Freitag , 19 April 2024
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Demokratie: eine Grundsatzfrage!

queen victoria montrealNach der blitzartigen Verabschiedung eines neuen Gesetzes in der kanadischen Provinz Quebec, das den Bürgern das Recht zu demonstrieren beschränkt, werden internationale Medien plötzlich auf die Situation in Montreal aufmerksam. Die Studenten ließen sich von ihren Kundgebungen nicht abhalten. Die Bewohner der Stadt zeigen immer mehr Unterstützung. Doch die wesentliche Frage lautet: wer dient in der Demokratie wem? Und diese Frage beschränkt sich nicht auf Quebec, sie geht uns alle an.

Der 23. Mai galt in Montreal als das 100-Tage-Jubiläum, seit Beginn der Kundgebungen. Wie von The Intelligence schon mehrmals berichtet, geht es um eine drastische Anhebung der Studiengebühren in der kanadischen Provinz Quebec, gleichzeitig aber auch um massive Geldverschwendung an den Universitäten.

Zum besseren Verständnis der Situation möchte ich einige Besonderheiten der Provinz Quebec anführen, die im Rest der Welt nur wenig bekannt sind: Quebecer sind anders als andere Kanadier. Sie sprechen französisch und sind stolz auf ihre Sprache und ihre Abstammung. In den 1960er-Jahren rief Réne Lévesque die „Parti Québécois“ ins Leben. Es folgten intensive Bestrebungen zur Verselbständigung der Provinz. Die letzte Volksabstimmung bezüglich der Unabhängigkeit Quebecs erfolgte im Jahr 1995. 50,58% stimmten für einen Verbleib. Die ansässige Bevölkerung geht davon aus, dass dieses Ergebnis stark von Einwanderern, die nach bloß drei Jahren die kanadische Staatsbürgerschaft beantragen können, beeinflusst wurde.

Wie hoch der Anteil der Bewohner mit „Migrationshintergrund“ ist, lässt sich nur schwer feststellen, nachdem offizielle Statistiken, der „politischen Korrektheit“ wegen, diesbezüglich nur vage Angaben machen. Allerdings, trotz rückläufiger Geburtenrate stieg die Bevölkerung der Provinz während der vergangenen 40 Jahre um 33% auf acht Millionen an. Diese demographische Veränderung drückte sich auch in den letzten Wahlergebnissen aus. Seit dem Jahr 2003 regiert nicht mehr die „Parti Québécois“, sondern die Liberalen unter Jean Charest. Und diese Regierung steht jetzt auf dem Prüfstein.

Politiker sind es gewöhnt, dass ihre Entscheidungen vom Volk akzeptiert werden. Ja, natürlich, im Parlament – wie der Name schon besagt – wird zwar ausführlich „geredet“ (franz.: parler), doch steht ein Beschluss einmal fest, so hat ihn das Volk gefälligst hinzunehmen. Hin und wieder, selten, unterstützen die Medien die Interessen ihrer Leser, doch meistens stehen die Wünsche der Kunden im Vordergrund. Und der eigentliche Kunde ist nicht der Käufer, der Abonnent oder der Zuseher, sondern der Inserent.

Als eine massive Anhebung der Studiengebühren beschlossen wurde, ignorierte die Provinzregierung alle Proteste der verschiedenen Studentenvertretungen. Demzufolge setzten vor genau 101 Tagen Kundgebungen ein. Und siehe da, langsam zeigten sich die Damen und Herren Politiker verhandlungsbereit. Ein wenig halt. Eine kleine Zusage hier, ein anderes Versprechen dort.

Doch die jungen Leute, die ja schließlich gelernt haben, an das System der Demokratie, der Volksherrschaft, zu glauben, ließen sich nicht so einfach abwimmeln. Sie wiesen das Angebot, ihnen durch Kredite die Finanzierung der höheren Studiengebühren zu ermöglichen, kategorisch zurück. Genauso wenig erklärten sie sich mit weiteren Privatisierungsmaßnahmen der Hochschulen einverstanden. Ihr Ziel ist, erschwingliche Gebühren durchzusetzen. Im Durchschnitt belaufen sich diese auf etwa 2.000 Euro pro Jahr, liegen in einzelnen Fächern, wie etwa Medizin, aber ohnehin bereits um ein Mehrfaches höher. Sich in einer wirtschaftlich unsicheren Zukunft auf enorme Verschuldung, noch lange bevor Geld verdient wird, einzulassen, entspricht auch nicht wirklich logischem Verhalten.

Ende der vorigen Woche griff die Provinzregierung auf ihr Privileg zurück und erließ ein neues Gesetz, das vorläufig bis Mitte des nächsten Jahres in Kraft bleiben soll. Versammlungen mit mehr als 50 Teilnehmern müssen zumindest acht Stunden im vorhinein angekündigt werden. Den Behörden steht gleichzeitig das Recht zu, einzelne Kundgebungen ohne Angabe von Gründen zu untersagen.

Ungeachtet dessen, dass es in anderen Ländern von Haus aus wesentlich strengere Regulierungen gibt, löste dieser zweifellos überhebliche Schritt erst so richtig Unmut aus.

