So geistert es durch die Gazetten der alternativen Medien. Dabei ist Wulff nicht das Opfer einer Verschwörung von Merkel, er wollte auch nicht den ESM stoppen und hat sich auch nicht mit seinen Aussagen zur Postdemokratie zur Persona non grata gemacht. Sein Rücktritt ist die Konsequenz seines unüberlegten Handelns.
Endlich. Unser peinlicher Präsident hat endlich die Notbremse gezogen und tritt mit sofortiger Wirkung zurück, Horst Seehofer (CSU) nimmt seine Amtsgeschäfte fortan wahr, da er momentan der Bundesratspräsident ist. Bereits während der medialen Hatz auf die Verfehlungen des netten Herrn Wulff fand man in den Weiten des Internets die Behauptung, Wulff sei in Ungnade gefallen und wäre deshalb abgesägt worden.
Die Idiotie dieser Vermutung liegt darin, dass Wulff in den vergangenen Jahren wohl mit dem Attribut stromlinienförmig noch am wohlwollendsten umschrieben werden kann. Er war nie ein Querläufer, hat nie den direkten Kampf mit seinen inner- und außerparteilichen Kontrahenten gesucht, sondern war offensichtlich stets darauf bedacht, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. Er ist kein Verfechter der Demokratie. Wäre dem so, dann hätten die etablierten Medien gar nicht so viel Schmutz hervorziehen können, die unser einstiges Staatsoberhaupt unter den Teppich zu kehren versuchte. Anders gesagt: Ein Demokrat lässt sich nicht kaufen.
Seine Einlassungen zur Postdemokratie sind meinetwegen ein Beleg dafür, dass wir es bei Wulff nicht mit einem Dummkopf zu tun haben, sondern mit jemand, der sich durchaus für den wissenschaftlichen Diskurs interessiert. Colin Crouch, britischer Politikwissenschaftler und Schöpfer des Begriffs Postdemokratie, steht nicht im Verdacht, hinter der demokratischen Bühne, vor der wir sitzen, dunkle Mächte und elitäre Strippenzieher zu vermuten. Viel eher geht es bei seiner Theorie, dass wir uns in einem postdemokratischen Zeitalter befinden würden, darum, den schleichenden Zerfall von unseren repräsentativ-demokratischen Systemen darzustellen und die Gründe dafür zu suchen. Crouch selbst sagt jedoch auch, dass wir uns mitnichten in einem Zeitalter befinden, welches frei von demokratischen Elementen ist und auch wenn es Einflussgruppen gibt, die einen wesentlich besseren Zugang zu den Politikern haben als das einfache Volk, befinden wir uns immer noch in einer Demokratie, sagt Crouch. Einer Demokratie, deren Werte auch von Wulff und seinem Verhalten feilgeboten wurden.
Warum ausgerechnet Wulff den ESM hätte stoppen wollen, ist mir bis heute nicht schlüssig erklärt worden. Mit Ausnahme einer Rede vor den Granden der Wissenschaft in Landau stand unser ehemaliger Präsident nicht im Verdacht, ein Gegner der europäischen Integration zu sein. Vor kurzem lobte er gar Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) für deren Eingreifen in der schwelenden Euro-Krise und kritisierte diejenigen, die nach immer größeren „Brandschutzmauern“ riefen. Das Böse steht diesmal nicht hinter dem Rücktritt eines Politikers, das Böse steckte in dem Politiker, weshalb er zurücktreten musste.
Die Boshaftigkeit Wulffs bestand darin, in unserem politischen System tätig zu sein und dabei die guten Sitten hintenanzustellen. Statt der notwendigen Distanz zur Wirtschaft und deren Lenker suchte er die Nähe dieser Personen. Er ließ sich augenscheinlich aushalten von jenen Leuten und erinnerte sich – kaum war jemandem dieser Umstand aufgefallen – an seine Barkasse, mit der er offene Rechnungen bei seinen Freunden beglichen haben will. Wulff hat versucht, die deutsche Öffentlichkeit für dumm zu verkaufen und ist damit zur Abwechslung gescheitert.
Einziger Wermutstropfen beim heutigen Rücktritt ist der Umstand, dass dieser rund anderthalb Monate zu spät gekommen ist. Wulff hätte diese einem Bundespräsidenten unwürdige Debatte bereits Anfang Januar beenden können und müssen. Nicht etwa um sich selbst zu schützen, sondern um den Vertrauensverlust gegenüber Politikern, den er mit seiner Haltung in dieser Affäre angerichtet hat, zu begrenzen. Es war abzusehen, dass die Staatsanwaltschaft Hannover Ermittlungen gegen ihn einleitet. Zwar haben sich die Herren Staatsanwälte Zeit gelassen mit ihrer Entscheidung, dennoch hätte sich Wulff samt seiner Familie aus der Schussbahn bringen können, wenn er bereits vor sechs Wochen einen Schlussstrich gezogen und für seine vergangenen Missetaten Verantwortung übernommen hätte.
So bleibt das Bild eines Mannes, der mit all seiner Kraft im Amt bleiben wollte. Stehvermögen ist ja zunächst eine gute Eigenschaft für einen Politiker. Wenn jedoch die eigene Integrität bezweifelt wird, eben weil man sich verdächtig gemacht hat, den Begriff der Neutralität für eine Worthülse zu halten, dann muss die logische Konsequenz darin liegen, seinen Hut zu nehmen. Dies hat Wulff nun getan, dennoch gebührt ihm dafür kein Respekt. Er tat es nämlich nicht, weil er konnte, sondern weil er musste. Ganz so, wie er diese persönliche Krise von Anfang an zu bestreiten gedachte. Das Trommelfeuer der Medien war auch deshalb so laut und langanhaltend, weil Wulff partout nicht einsehen wollte, dass seine Zeit gekommen war. Nun blieb ihm keine andere Wahl als der Rücktritt, was zuvorderst an der Staatsanwaltschaft Hannover liegt. Dieser ist an dieser Stelle ein Dank auszusprechen, denn was die gesamte deutsche Medienlandschaft und ein Großteil der Bevölkerung nicht zu leisten imstande war, gelang den Staatsanwälten aus Niedersachsen. In diesem Sinne: Auf Wiedersehen Herr Wulff!