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Referendum der Türkei – Propagandaschlacht ums Präsidialsystem

Am 16. April findet in der Türkei die Volksabstimmung zu einer Verfassungsänderung statt. Diese wird von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan massiv vorangetrieben. Doch längst ist das Votum keine innerpolitische Angelegenheit der Türkei mehr – auch die im Ausland lebenden Türken sind Ziel der massiven Propaganda durch die türkische Regierung. Mit dem nahenden Wahltermin werden Ton und Sitten rauer. Deutschland ist der wichtigste Schauplatz dieses Machtkampfes außerhalb der Türkei.

Das anstehende Verfassungsreferendum in der Türkei schlägt immer höhere Wellen. Nach den massiven politischen Unruhen infolge des Putschversuchs im Juli 2016 baut der Präsident seine Macht stetig weiter aus. Die regierende Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP), deren Vorsitzender Erdogan bis 2014 war, hat das Vorhaben im Parlament bereits abgenickt.

Entscheidet jetzt das Volk im Sinne des Präsidenten, droht der Türkei nach Darstellung von zahlreichen Kritikern ein weiteres Abrutschen in ein totalitäres Staatssystem. Bereits die Inhaftierung tausender vermeintlicher Oppositioneller und die Massenentlassungen aus dem Staatsdienst nach dem Putschversuch haben im Westen zu erheblicher Besorgnis geführt. Die jüngsten Ereignisse um die Verhaftung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel sorgen inzwischen für eine massive internationale Eskalation uns einen deutlichen Riss im deutsch-türkischen Verhältnis. Dabei ist der Vorfall, bei dem die Menschenrechte in der Türkei zum wiederholten Male nach Gutsherrenart gehandhabt werden, nur die Spitze des Eisbergs. Auch die Auftritte türkischer Regierungsmitglieder, die in den letzten Tagen in Deutschland aus teilweise recht phantasievollen Gründen untersagt wurden, sorgen für eine weitere Eskalation. Um zu verstehen, warum der innenpolitische Kampf ums Präsidentenamt jetzt nach Deutschland getragen wird, lohnt sich ein Blick auf die hier lebenden Menschen türkischer Abstammung.

Das Gewicht der Auslands-Türken

In Deutschland leben zirka drei Millionen Menschen, die einen türkischen Pass besitzen. Etwa die Hälfte davon ist in der Türkei wahlberechtigt. Damit stellt die türkische Gemeinde in Deutschland nach den Großstädten Ankara, Istanbul und Izmir die viertgrößte Wählergruppe. Eine wichtige Unterscheidung zu den Wahlberechtigten in den türkischen Großstädten ist hierbei besonders wichtig: Unter den Deutsch-Türken ist die Unterstützung Erdogans erheblich stärker als im eigenen Land. Machten bei den letzten Parlamentswahlen im November 2015 in der Türkei nur knapp unter 50 Prozent der Wähler ihr Kreuz bei Erdogans AKP, so waren es hierzulande gute 60 Prozent. Bei der Direktwahl des Präsidenten 2014 kam Erdogan in Deutschland auf zwei Drittel der Stimmen, in der Heimat reichte es auch hier nur für 50 Prozent. Damit wird deutlich, dass sowohl die große Menge an Wählerstimmen als auch ihre Tendenz zu einer konservativen Wahl für die türkische Regierung von besonderer Bedeutung sein müssen.

Warum Deutsch-Türken Erdogan feiern

Die wichtigsten Änderungen der Verfassung

Ziel der Verfassungsänderung ist eine Umwandlung der Türkei in ein Präsidialsystem. Hierbei kommt dem Präsidenten, der bisher eine vornehmlich repräsentative Rolle innehat, die Führungsrolle im Staat zu. Die von Erdogan angestrebten Änderungen belassen es jedoch nicht bei einer Stärkung des Amtes – denn durch die neue Verfassung werden zentrale rechtsstaatliche Prinzipien ausgehebelt.

  • Abschaffung der Militärgerichte: Dem Militär kommt in der Türkei seit der Staatsgründung eine zentrale Rolle als Gegengewicht zu islamistischen Tendenzen zu. Diese Machtfülle wird durch die Beschneidung der Zuständigkeiten von Militärgerichten deutlich reduziert. Künftig sollen diese Gerichte ausschließlich gegen Soldaten im Kriegsfall verhandeln können. Damit fallen alle Soldaten in Friedenszeiten unter ziviles Recht.
  • Aushebelung der Justiz: Um die vollständige Kontrolle über die Justiz zu erhalten, sieht die neue Verfassung die Einrichtung eines Obersten Ausschusses von Richtern vor. Von den dreizehn Mitgliedern werden vier direkt vom Präsidenten ernannt, sieben vom Parlament. Zusätzlich gehört der vom Präsidenten ernannte Justizminister zu dem Gremium. Das letzte Mitglied wird vom Gremium mit sechzigprozentiger Mehrheit bestimmt. Damit haben Präsident und Regierungspartei faktisch jederzeit die Mehrheit in der höchsten juristischen Instanz.
  • Minister: Die Mitglieder der Regierung werden nicht mehr vom Parlament ernannt. Die Berufung erfolgt direkt durch den Präsidenten, das bisherige Amt des Ministerpräsidenten als Regierungschef wird abgeschafft. Die Leitung der Regierung übernimmt der Präsident.
  • Gesetze: Der Präsident erhält das Recht, das Land ausschließlich per Dekret zu regieren. Zwar hat das Parlament weiterhin die Möglichkeit, die präsidialen Dekrete durch eigene Gesetze außer Kraft zu setzen – diese haben aber nur Wirkung, bis der Präsident ein neues Dekret erlässt. Somit ist es möglich, sämtliche Gesetze durch präsidiale Dekrete zu ersetzen.

