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Eine wütende Debatte hat ein Eintrag in das Online-Lexikon der türkischen Religionsbehörde Diyanet ausgelöst. Hier heißt es zum Thema Pubertät, dass Jungen im Alter von 12 Jahren, Mädchen sogar schon mit 9 Jahren zeugungs- bzw. gebärfähig und damit im heiratsfähigen Alter seien. Kritiker sehen in dieser Aussage den nächsten Schritt in Richtung der Legalisierung von Kinderehen.
Einführung der „Mufti-Ehe“
Eine Fehlinterpretation?
Die Argumentation der Befürworter…
Die Befürworter der „Mufti-Ehe“ bestreiten die Gefahr eines Anstiegs von Kinderehen. Ganz im Gegenteil. Sie erhoffen sich von dem neuen Gesetz mehr Schutz für Frauen und Kinder und argumentieren, die Muftis seien an die Bestimmungen des Zivilrechts gebunden und dürften daher eine Schließung von Kinderehen nicht anerkennen. Zudem wolle man dem Wunsch nachkommen, dass sich viele Türken eine religiöse Trauung wünschten. Außerdem, so die Argumentation, könne man die Eheschließung durch die Kompetenzerweiterung der Rechtsgelehrten schneller und einfacher gestalten. Viele Ehen, gerade auf dem Land, wären bisher durch den Mangel an Standesbeamten durch einen Geistlichen geschlossen worden und somit bis dato nicht gültig. Die Frauen in diesen so genannten „Imam-Ehen“ seien also rechtlos. Durch das neue Gesetz hätten auch solche Verbindungen nun Bestand.
…und der Gegner
Die Gegner der „Mufti-Ehe“ argumentieren natürlich ganz anders. Sie erklären, die Muftis hätten weniger Interesse an der Einhaltung des Rechts als an dem rechten Glauben der Ehepaare. Daher wären sie auch bereit, bei entsprechender religiöser Einstellung eine Kinderehe abzusegnen. Und sie haben noch ein bedeutendes Argument. Nach dem Mufti-Ehe-Gesetz können Geburten ohne einen offiziellen Geburtsschein eingetragen werden. Die Krux: Gerade bei minderjährigen Müttern ist die Zahl der Hausgeburten extrem hoch. Und das hat einen einfachen Grund: Würde die Minderjährige in einer Klinik entbinden, so müssten die Ärzte die Polizei über diese Geburt informieren. Diese würde dann gegen den Vater ein Ermittlungsverfahren wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen einleiten. Rechtliche Konsequenzen aus in Kinderehen entstandenen Schwangerschaften können durch das neue Gesetz also umgangen werden.
Ob die Religionsbehörde nun einfach falsch verstanden wurde oder nicht: Die türkische Bevölkerung macht sich Sorgen. Sorgen um seine Kinder, seine Frauen, den Staat. Viele fürchten, dass die Türkei sich immer mehr zu einem „Gottesstaat“ entwickelt, in dem die Geistlichen mehr und mehr Befugnisse übertragen bekommen. Den Kampf dagegen wollen sie aufnehmen. Das zeigen die immer neuen Proteste in Ankara.
Titelbild – www_slon_pics / Pixabay.com (CC0 Creative Commons)