Freitag , 19 April 2024
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Ein Teil unserer Gesellschaft: Wenn aus Herrn Weber Sebastian wird

BierbrauerUnd, sofort erkannt oder? Wenn aus Nachbarschaft Freundschaft und aus Bier eine bestimmte Biermarke wird, ja dann ist die Welt noch in Ordnung. Doch was ist die Botschaft der Werbung, die sich hinter dem goldenen prickelnden Gebräu versteckt? Betrachtet man den Werbespot, dann ist klar, Alkohol verbindet, schafft Gemeinsamkeiten und hilft diverse Hürden zu überwinden. So ein Bierchen zum richtigen Zeitpunkt vermag das zu schaffen, was gesellschaftliche Regeln sonst strikt voneinander trennen. Nach Feierabend trinkt auch der Resortleiter gerne mal ein erfrischendes Bierchen und da kann man auch gut mal mit dem Herrn Finke, dem Sachbearbeiter, über dies und das sprechen. Einfach mal Mensch sein und Nähe zeigen, ohne die Reglementierungen unserer gelebten Hierarchie zu verletzen, Herrenwitze und Bierchen verbinden. Da wird das Sportlerheim des Konzerns zum kommunikativen Treffpunkt aller Arbeiterklassen und hilft dabei einander besser zu verstehen.

Drei Tage später auf dem Firmenempfang gilt es derweil wieder anderes Format oder ein anderes Gesicht, zu zeigen. Es gibt Sekt und Schnittchen für das Management und für die geladenen Gäste. Dabei wird auf ganz hohem Niveau gefachsimpelt, Wirtschaftsthemen werden geschickt mit kulturellen Belangen in Verbindung gebracht und Anekdoten veredeln die eloquent geführten Balzrituale machtgieriger Anzug- und Kostümträger/innen, wobei sich das Balzen auf das Zurschaustellen des eigenen Marktwertes bezieht. Das ist Theater auf ganz großer Bühne. Aus dem Herrn Finke, den der Resortleiter vor einigen Tagen noch geduzt und mit Anton angesprochen hat, wird an diesem Abend wieder der namenlose Komparse, der mit seinesgleichen schnödes Bierchen trinkt. Nur die Sabine aus der gleichen Abteilung hat sich geschickt in die “obere Etage“ gemischt, nuckelt am Sektchen und gibt sich betont offen. Die weiß nämlich ganz genau, was ihr die Blicke auf ihrem kostümierten Hinterteil einbringen könnten. Der vorhin noch streng zugeknüpften Bluse darf zum jetzigen Anlass, dann auch ein wenig mehr Spielraum gegönnt werden, was den Herrn Personalleiter besonders gut gefällt. Das sich die Frau des Herrn Personalleiters zu dieser späten Stunde zu Hause mit dem Roland aus der selbigen Reihenhaussiedlung auf dem Sofa vergnügt, ist eigentlich nicht erwähnenswert, denn auch hier gibt es Sekt. Außerdem treibt es der Personalleiter wenig später mit der Sabine der noch Sachbearbeiterin in seinem Personalbüro und der Resortleiter schaut auf die Uhr, denn auch auf ihn wartet noch ein Schäferstündchen mit seiner Geliebten, der Frau vom Roland aus der Reihenhaussiedlung. Was übrigens Herr Finke macht, ist übrigens nicht von belang – Bier Trinken wahrscheinlich.

Dass Alkohol verbindet, ist also keineswegs gelogen, es kommt nur darauf an, das passende Getränk zum richtigen Anlass zu wählen. Zu Empfängen und kulturellen Anlässen gibt es Sekt und Champagner, zum Sport natürlich Bier und zum Essen mit Freunden und Kollegen passt der Wein inklusive der Weinfachkunde. Dann gibt es natürlich auch noch die geschlechtsspezifischen Vorlieben. Männer unter sich, klar Bier. Freundschaftliche Grillabende: Wein und Bier, Mädelsabend: HUGO, Aperol Spritz geht auch gut, je nachdem was eben gerade Saison hat und In ist. Für Jugendliche, die sich erst an den ekligen Alkoholgeschmack gewöhnen müssen, ist ein Bier-Fruchtmix-Getränk der Burner, Komasaufen lässt sich gut mit Wodka-Mix-Getränken eskalieren. Ja und während Papi für sich den wöchentlichen Kasten Bier im Getränkemarkt holt, gibt es für die Jüngsten, die Fassbrause vom selben Bierhersteller, natürlich noch ohne Alkohol. Markenbewusstsein und Prägung müssen aber so früh wie möglich stattfinden, damit der Alkoholiker von morgen wenigstens jetzt schon ahnt, welcher Stoff ihn später mal an seine Kindheit erinnert.

