Studenten im Athener Polytechnikum, der unter Einsatz von Panzern brutal niedergeschlagen wurde, aber das Regime diskreditierte. Erst 1974 konnte die US-orientierte Militärdiktatur niedergeworfen werden und die Griechen kamen ihren vier Freiheiten wieder näher, doch der westliche Kapitalismus hatte sich bereits fest etabliert.

Die griechische Geldelite wurde von Händlern dominiert, die gute Kontakte in das gesamte Ostmittelmeer pflegten. Diese griechische Handelsbourgeoisie profitierte vom Ölboom in Nahost, da die ersten Öltankerflotten griechisch waren – Milliardär Onassis besiegelte die US-Verbundenheit bekanntlich durch seine Ehe mit der Kennedy-Witwe. Aus Angst vor der Linken im Land trug die hellenische Bourgeoisie 1967 den von den USA unterstützten Obristenputsch mit, bis 1974. Den USA ging es dabei auch darum, im Mittelmeer ein US-Gegengewicht zur Europäischen Gemeinschaft zu etablieren, so der Theoretiker der Internationalen Klasse, Kees van der Pijl, in seinem Buch „Global Rivalries – From the Cold War to Iraq“ (2006, S.141; vgl. v.d.Pijl 1984). Der US-Verbündete Israel, jüngst mit der Türkei überworfen, setzt derzeit vermehrt auf gute Beziehungen zum türkischen Rivalen Griechenland. Eng angebunden an Israel und wirtschaftlich von IWF und EU gegängelt bleibt Griechenland „ökonomisch, politisch und wirtschaftlich ein Spielball der Großmächte“ (David X. Noack, TheHeartland).

Quellen:

Spiegel.de, 08.05.2012, Regierungsbildung in Griechenland Radikaler Spargegner Tsipras bekommt seine Chance,
Noack, David X.: Griechenland im Spiegel von Großmachtinteressen und Globaler Politischer Ökonomie, 26.03.2012
van der Pijl, Kees: Global Rivalries – From the Cold War to Iraq, London 2006, S. 141.
van der Pijl, Kees: The Making of an Atlantic Ruling Class, London 1984, Epilog: From Trilateralism to Unilateralism
Rügemer, Werner: in seinem neuen Buch „Rating-Agenturen: Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart, Bielefeld 2012.
Zentner, Christian: Die Kriege der Nachkriegszeit, München 1969.

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