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Die Festung Europa ist gefallen: Nach Jahren der Abschottung befürwortet ausgerechnet die deutsche Bundeskanzlerin eine bedingungslose Einreise von Asylbegehrenden. Dabei hatte sich Deutschland bisher stets unter Berufung auf das sogenannte Dublin-Abkommen geweigert, einer gesamteuropäischen Flüchtlingsverteilung zuzustimmen. Die auf diese Entscheidung folgende Hilfsbereitschaft der Deutschen hat das ganze Land überrascht – und schnell eine Gegenbewegung erzeugt.
Selbst Optimisten gestehen ein, dass der Zuwanderung Grenzen gesetzt werden müssen, um die Integrationsfähigkeit des Landes nicht zu gefährden. Die vielgerühmte „Willkommenskultur“ verkommt derweil zum zynischen Kampfbegriff von Gegnern aktueller Politik, die ihre Abneigung gegenüber der aktuellen Bundespolitik immer hysterischer zum Ausdruck bringen. Ist dieser politische Weg gescheitert?
Reduzierung der Flüchtlingszahlen notwendig
Bundespräsident Joachim Gauck hat auf dem Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos darauf hingewiesen, dass eine Begrenzung der Flüchtlingsströme eine Bedingung sei, um die Willkommenskultur zu erhalten. Mit dieser Einschätzung hat das deutsche Staatsoberhaupt allerdings den Kern des Problems in gewohnt pastoralem Ton umschifft: Selbst in Teilen der Linken scheint längst Konsens, dass eine Reduzierung des Flüchtlingszuzugs unausweichlich ist. Wie das effektiv und vor allem schnell gelingen kann, ist hingegen der eigentliche Gegenstand aktueller Diskussionen.
Die Mär der problematischen Wirtschaftsflüchtlinge
Vor wenigen Monaten noch war die schnelle Abschiebung von sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen das Mittel der Wahl: Aus juristischer Sicht ist dem wenig entgegenzuhalten. Das Grundgesetz gestattet nur jenen Menschen Asyl, die von persönlicher Verfolgung bedroht sind. Moralisch ist die Frage weniger leicht zu beantworten; schließlich trägt Deutschland an der Misere in vielen Teilen der Erde eine Mitschuld. Billiges, subventioniertes Hühnerfleisch ruiniert afrikanische Bauern, die Selbstverpflichtungen zur Entwicklungshilfe werden seit Jahren nicht erfüllt. Dem als nicht überlebensfähig geltenden Kosovo wurde unter deutscher Unterstützung die fragile Eigenständigkeit beschert, und auch die Einmischung der sogenannten westlichen Wertegemeinschaft in den „Arabischen Frühling“ hinterlässt ihre Spuren. Nicht unerwähnt werden darf natürlich auch, dass ein Krieg auf dieser Erde ohne deutsche Waffenexporte kaum zu führen wäre – während der nun seit 2011 andauernde Bürgerkrieg in Syrien vor dem Eintreten der Massenflucht noch kein Thema deutscher Außenpolitik war.
Mit Obergrenzen zur Willkommenskultur?
In der aktuellen Frage wird vor allem das Thema der Obergrenzen diskutiert. Mit reichlich merkwürdigen Argumenten, sowohl auf Seiten der Befürworter wie auch der Gegner. Verfechter von Obergrenzen verweisen gerne auf den österreichischen Nachbarn – und vergessen dabei zu erwähnen, dass die Alpenrepublik ihre jüngst verkündeten Obergrenzen nach eigenen Angaben als „Signal“ begreife. Wie die Begrenzung methodisch und juristisch konkret durchzusetzen ist, erscheint vollkommen unklar. Außerdem gilt der Grundsatz, dass das Asylrecht keine Obergrenze kenne, weiterhin. Die CSU, die diese Art der Begrenzung derzeit am lautesten fordert, hat bereits erklärt, wie die Obergrenzen nicht durchgesetzt werden sollen: Ein Zaun an der deutschen Südgrenze wird nach den Worten des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer ebenso wenig gewünscht wie eine Änderung des Asylrechts. Gegner dieser Obergrenze vergessen aber zu erwähnen, dass theoretisch durchaus die Möglichkeit bestände, die Flüchtlinge ab einem definierten Schwellenwert wieder abzuschieben – durch die Einhaltung geltenden Rechts. Denn aufgrund der Drittstaatenregelung, die für jeden Flüchtling einen Asylantrag im ersten Land der Europäischen Union vorschreibt, welches er betritt, wäre eine Abschiebung nach Österreich natürlich durchaus zulässig. Die Frage die sich hier stellt, ist vielmehr jene der Gleichbehandlung: Dürfen wir einem Flüchtling Asyl gewähren, nur weil eine Quote noch nicht erreicht wurde – und seinem Nachbarn nach deren Überschreitung nicht mehr? Außerdem haben die vergangenen Monate gezeigt, dass eine Abschiebung in einem Rechtsstaat keinesfalls ohne Schwierigkeiten zu bewerkstelligen ist und die Gerichte mit ungewissem Ausgang Monate beschäftigen kann – die drohende Überlastung noch gar nicht berücksichtigt.
