Kurz vor dem möglicherweise finalen Showdown in Brüssel zeichnet sich bereits im Vorfeld ab, dass der britische Premierminister David Cameron als Spaltpilz fungieren könnte. Während das Tandem Merkozy Einigkeit nur mehr vorspielen denn vorleben kann, droht auch dieser EU-Gipfel keinen Durchbruch zu zeitigen.
Cameron macht dies natürlich nicht freiwillig. Großbritannien ist neben den USA derzeit einer der kranken Männer der westlichen Industrienationen. Sinkende Ölfördermengen, eine galoppierende Inflation und eine revoltierende Jugend sind nur einige Probleme, die derzeit auf der Insel existieren. Der britische Premierminister selbst muss überdies auch noch um seine politische Macht und Karriere fürchten. Nicht etwa weil ihm die Opposition auf den Füßen stehen würde. Innerhalb der eigenen Partei formiert sich breiter Widerstand gegen Europa. Nun sind wir es ja gewohnt, dass die Briten ein spezielles Verhältnis zur Europäischen Union haben. Es geht aber nicht mehr nur um etwaige Ausnahmeregelungen für das deindustrialisierte Königreich, es geht darum, ob Großbritannien auch weiterhin Teil der europäischen Staatengemeinschaft sein kann und will.
Die vielfach kritisierten Finanzmärkte sind auf gewisse Art und Weise der letzte Strohhalm für Großbritannien. In den vergangenen Jahren wuchs die Macht der „City of London“ und liegt nun in einem Bereich, der aus demokratietheoretischer Sicht höchst bedenklich stimmt. Sollte Cameron mit leeren Händen aus Brüssel zurückkehren, ist sein politisches Aus faktisch besiegelt. Erst Ende Oktober musste er im britischen Unterhaus eine herbe Schlappe hinnehmen, obschon die Abstimmung in seinem Sinne ausgegangen war. Im Insel-Parlament wurde im Oktober über ein etwaiges Referendum der britischen Bevölkerung über den Verbleib in der EU abgestimmt. Zwar wurde dies mit 483 zu 111 Stimmen klar abgelehnt, dennoch verlor der britische Premier viel von seinem politischen Kapital. Denn unter den 111 Befürwortern einer solchen Volksabstimmung waren 81 Tory-Abgeordnete, also Politiker, die im Zuge der Fraktionsdisziplin eigentlich gegen eine derartige Abstimmung hätten votieren sollen.
Dies ist allerdings nicht der einzige Grund für die ablehnende Haltung der britischen Regierung hinsichtlich der von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy forcierten Änderungen an den EU-Verträgen. Letzterer setzte den europäischen Partnern am Donnerstag die Pistole auf die Brust. „Wenn wir am Freitag keine Einigung finden, gibt es keine zweite Chance“, so Sarkozy. Cameron hingegen muss auf erneute Ausnahmeregelungen für sein Land bestehen, will er sich auch weiterhin der Unterstützung der mächtigen Finanzmarktakteure sicher sein. Schließlich verfügt Großbritannien neben dem erwähnten Handelsplatz in London lediglich noch über einen Tourismussektor, der nennenswert zur Wirtschaftsleistung des Landes beiträgt.
Eine Einigung der EU-Staaten unter Miteinbeziehung der Briten scheint aus jetziger Sicht demnach durchaus unwahrscheinlich. Auch deshalb ließ man bereits im Vorfeld durchblicken, dass der Gipfel bei einer Nichteinigung am Freitag eben verlängert werde, so lange, bis die deutsch-französischen Vorschläge von allen mitgetragen werden. Spätestens in der Nacht von Sonntag auf Montag muss allerdings eine Einigung erzielt worden sein, da dann die Börsen am anderen Ende der Welt ihren Montagshandel beginnen. Bei den vielen Appellen, die derzeit von Politikern aller Couleur abgesondert werden, muss die Lage in Europa fast noch schlimmer sein, als auf The Intelligence in den vergangenen Monaten dargestellt.
Cameron jedenfalls sitzt in der Zwickmühle: Verprellt er erneut die EU-Partner, muss er nicht nur mit deren Unmut rechnen, sondern fürchten, künftig als Persona non grata behandelt zu werden. Nickt er die deutsch-französischen Pläne ab, ohne Sonderregelungen für die britische Finanzwirtschaft zu erwirken, ist sein politisches Schicksal besiegelt.
Bundeskanzlerin Merkel wird in ihrer bekannten Art zunächst auf ihre Forderungen bestehen, ehe sie umfällt. Nach dem Gipfel wird sich unsere Regierungschefin vor die Kameras stellen und davon erzählen, wie mühsam die Erzielung der nun erreichten Einigung doch gewesen sei und davon, dass es ein Wesensmerkmal der internationalen Politik sei, Kompromisse zu finden, um alle im Boot zu haben. Das Wort alternativlos wird sie bewusst vermeiden, auch weil sie weiß, dass es sogar mehrere Alternativen gibt: Der Ausstieg Großbritanniens wäre so eine, das Zerbrechen der EU eine weitere. Die Frage, die sich die Kommentatoren der alternativen Medien seit Monaten stellen, wird auch auf dem kommenden EU-Gipfel erörtert werden: Kann die EU mittel- und langfristig weiterexistieren?
Die Antwort wird uns Frau Merkel auch nach diesem Wochenende schuldig bleiben…