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Wahlfälschung in Deutschland? Das kann nicht sein, mögen Sie denken. Vielleicht in fernen Ländern, deren Namen wir kaum kennen und die mit der Demokratie nichts am Hut haben, ja. Aber in Deutschland? Nie und nimmer! Sollten Sie zu dieser Einschätzung kommen, sind Sie in bester Gesellschaft, denn nur wenige Menschen können sich vorstellen, dass es bei Wahlen in unserem Land nicht mit rechten Dingen zugeht. An den Fakten ändert diese mehr oder weniger verklärte Sicht jedoch nichts.
Alle Jahre wieder kommen die Verschwörungstheoretiker – so scheint es – aus ihren Löchern und beklagen, dass es in Deutschland Wahlfälschungen gebe. Und alle Jahre wieder werden sie mit einer abfälligen Geste abgestraft. Im Jahr 2013 waren es die Anhänger der „Alternative für Deutschland (AfD)“, die Betrug vermuteten und das Scheitern beim Einzug in den Bundestag daran festmachten. Nun könnten Sie sagen: „Tja, schlechte Verlierer“ und zum Alltagsgeschehen übergehen, doch wenn Sie einmal einen Blick auf die Praxis des Auszählens werfen, kommen Sie womöglich zu anderen Schlüssen – oder aber zumindest ins Zweifeln. Ob die AfD tatsächlich aufgrund von Wahlfälschung den Sprung in den Bundestag nicht geschafft hat, wird wohl ein ewiges Geheimnis bleiben. Dennoch gab es Unregelmäßigkeiten, wie ein Anhänger der AfD bei seinem Besuch in einem Wahllokal feststellen musste:
Ein junger Mann aus Detmold wollte sein Wahllokal etwas genauer unter die Lupe nehmen und ging – ausgerüstet mit einem aus dem Internet geladenen Formular – in den Ortsteil Privitsheide. Dort trug er die Auszählungsergebnisse ein. Und kam zu einem interessanten Schluss.
In Detmold bekam nach den Aufzeichnungen des junge Mannes die SPD mit 241 Stimmen insgesamt 149 Stimmen mehr als ihr zugestanden hätte. Süffisant postete der Jungwähler auf Facebook danach: „Ist es Zufall, dass Privitsheide bzw. Detmold ein eher SPD-geprägtes Gebiet ist?“
Nun könnte man den jugendlichen Einsatz des Mannes aus Detmold als Einzelfall oder gar Irrtum abtun. Insbesondere weil die Stadtsprecherin auf Nachfrage erklärte, alles sei noch einmal überprüft worden, die Auszählung sei korrekt gewesen. Aber es hat in der Geschichte der Wahlen in Deutschland immer wieder Fälle von – sagen wir einmal – Unregelmäßigkeiten gegebenen. Die entscheidende Frage ist sicherlich die, ob diese Unregelmäßigkeiten technische Pannen, menschliches Versagen oder gezielte Wahlfälschung waren.
Die wissenschaftliche Herangehensweise
Achim Goerres und Christian Breunig, der Universitäten Köln und Toronto, sind keine Freunde des Ungefähren. Achim Goerres glaubt vielmehr an Beweise und die wissenschaftliche Herangehensweise. Also hat er sich die Mühe gemacht, sich in Form einer Studie mit den Bundestagswahlen von 1990 bis 2005 zu beschäftigen. Ein Unterfangen, das es in sich hatte. Er ging dabei nach dem „Benfordschen Gesetz“ vor, einem Verfahren, das – in aller Kürze dargestellt – die Gesetzmäßigkeit der Verteilung von Zahlen bzw. Ziffernstrukturen in empirischen Datensätzen beschreibt. Sie müssen sich mit diesem Gesetz nicht nächtelang zu beschäftigen.
Es reicht, wenn sie sich die Ergebnisse anschauen, zu denen Goerres gekommen ist:
Indizien für Wahlbetrug:
Zumindest auf Basis des Benfordschen Gesetztes konnten nur bei der Bundestagswahl 2002 Indizien für einen Wahlbetrug gefunden werden. Die waren allerdings nicht ohne und bedeuteten für die Linkspartei (damals noch PDS) erhebliche Verluste, die offenbar auf massive Manipulationen zurückzuführen waren. Auch in der Wahl 2013 verlor die Linke wie 2002 (4,7%), diesmal jedoch mit 7,3% fast doppelt soviel wie 2002 und wundersamerweise wanderte jedes einzelne Prozent zur CDU.