Merkel auf CDU-Parteitag: „Zahl der Flüchtlinge spürbar reduzieren“
Krisenbewältigung nach Merkel-Art
Bundeskanzlerin Angela Merkel überrascht in dieser Situation durch scheinbare Stringenz in ihrer Haltung – dabei laviert sich in altbewährter Machart auch durch diese Krise. Weil eine Grenzschließung angeblich ein Auseinanderbrechen des Kontinents zur Folge hätte, würde auf eine europäische Lösung und die Bekämpfung der Fluchtursachen gepocht.
Das Scheitern der EU dürfte sich als Drohgebärde allerdings abgenutzt haben: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“ war Anfang des Jahres 2015 als Merkel-Mantra bekannt, zu einer klaren Positionierung lies sie sich in der Griechenlandkrise dennoch nicht hinreißen. Anstelle einer Unterstützung Griechenlands oder dem Gegenteil, einem Ausschluss aus der Eurozone, wird der bankrotte Südstaat weiter auf niedrigem Niveau alimentiert. Was in der freien Wirtschaft als Insolvenzverschleppung gerichtlich geahndet würde, verschaffte Merkel eine kurze Verschnaufpause.
In der Flüchtlingsfrage verfährt die Kanzlerin nach ähnlichem Strickmuster: Mit der erneuten Sicherung der EU-Außengrenzen soll der Status quo wieder hergestellt werden, ohne dass das eigentlichen Problem aus der Welt geschaffen wird. Dieser Aspekt ist Merkel kaum vorzuwerfen: Die Friedensverhandlungen um Syrien bleiben weiterhin ergebnislos, vor allem da Präsident Assad derzeit durch russische Unterstützung an Boden gewinnt und sich die Opposition uneins ist. So scheint ein Ende des Bürgerkriegs auch im fünften Jahr nicht absehbar. Was die Kanzlerin sich durchaus vorwerfen lassen muss, ist die Mitverantwortung für die Unterfinanzierung der Flüchtlingscamps in den Nachbarländern Syriens. Die wenigsten Flüchtlinge machen sich derzeit direkt aus dem Krieg auf den Weg nach Mitteleuropa – vielmehr treibt die Perspektivlosigkeit die Menschen zur Flucht. In den Camps konnte durch die Vereinten Nationen zuletzt nicht einmal mehr eine ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln sichergestellt werden. Auch die wirtschaftliche Katastrophe auf dem Balkan und vielen Ländern Afrikas gehört zu den Fluchtursachen, die seit Jahren erkennt, aber nicht bekämpft werden.
Dass die deutsche Bundeskanzlerin nur reagiert, anstatt zu agieren ist ebenfalls nicht neu: In der Finanzkrise gehörte Flickschusterei anstelle umfassender Lösungen zum Handwerk; die eilig beschlossene Energiewende dümpelt ohne Enthusiasmus vor sich hin. Einen Vision für ihr Land und den Kontinent scheint der Kanzlerin zu fehlen. Und so offenbarte Merkel ihre fehlende Weitsicht auch in dieser Krise, als sie bei Anne Will den Offenbarungseid leistete: Keine hätte mit einer solchen Fluchtbewegung rechnen können beteuerte die Kanzlerin vor einigen Monaten, dabei schlugen Fachleute seit Jahren Alarm. So bleibt auch derzeit fraglich, wie die Absenkung des Flüchtlingszustroms bewerkstelligt werden soll. Eine europäische Verteilung der Flüchtlinge scheint gescheitert. Vor allem die osteuropäischen Nachbarstaaten sehen das Problem gar nicht als ein europäisches Problem, sondern ein deutsches. Schließlich sei die Zahl der Flüchtlinge, die als neue Wahlheimat Rumänien oder Polen angeben, überschaubar. Der Flüchtlingsbeauftrage der Bundesregierung, Peter Altmaier, werte die jüngst sinkenden Flüchtlingszahlen als Erfolg der eigenen Politik. Dabei wurde genau diese Entwicklung prognostiziert – das kalte Winterwetter hält die Einwanderer von der beschwerlichen Reise ab.
Von gelingender Integration
Doch hängt die Frage der Willkommenskultur nur von der Anzahl der Flüchtlinge ab? Fraglos ist mindestens genauso entscheidend, wie eine Integration der vielen Flüchtlinge überhaupt gelingt. Dabei ist die Anzahl der zu integrierenden natürlich eine entscheidende Größe, aber auch die flankierende Politik. Der Zeitpunkt erscheint derzeit günstig: Die deutsche Wirtschaft prosperiert, Arbeitskräfte werden in vielen Branchen gesucht und finanzielle Mittel sind zumindest im Bundeshaushalt genügend vorhanden. Es gehört zu den Binsenweisheiten, dass Integration vor allem durch gemeinsame Sprache und Arbeit gelingt und Perspektivlosigkeit dieses Vorhaben vereitelt.
