Wieder geht ein EU-Sonderrettungsgipfel ohne das einzig vernünftige Ende, dem Euro-Austritt Griechenlands, dahin. Wieder dauern die „Verhandlungen“ bis tief in die Nacht. Und wieder gibt es am Tag danach lauter schlechte Neuigkeiten. Der EU gelingt der ersehnte Befreiungsschlag erneut nicht. Liegt es daran, dass ein griechischer Austritt dem deutsch-französischen Tandem momentan nicht in den Kram passt?
Irgendwann muss es doch einmal vorbei sein. Treffen reiht sich an Treffen, einem unnützen Gipfel folgt sogleich der nächste, auf dem wieder nichts Bahnbrechendes beschlossen wird, sondern kleine Schritte die verfahrene Situation konservieren. Nun also soll es das zweite Hilfspaket geben, von dem man bereits weiß, dass es nicht reichen wird, um Griechenland zu retten. Erneut werden Milliarden in ein schwarzes Loch versenkt, mit dem sicher nicht die griechische Bevölkerung gemeint ist. Viel mehr werden unsere heißgeliebten Geldhäuser rausgehauen, während den monetär schwachen Bevölkerungsschichten auch noch der letzte Euro abgepresst wird. Mit den vielen Milliarden wird es keinen Marshall-Plan oder wenigstens ein Konjunkturprogramm für Griechenland geben, warum auch? Die Zufriedenheit der Bevölkerung ist ganz offensichtlich nicht der Maßstab, an dem das Handeln seitens der EU-Lenker gemessen wird.
Immer noch wird sich teure Zeit erkauft, immer noch will keine Idee aufkommen, wie man den Durchbruch schaffen könnte, obschon diese auf der Hand liegt. Es ist doch kein Geheimnis, dass Griechenland innerhalb der Euro-Zone keine Chance auf volkswirtschaftliche Genesung hat. Statt mit den Milliarden die prallgefüllten Taschen der Banken zum Platzen zu bringen, hätte man das viele Geld auch dafür nutzen können, der griechischen Regierung den Austritt, der ja auch nur vorübergehend sein könnte, schmackhaft zu machen.
Bevor nun wieder der deutsche Stammtisch aufschreit und den „Rausschmiss“ der Hellenen fordert: Nein, das ist nicht möglich und ja, dies kann – wenn überhaupt – nur das betreffende Land selbst beschließen. Nach dem Affront des griechischen Staatspräsidenten, der den deutschen Kassenwart Wolfgang Schäuble (CDU) jüngst brüskiert hatte, keimte ja fast so etwas wie Hoffnung auf, dass mit Deutschland auch Europa von dem Plan abrückt, Griechenland auf Teufel komm raus in der Euro-Zone zu halten. Eine unerfüllte Hoffnung.
Wenn die Politiker es nicht von selbst begreifen wollen oder dürfen, kann der Markt ihnen unter Umständen auf die Sprünge helfen: Die Ratingagentur Fitch erklärte gestern, dass ein Staatsbankrott Griechenlands „äußerst wahrscheinlich“ sei und senkte folglich die Bonität des Landes. Diese ist nun noch genau eine Stufe vor dem Zahlungsausfall. Fitch hatte bereits in der Vergangenheit angekündigt, dass der „freiwillige“ Verzicht der privaten Gläubiger Griechenlands so freiwillig nicht ist, folglich würde dieser – sollte er zustande kommen – als teilweiser Zahlungsausfall gewertet. Heute wird das griechische Parlament ein Gesetz auf den Weg bringen, der einen zwangsweisen Schuldenschnitt möglich macht. Dieser kommt selbstredend nur dann zustande, wenn sich die privaten Gläubiger nicht ausreichend am „freiwilligen“ Schuldenschnitt beteiligen. Es macht also gar keinen Unterschied, ob sich die Banken dazu durchringen, freiwillig auf einen Teil ihrer Forderungen zu verzichten, sie müssten es so oder so tun. Vor diesem Hintergrund ist die Bewertung von Fitch nachvollziehbar.
Aber auch Griechenland selbst glänzte am Tag nach der Einigung auf das Nicht-Rettungspaket mit neuerlichen Zahlen zur Wirtschaft. Das Haushaltsdefizit Griechenlands werde im laufenden Jahr nicht 5,4, sondern bei 6,7 Prozent liegen. An dieser Stelle ein besonderer Dank an den Internationalen Währungsfonds (IWF), auf dessen Mist die einseitige Fokussierung auf die Ausgabenseite gewachsen ist.
Warum aber kaufen sich die Europäer immer wieder aufs neue Zeit? Mit Griechenland kann man natürlich wunderbar von den Schwelbränden in Italien, Spanien und Portugal ablenken. Es ist ja immerhin nur Griechenland, dem es nicht gut geht, so die erhoffte Marktreaktion. Die Gewöhnung an die griechische Tragödie tut ihr übriges. Außerdem kann sich Sarkozy eine Neuordnung der Euro-Zone im französischen Präsidentschaftswahlkampf nicht leisten, während Merkel darauf hofft, am kommenden Montag den verfassungsrechtlich mindestens bedenklichen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) durch den Bundestag zu peitschen. Es gibt also viele Gründe dafür, Griechenland vorerst nicht fallen zu lassen. Kein einziger hat jedoch mit dem einfachen griechischen Volk zu tun, von dem erwartet wird, die Renaissance des Pauperismus ohne Murren zu schlucken.
Die Entfremdung der EU von den eigenen Völkern ist seit jeher gegeben, jedoch war sie wahrscheinlich noch nie so hoch wie heute. Natürlich muss ein demokratisch gewählter Regierungschef auch Politik gegen das eigene Volk machen dürfen und nicht immer nur auf Meinungsumfragen schielen. Jedoch ist dies immer nur für einzelne Gesetze beziehungsweise in einem engen zeitlichen Korsett zu bewerkstelligen. Im Falle Griechenlands sieht man bereits jetzt erste zaghafte Reaktionen des Volkes, welches zu Zehntausenden demonstriert, dabei aber zumeist friedlich bleibt, von einigen engagierten Vermummten einmal abgesehen. Wie lange diese Friedfertigkeit anhält, hängt ganz besonders davon ab, wie lange dieses unrühmliche Spiel mit der Wiege der Demokratie noch gespielt wird.