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Kaum ein Tag vergeht mittlerweile, ohne dass in den Nachrichten Bilder von gestrandeten Flüchtlingen bzw. im Mittelmeer gekenterten Flüchtlingsbooten zu sehen sind. Auch machen Berichte über die untragbaren Zustände in den Aufnahmezentren für Flüchtlinge die Runde.
In Europa spielt sich in diesen Tagen und Monaten eine Flüchtlingsbewegung ab, wie es sie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gegeben hat.
Riskante Reise – Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa
Das Ausmaß der Flüchtlingskrise
Konkrete Zahlen über den Umfang der Flüchtlingskrise existieren nicht. Vieles davon beruht größtenteils nur auf Schätzungen. Dennoch lassen bereits diese geschätzten Zahlen ausreichend Grund zur Besorgnis zu.
- im April waren etwa 400 Tote vor der libyschen Küste bei einer geplanten Überfahrt an die italienische Mittelmeerküste zu beklagen
- in den ersten sechs Monaten sind circa 137.000 Menschen über das Mittelmeer in die EU geflüchtet
- in den ersten sieben Monaten wurden etwa 130.500 Migranten an den griechischen Außengrenzen gezählt, alleine 50.000 davon im Monat Juli. Dies bedeutet eine fünfmal höhere Zahl als im Vergleichszeitraum 2014
- alleine am 10. August mussten 1.550 Migranten aus Seenot gerettet werden
Die meisten der Flüchtlinge entstammen aus den gegenwärtigen Krisengebieten der Welt wie Syrien, Libyen, Irak, Somalia oder Afghanistan, auf der Flucht vor Krieg, Terror und Verfolgung. Aber auch um der eigenen Perspektivlosigkeit in ihren angestammten Gebieten zu entrinnen, begeben sie sich auf den gefährlichen Weg nach Europa. Gelingt es den Migranten, nach einer wahren Odyssee, endlich Fuß auf europäischen Boden zu setzen, ist die Reise für viele von ihnen noch lange nicht beendet, denn die meisten zieht es in den Norden Europas, nach Skandinavien oder nach Deutschland, wo die Chancen auf eine soziale und wirtschaftliche Existenz vergleichsweise höher sind.
Die europäischen Mittelmeerstaaten, die für die Flüchtlinge vielfach als erste Anlaufstelle fungieren, sehen sich aufgrund eigener wirtschaftlicher Probleme selbst nicht in der Lage, für die Aufnahme und Integration der Neuankömmlinge ausreichend Sorge zu tragen. Zu gering erscheint hier die Unterstützung durch zentrale europäische Instanzen.
Fehlgeschlagene Flüchtlingspolitik
Über Jahre hinweg ließ die Europäische Union eine klare Positionierung in Sachen Flüchtlingspolitik vermissen. Es nahm den Anschein, als hätte der Erlass der einzelnen „Dublin-Verordnungen“ soweit ausgereicht. Diese, die letzte aus dem Jahre 2013, besagen, dass Flüchtlinge in jenen EU-Ländern einen Asylantrag zu stellen haben, über welches sie eingereist sind.
Durch die immer stärker werdenden Migrationsbewegungen, sah sich Mitte diesen Jahres auch die EU zum Handeln gezwungen. Was dabei heraussprang, war ein in Brüssel stattfindender EU-Gipfel, an dem alle Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten teilgenommen hatten. Konkreter Auslöser war die Aufteilung von 60.000 Flüchtlingen, 40.000 davon befanden sich zu dieser Zeit bereits auf italienischem bzw. auf griechischem Territorium. Das Ergebnis des Gipfels wirkt, im Nachhinein betrachtet, äußerst ernüchternd.
Die Hoffnungen auf eine verpflichtende Quotenregelung, wonach jedes Land eine bestimmte Anzahl an Flüchtlingen aufnehmen muss, wurden alsbald enttäuscht. Die Quotenregelung hätte die Zahl der aufzunehmenden Flüchtlinge im Verhältnis zu Kriterien, wie Einwohnerzahl oder Wirtschaftsleistung, festgelegt. Als zu groß erwiesen sich allerdings die Ressentiments der baltischen Staaten sowie jenen der Visegrád-Gruppe, um eine Quotenregelung geltend zu machen. Diese ernteten daraufhin harsche Kritik von Italiens Premierminister Renzi, der von einer für Europa unwürdigen Einstellung sprach. Nichts desto Trotz musste auch er sich mit einer Flüchtlingsaufnahme auf freiwilliger Basis zufriedengeben.
Dies bedeutet konkret:
Jedem der 28 EU-Mitgliedsstaaten obliegt es selbst, in welchem Ausmaß und ob er überhaupt Flüchtlinge aufnimmt!