Doch „Willkommenskultur“ ist kein reines Zahlenkonstrukt: Das Wort handelt auch vom guten Willen der hier lebenden Menschen – und der Motivation der Flüchtlinge, sich hier ein neues Leben aufzubauen.
Die deutsche Bevölkerung hat die grundsätzliche Aufnahmebereitschaft bereits unter Beweis gestellt – mit Ausnahme einiger weniger Frustrierter, deren Hass auf Politik und Gesellschaft vermutlich viel grundsätzlicher ist. Die Flüchtlinge müssen ihre Integrationswilligkeit hingegen noch zeigen, indem sie westliche Werte und den säkularen Staat samt des Grundgesetzes anerkennen. Denn auch wenn bei gescheiterter Integration nur allzu häufig auf ein Versagen der Politik verwiesen wird: In erster Linie ist Integration eine Eigenleistung der Migranten, die lediglich unterstützt werden kann – aber auch muss.
Integration in Deutschland: Wie können Kurse für Flüchtlinge gelingen?
Zur Erhaltung der Willkommenskultur darf es keine Konkurrenz zwischen deutschen und ausländischen Arbeitnehmern auf dem Arbeitsmarkt geben. Die Aussetzung des Mindestlohns wäre genau dies; eine Abschaffung sozialer Errungenschaften setzte ein fatales Signal. Vielleicht muss über neue Wege von verkürzten Ausbildungen nachgedacht werden, um Fachkräfte unter den Flüchtlingen schneller zu integrieren. In jedem Fall muss ein Problem in deutschen Großstädten angepackt werden, welches nicht erst seit der Flüchtlingskrise besteht, durch sie aber noch verschärft wird: Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Längst ist die Verdrängung sozial schwacher Bevölkerungsschichten in die Vororte kein Münchener Kuriosum mehr, sozialer Wohnungsbau muss wieder forciert werden. Auch die chronische Unterfinanzierung der Kommunen passt nicht in ein Land, welches Jahr für Jahr Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet.
Zurück zur Ehrlichkeit
Eine weiteres Element zur Erhaltung der Willkommenskultur kostet nichts: Die Ehrlichkeit. Es mag sich bei den sogenannten Leitmedien nicht um eine „Lügenpresse“ handeln, wie von rechtsaußen häufig skandiert wird. Das über aktuelle Probleme nicht offen berichtet wird, glauben aber immerhin 41 Prozent der Deutschen. Dem ist bei kritischer Betrachtung kaum zu widersprechen: War bisher von Problemen mit Flüchtlingen die Rede, dann beschränkte sich die Berichterstattung zumeist auf die Schwierigkeiten der Behörden mit der Unterbringung. Gewalt durch die Flüchtlinge selbst wurde indes ebenso wenig thematisiert wie die eigentliche Kernfrage, ob eine Integration so vieler Menschen überhaupt möglich ist – und zu welchem Preis. Kommentatoren der öffentlichen Rundfunkanstalten gaben ihren Zuschauern allabendlich mit auf dem Weg, wie sie die aktuellen Begebenheiten zu bewerten hätten; und diese Bewertung fiel stets wohlwollend aus. Die Willkommenskultur verkam in den Augen viele Menschen so zu einem hohlen Dogma, über das sie nicht mitentscheiden konnten.
Gesellschaftlicher Grundkonsens notwendig
Natürlich muss Deutschland die Frage, ob es ein Einwanderungsland ist, ebenso ehrlich für sich beantworten. Viele Menschen haben immer noch eine klare Vorstellung davon, wie ein Deutscher auszusehen hat: Dunkle Hautfarbe und Kopftuch gehören nicht dazu. Auch Menschen, die hier geboren wurden und längst Teil der deutschen Gesellschaft sind, gelten als „Bürger mit Migrationshintergrund“ sofern ein Elternteil keinen deutschen Stammbaum vorweisen kann. Eine latente Diskriminierung gehört heute noch immer zum Alltag vieler Menschen – und wäre in klassischen Einwandererländern wie den USA vollkommen undenkbar. Es ist also auch die hier lebende Bevölkerung gefragt, wenn es darum geht, den gesellschaftlichen Kompass für die Zukunft zu justieren. Auch durch das Festlegen klarer Regeln für alle hier lebenden Menschen kann die Willkommenskultur bewahrt und gestärkt werden – und genau das erscheint heute notwendiger denn je.
Jetzt mal ehrlich – Wie sollen wir so viele Menschen integrieren
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