Der hinkende Vergleich mit den USA und Frankreich

Um die Kritik an den Plänen der Regierung Erdogan zu relativieren, zieht diese immer wieder den Vergleich zu anderen Präsidialsystemen. Schließlich gäbe es solche Systeme auch in Frankreich und den USA, dort mäkle ja auch niemand an der Machtfülle des Präsidenten herum. Dass dieser Vergleich stark hinkt, ist allerdings offensichtlich. Denn selbst in einem System mit einem überaus starken Präsidenten, wie es in den USA zu finden ist, sind diesem deutliche demokratische Grenzen gesetzt.

Bestes Beispiel ist die Schlappe von US-Präsident Trump bei der Durchsetzung des ersten Einreisestopps für Bewohner muslimischer Länder. Zwar verfügt Trump ebenfalls über eine Mehrheit im Parlament, aber die Gouverneure einiger Bundesstaaten und zahlreiche Menschenrechtsorganisationen waren in der Lage, die Auswirkungen des Dekrets innerhalb weniger Tage deutlich abzumildern. Innerhalb von weniger als vier Wochen wurde das Dekret dann von der unabhängigen Justiz kassiert und somit ungültig. Eine ähnliche Kontrolle der präsidialen Macht durch ein System der „Checks and Balances“ wird in der geplanten türkischen Verfassung von vorneherein ausgeschlossen.

Kampf mit harten Bandagen

Eine weitere wichtige Waffe Erdogans beim Kampf um die Wählerstimmen ist die fortschreitende Gleichschaltung der türkischen Medien. Mit dem Zauberwort „Terrorismus“ werden seit dem Putschversuch auch zahlreiche Maßnahmen zur Unterdrückung der freien Medien durchgesetzt. Neben der Schließung zahlreicher Zeitungen und Fernsehsender kommen die Verhaftungen von Dutzenden Journalisten zum Tragen. Denn die noch bestehende Presselandschaft, die unter der Knute Erdogans berichtet, konzentriert sich in ihrer Berichterstattung gar nicht auf Inhalte des Referendums. Der Schwerpunkt liegt darauf, dass die Verfassungsreform dringend notwendig sei, um die Sicherheit der Türkei zu erhalten. Diverse Schreckgespenster wie die Gülen-Bewegung und die oppositionellen Kurdenorganisationen dienen hier als Vorwand, dem Präsidenten zu beinahe absolutistischer Macht zu verhelfen.

Dass hierbei auch vor ausländischer Presse nicht Halt gemacht wird, zeigt der Fall von Deniz Yücel deutlich. Die türkische Regierung beruft sich auf dessen doppelte Staatsbürgerschaft. Mit der Begründung, dass der Mann ja schließlich (auch) Türke sei, wird der deutschen Botschaft bis heute jeglicher Kontakt mit dem Verhafteten verweigert.

Markige Worte vom türkischen Präsidenten, der sich nicht zu schade ist, den Protest deutscher Politiker mit dem Verhalten der deutschen Politik im Dritten Reich gleichzusetzen, führen innenpolitisch in der Türkei sicher zu Unterstützung, international betrachtet sind sie jedoch katastrophal.

Warum die Türken in Deutschland Erdogan unterstützen

Für die extrem konservative Haltung der Türken in Deutschland gibt es zahlreiche Gründe. Einige davon sind tatsächlich politischer Natur, manche haben aber einen eher kulturell zu verortenden Hintergrund.

  • Staatliche Unterstützung: Der türkische Staat unterstützt seit Jahrzehnten die kulturelle Bindung seiner im Ausland lebenden Bürger an das Heimatland. Neben Kulturvereinen werden auch Moscheen und erste Schulen subventioniert, um die Verbindung ins Herkunftsland nicht abreißen zu lassen.
  • Mediale Bindung: Eine große Mehrheit der in Deutschland lebenden Türken beziehen ihre Nachrichten und Informationen ausschließlich aus türkischen Medien. Diese werden inzwischen weitenteils von der türkischen Regierung kontrolliert – damit bestimmt Erdogan, welche Informationen die im Ausland lebenden Türken erhalten.
  • Schwache Unterstützung aus der EU: Die sich seit Jahren dahinschleppenden Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei sind sicherlich kein Aushängeschild für eine konsequente europäische Außenpolitik. Auch der Umstand, dass die Menschenrechte, die in der Türkei seit jeher ein schwieriges Thema sind, erst jetzt auch aus der EU wirklich verbalisiert werden, wirkt wenig Überzeugend. Auch den Türken in Deutschland ist durchaus bewusst, dass auch in der EU bei den Menschenrechten mit zweierlei Maß gemessen wird – beispielsweise bei den Flüchtlingen aus Syrien, für die ein menschenrechtlich sehr zweifelhafter Deal mit der Türkei ausgehandelt wurde.

Derzeit ist ungewiss, ob Erdogans Verfassungsreferendum Erfolg haben wird. Jüngste Umfragen sagen voraus, dass es in der Türkei nicht für die erforderliche Mehrheit an Unterstützern reichen könnte. Damit kommt den in Deutschland lebenden Türken und ihrem Abstimmungsverhalten erneut ein bedeutendes Gewicht zu – und eine große Verantwortung.

Bildernachweis:
Titelbild – Urheber: badboo / 123RF Lizenzfreie Bilder

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