Stimmungsbarometer innerhalb der Mitgliedsstaaten
Größtenteils aufnahmeunwillig präsentieren sich die ehemaligen Ostblockstaaten. Lauscht man den chauvinistischen Äußerungen von Ungarns Ministerpräsidenten Orbán, so besteht Ungarns Beitrag zur Lösung der Flüchtlingsproblematik aus einer strikten Kampagne gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Ein ähnliches Bild, wenn auch weit weniger patriotische Züge tragend, ist in Großbritannien und in Irland auszumachen. Die konservative Regierung in Großbritannien fürchtet sich bei einer verstärkten Flüchtlingsaufnahme vor einer deutlichen Senkung des Lebensstandards. Frankreich hat aufgrund der zu erwartenden, von Italien herkommenden Flüchtlingsströme, gar seine Grenze zum Stiefelstaat dichtmachen lassen.
Zur Erinnerung: Auch in Deutschland war noch im Mai dieses Jahres eine ablehnende Haltung hinsichtlich der Aufnahme von Flüchtlingen dominant!
Populismus als Hindernis für eine erfolgreiche Flüchtlingspolitik
Insbesondere rechtspopulistische Parteien versuchen in den einzelnen Mitgliedsstaaten der Aufnahme ankommender Flüchtlinge einen Riegel vorzuschieben. Ihr Einfluss auf die Bevölkerung, gepaart mit einer einseitigen Berichterstattung ausgewählter Medien trägt dazu bei, dass einige an und für sich aufnahmewillige Regierungen versucht sind, ihre Grenzen zu schließen. Zu groß erscheint die Angst sich einem Unmut aus Teilen der eigenen Bevölkerung auszusetzen und so letzten Endes potenzielle Wählerstimmen einzubüßen.
Den jeweiligen populistischen Kräften in den Ländern scheint dabei kein Argument zu fadenscheinig zu sein. So werden bei einer verstärkten Flüchtlingsaufnahme, unter Heranziehung von äußerst fragwürdigen Statistiken, Szenarien wie eine Steigerung der Kriminalitätsrate oder der Armut der eigenen Bevölkerung ausgemalt. Rechte Kreise innerhalb der Zivilbevölkerung machen zudem in Form von Protesten vor Asylantenheimen oder einer im Internet über die Bühne gehenden Stimmungsmache gegen die Flüchtlingsaufnahme auf sich aufmerksam.
Als Lösung für die sich abspielenden Flüchtlingsdramen, bieten die Parteien des rechten Spektrums verschärfte Aufenthaltsgenehmigungen und systematische Abschiebungen an. Letzthin war dies unter anderem in Italien von der „Lega Nord“ und der „Movimento 5 Stelle“ zu vernehmen.
Hoffnungsschimmer am Horizont
Dass es auch andersherum geht, beweisen die zahlreichen freiwilligen Helfer, die für die Versorgung und Betreuung der ankommenden Flüchtlinge Sorge tragen. Nichts desto trotz weisen viele der Flüchtlingsaufnahmestellen strukturelle Defizite auf und sind zumeist dem Kontingent an Flüchtlingen, aufgrund mangelnder Kapazitäten, nicht gewachsen.
Auch auf politischer Ebene werden zunehmend klarere Worte für die besorgniserregenden Zustände gefunden. So hat sich letzthin auch der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel deutlich zu Wort gemeldet, indem er einigen EU-Mitgliedsstaaten Egoismus in Sachen Flüchtlingsausnahme vorwarf. Viele Staaten weisen an der EU nur dann Interesse auf, wenn es um finanzielle Vorteile für sie geht, so der SPD-Politiker.
Immerhin hat die EU-Kommission vor kurzem die Ausschüttung von 2,4 Milliarden Euro bis ins Jahr 2020 beschlossen.
Mit dieser Summe soll vor allem den Mittelmeerländern bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise unter die Arme gegriffen werden.
Fazit
Letzen Endes stellt die Flüchtlingsfrage eine absolute Bewährungsprobe für die EU dar, insbesondere da mit einem Abreißen der Flüchtlingsströme in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Hieran zeigt sich doch auch, wie es um den inneren Zusammenhalt in der Union bestellt ist, und ob sich Europa wirklich auf dem Weg hin zu einer Solidargemeinschaft befindet oder ob auch weiterhin nationale Egoismen dominant sind.
Als abschreckendes Beispiel für die Folge von unzureichenden und größtenteils ausbleibenden Handlungen der EU, sollten die Bilder des Bosnienkrieges dienen, wo europäische Staaten nahezu tatenlos zuschauten, wie ein Massaker an den Bosniaken verübt worden ist. Mögen es auch einige Regierungschefs noch nicht ganz verstanden haben, die Zukunft der EU steht und fällt wohl oder übel mit einer Lösung der Flüchtlingsproblematik.
Titelbild: geralt / Piuxabay.com/de