Indizien für systematische Fehler:
Hier konnte Goerres ein klares „JA!“ vermelden. Er beschreibt die Problematik, dass eine gewisse Parteiendominanz in Bundesländern dazu führt, dass die Wahrscheinlichkeit der Verletzung des Benfordschen Gesetzes höher ist. Der eben beschriebene Jungwähler und AfD-Anhänger kam bekanntlich zu ähnlichen Vermutungen.
Achim Goerres kam zum Schluss, dass er insgesamt mit seiner Studie wenig Beunruhigendes zutage fördern konnte. Seiner Meinung nach ist das Wahlsystem in Deutschland zwar sehr komplex, wenn man es jedoch als Fieberthermometer bezeichnen wolle, sei höchstens eine leicht erhöhte Temperatur festzustellen.
Gibt es also doch keine (oder fast) Wahlfälschung in Deutschland?
Der menschliche Faktor
Wissenschaft, schön und gut. Aber reicht sie aus, um die Wahrscheinlichkeit von Wahlfälschungen zu beweisen oder zu widerlegen? Und bezieht sie den menschlichen Faktor mit ein?
Bildquellenangabe: ©Tim Reckmann / pixelio.deWohl eher nicht, wie die folgenden Beispiele Ihnen aufzeigen werden:
- In Bochum-Langendreer wurden von 689 Zweitstimmen kurzerhand 491 für ungültig erklärt. Ein üppiger Wert. Eine Nachzählung ergab jedoch gerade einmal 13 ungültige Stimmen.
- In Waltrop wurden Stimmen der AfD irrtümlicherweise den Republikanern zugeordnet. Der Fehler wurde behoben, aus den 29 Zweitstimmen der AfD wurden eindrucksvolle 71.
- Das Wahllokal eines Essener Wahlkreises öffnete zu spät. Der Grund: die Mitarbeiterin, die das Wahllokal hätte aufschließen sollen, hatte verschlafen. Nun ist das alleine natürlich kein Wahlbetrug, aber wenn Sie sich am Morgen auf zur Wahl machen und vor verschlossenen Türen stehen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie später noch einmal wieder kommen, nicht sehr hoch. Die Stimmen (zumindest aber die jener Wähler, die sich kein zweites Mal auf den Weg machen) sind also verloren. Für die SPD-Kandidatin hatte das Verschlafen der Wahllokalmitarbeiterin eines besonders bitteren Beigeschmack. Sie verlor den Wahlkreis an ihren CDU-Rivalen, allerdings nur mit 3 Stimmen. Wenn auch nur 10 oder 20 Menschen, die rechtzeitig ihren Wahlzettel abgeben wollten, dies auch hätten machen können, wäre das Ergebnis womöglich ein anderes gewesen.
Das Problem der Briefwahl
Waren Sie am Tag der Bundestagswahl im Urlaub? Auf einer Dienstreise? Oder hatten Sie einfach keine Lust, ins Wahllokal zu trotten?
Aus welchen Gründen auch immer, viele Menschen entscheiden sich inzwischen für die Briefwahl. Doch auch die hat ihre Tücken. Wer die Wahlunterlagen zu spät anfordert, kann Pech haben und bekommt sie womöglich nicht mehr rechtzeitig. Oder aber sie erreichen das zuständige Amt nicht rechtzeitig. In Köln bekamen 30 Bürger ihre Unterlagen gleich doppelt zugeschickt (wählen konnten sie allerdings nur einmal). In Hamburg machte die Meldung auf sich aufmerksam, dass gleich rund 100.000 Wahlunterlagen von Briefwählern verloren gegangen seien. Dies lag allerdings an einer falsch programmierten Datenbank, wie sich später herausstellte.
Bundesweit stellt sich immer wieder als Problem dar, dass Wahlunterlagen gar nicht erst den Empfänger erreichen. Sie verschwinden auf wundersame Art und Weise.