Hier möchte ich einflechten, dass die Demonstrationen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, durchaus friedlich verliefen. Maskierte Randalierer wurden, in erstklassiger Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften, von den Studenten isoliert. Zeichen von Aggression in den eigenen Reihen wurden von anderen Teilnehmern im Keim erstickt. Teilweise wurden den Polizisten sogar Blumen überreicht.

Trotz des neuen Gesetzes schien die Zahl der Teilnehmer seit dem Wochenende jedoch anzusteigen. Teils eindeutig gegen die neuen Verordnungen verstoßend, teils durch Hunderte verwirrender Anrufe angekündigt, teils durch das Versammeln von exakt 40 Personen an vielen einzelnen Stellen der Stadt. Nicht nur im Zentrum.

Plötzlich erinnerte man sich an Proteste gegen Pinochet in Chile, als Hunderttausende Bürger ihren Unmut ausdrückten, in dem sie mit Löffeln auf Pfannen und Töpfe schlugen. Nicht nur, dass demonstrierende Studenten entsprechendes „Gerät“ bei sich führen, die Bürger der Stadt wurden aufgefordert, sich in gleicher Manier anzuschließen. Und, zum Leidwesen der Provinzregierung, eine beeindruckende Zahl von Montrealern folgt diesem Aufruf. Sobald Studentengruppen durch ein Wohnviertel ziehen, zeigen sich immer wieder Menschen auf den Balkonen und an Fenstern, und drücken lautstark ihre Unterstützung aus. Kurz gesagt, je mehr Maßnahmen von den Regierenden gegen die Studenten eingesetzt werden, desto mehr Sympathien finden sich innerhalb der Bevölkerung. Und schon lange sind es nicht nur Studierende, die Tag und Nacht durch die Straßen ziehen, sondern auch deutlich ältere Menschen.

Ich möchte an dieser Stelle bemerken, dass ich mit der Situation deswegen so vertraut bin, weil ich selbst in Montreal lebe!

Doch nun zur ursprünglichen Frage, mit der ich den Artikel eingeleitet habe: Wir leben in einer Demokratie. Wer dient wem? Wer vertritt wessen Interessen? Wer macht Minister zu dem, was sie sind und wer zahlt ihre Gehälter? Heißt es nicht allgemein, dass in der Demokratie das Recht vom Volk ausgeht? Spricht man nicht von einer Volksherrschaft? Wer herrscht über wen? Die Führung des Staates über das Volk? Wann wird jemals die Tatsache berücksichtigt, dass es doch das Volk ist, das sich seinen Staat erschaffen hat?

Haben wir uns nicht alle zu sehr daran gewöhnt, dass über unsere Köpfe hinweg Beschlüsse gefasst werden, die all zu oft überhaupt nicht unsere Interessen repräsentieren? Wenn Wohnungseigentümer einen Hausmeister anstellen, ist dieser Mann noch lange nicht in der Position, über die Summe seine Arbeitgeber autoritär zu herrschen. Warum nehmen sich Politiker dieses Recht heraus? Sie sind vom Volk in ihre Position erhoben worden. Sie werden vom Volk bezahlt. Und demzufolge verdient es das Volk, das ihm auch der gebührende Respekt entgegengebracht wird!

Natürlich ist die Aufgabe von Politikern nicht immer leicht. In erster Line stehen sie unter dem Druck der internationalen Investoren, der Konzerne und der Geldverleiher. Von ihnen wird verlangt, ihre eigenen Wähler, mit deren Steuergeldern auch ihr persönliches Einkommen finanziert wird, weiter auszupressen, um den Finanzsektor zufriedenzustellen. Somit wäre es zu einfach, Politiker ihrer Aktionen wegen schlichtweg zu verurteilen.

Trotzdem ist es an der Zeit, dass sich die Bürger demokratischer Länder ihrer eigenen Stellung im jeweiligen Staat endlich bewusst werden. Es ist an der Zeit, dass sie ihre gemeinsamen Ziele endlich erkennen, anstatt sich lächerlicher Kleinigkeiten wegen zu entzweien. Es ist Zeit, gemeinsam die Forderung zu stellen, dass Politiker endlich zu dem werden, wofür sie bezahlt werden: zu Vertretern des Volkes – anstatt zu ihren Herrschern.

Die Studenten von Quebec setzen ein Zeichen. Seit mehr als 100 Tagen ziehen sie durch die Straßen. Sie lassen sich nicht beschwichtigen. Sie beugen sich nicht vor Drohgebärden. Sie demonstrieren weiter. Und immer mehr Menschen schließen sich an. Mit ziemlicher Sicherheit ist es nur eine Frage der Zeit, bis diese Regierung ihren Rücktritt anbieten muss. Und danach, bevor eine neue Regierung erkoren wird, sollten die Menschen, die Bürger, die Zahler, die Arbeitgeber der Politiker, ihren Forderungen Ausdruck verleihen. Ludwig XIV konnte noch sagen: „Der Staat bin ich!“ Doch in einer Demokratie sollte dieser Satz vom Volk gesprochen werden: „Der Staat sind wir!“ Und genauso sollten wir uns verhalten, anstatt uns regelmäßig von den Menschen für dumm verkaufen zu lassen, deren Gehälter wir bezahlen.

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