Ein Sonntag im Wahllokal
Wahlfälschung kann auch auf ganz einfach und klassische Art und Weise stattfinden. Im Wahllokal selbst. Ein ehemaliger Wahlhelfer berichtete, dass die Auszählung der Wahlzettel meist sehr zügig läuft, weil die Mitarbeiter möglichst schnell ihre Sachen packen und nach Hause wollen. Da werden dann schon einmal die Wahlzettel kleinerer Partei für ungültig erklärt, auch wenn sie es faktisch gar nicht sind. Solange die Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen passt, kümmert das die Wahlhelfer in vielen Fällen nicht.
Was auf den ersten Blick nicht weiter dramatisch wirkt, kann weitreichende Folgen haben. Hier ein paar Fehler in einem Wahllokal, dort ein paar weitere, letztlich kann es dazu führen, dass es eine der kleineren Parteien nicht in den Bundestag schafft, weil die Auszählungen nicht gewissenhaft genug durchgeführt wurden.
Doch es gibt noch eine andere Begleiterscheinung, die nicht weniger gravierend ist und die Ihnen vielleicht bekannt vorkommt. Wenn kleine Parteien es regelmäßig nicht in den Bundestag schaffen, wachsen bei der Bevölkerung der Unmut und die Motivation, diese überhaupt noch zu wählen. Nach dem Motto: „Die schaffen es ja eh wieder nicht.“
Ein bis zum Schluss personell gut ausgestattetes Wahllokal ist übrigens nichts, was Sie als selbstverständlich ansehen sollten. Immer wieder verabschieden sich Mitarbeiter vorzeitig in den verdienten Sonntag und lassen ratlose Kollegen zurück, die mit der Organisation und Auszählung der Unterlagen dann überfordert sind. Und Fehler machen.
Das doppelte Lottchen
Offiziell darf jeder Deutsche nur einmal wählen. Das liegt nahe und bedarf eigentlich keiner weiteren Erklärung. Doch faktisch sieht es nicht selten anders aus. So verlangt das Gesetz nicht ausdrücklich, dass sich jemand, der an der Wahlurne erscheint, ausweisen muss. Oft wollen die Wahlhelfer auch gar keinen Ausweis sehen. Selbst der Versuch eines Mannes, mit dem Wahlschein einer Bekannten ins Wahllokal zu gehen, erwies sich als funktionstüchtiges Mittel, seine Stimme gleich zweimal abgeben zu können (was der Mann aber nicht tat, er wollte lediglich testen, ob der zweimalige Wahlgang gelingen kann). Das doppelte Lottchen hatte Erfolg. Die gängige Wahlpraxis dagegen nicht.
Die Russen kommen!
Ausgerechnet die Russen haben durch Igor Borissow, seinen Zeichens ehemaliges Mitglied der russischen Wahlbehörde, nach der letzten Bundestagswahl die Praxis der deutschen Wahl kritisiert. Sie entspräche, so Borissow, nicht den Anforderungen der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa).
Wie kommt der Mann denn darauf?
Und sollten ausgerechnet die Russen Kritik an unserem Wahlsystem äußern?
Nun, wir Deutschen neigen ja zu ähnlichen Anwandlungen, und wenn man bedenkt, wie undurchsichtig alleine die Parteien- und Wahlfinanzierungen in Deutschland sind, wenn man bedenkt, dass die etablierten Parteien immer ganz oben auf dem Wahlzettel rangieren und und berücksichtigt, dass es keine übergeordnete Institution gibt, die Wahlen unabhängig überwacht, kann man schon ins Grübeln kommen.
Man kann trefflich darüber streiten, ob die Parteienfinanzierungen als Konstrukt an sich nicht schon eine bestimmte Form des Wahlbetrugs sind. Man kann auch geteilter Meinung darüber sein, ob Unregelmäßigkeiten bewusst oder irrtümlich herbeigeführt werden. Dass es sie gibt, steht jedoch außer Frage. Und ob wirklich alles mit rechten Dingen zugeht, fragen Sie sich beim nächsten Besuch im Wahllokal wahrscheinlich auch.