Szenenwechsel:

Es ist Samstag 8:30 Uhr. Der wöchentliche Einkauf steht an. Auch hier im Supermarkt wird das informations- und angebotswillige Käufergehirn mit Marken und Erlebnissen bombardiert. Da säuselt die liebreizende Frauenstimme aus der Marktwerbung: Slogans wie “… möchte das Sie gesund leben …“ klar, wer möchte dass denn nicht und schon ist man bereits auf der Suche nach diesen tollen Lebensmitteln. Wenig später ist der Einkauf erledigt, man fühlt sich gesellschaftlich akzeptiert, da man brav die umworbenen Produkte ausgewählt und gekauft hat. So ein schöner Schub an Markenbewusstsein am Morgen ist schon was Tolles. Doch was passiert da auf dem Parkplatz vor dem Markt? Dort wo die Einkaufswagen wieder in die Reihe geschoben und angekettet werden, steht ein Mann und holt sich ein Bier aus seiner Einkaufstüte. Er öffnet es und setzt an. Immer wieder schluckt er, stößt auf, beginnt von Neuen sich zu erlaben und sorgt für den dringend nötigen Schub Alkohol, den sein Körper, sein Kopf, die zur Krankheit mutierte Angewohnheit so dringend braucht. Nach vielleicht 20 Sekunden schmeißt er die Flasche in den Mülleimer (das Pfand hatte er wohl noch nicht nötig) und verlässt die Szene. Was bleibt ist für mich sofort die Biermarke, die leicht zu erkennen war. “Wenn aus dem Genusstrinker der Alkoholiker wird“, hätte ein passender Slogan jetzt heißen müssen oder zumindest ein klein gedruckter Zusatz auf dem Bier-Etikett, am besten direkt neben dem prozentualen Alkoholwert des Bieres: “Bitte wiederholen sie die Szenen aus der Bierwerbung nicht zu Hause. Es handelt sich dabei lediglich um die Bemühungen eine gesellschaftliche Akzeptanz von Alkohol aufrechtzuerhalten. Wir als Hersteller sind nur darauf aus, ihr Geld in unseren Kassen zu wissen, deshalb wollen wir sie abhängig machen. Zu gesundheitlichen Nebenwirkungen und gesellschaftlichen Folgen fragen sie bitte nicht uns oder sonst wen, trinken sie einfach weiter“.

Also, ich muss schon sagen, dieser Vorfall hat mir mein teuer Bezahltes, gesellschaftliches “Dabei sein ist alles – Gefühl“, total versaut, vielen Dank auch du Alkoholiker, du Nichtsnutz, Abschaum der Gesellschaft! Wenn ich schon in den Spiegel schauen muss, dann bitte nur geschminkt, damit ich mich selbst nicht in dir erkennen muss. Was sollen wir denn bitte mit Leuten wie dir in unserer heilen Gemeinschaft anfangen? Was interessieren mich deine Probleme? Wie du hast eine Geschichte? Die möchte ich gar nicht hören. Ich schaue und höre Werbung, das sind die Geschichten, die ich erleben möchte. Das Leben ist doch schon bescheiden genug, da möchte ich dann in meiner Freizeit Schönes erleben. Toll, das Bier heute zum Fußball, kann ich mir jetzt mit deiner versoffenen Visage in den Gedanken schmecken lassen, verrecke doch! Du gehörst nicht zur Gesellschaft! Ich will Brot und Spiele!

Szenenwechsel:

Ach das Abendessen mit den Freunden war wieder schön. Erst haben wir gemeinsam gekocht und es uns dann gemütlich schmecken lassen. Tom und Jenny hatten was zum Trinken mitgebracht und hah, na klar, unser Weinkeller wurde auch wieder um ein paar Hunderter ärmer, hüstl. Aber es war herrlich und eine so entspannte Atmosphäre. Ich konnte mich sogar gut mit Jenny unterhalten. Manchmal ist es gar nicht so einfach auf ein gemeinsames Gesprächsthema zu kommen, da muss ich schon zugeben, der Wein hat mir die Zunge gelöst und meine Frau meinte dann noch, sogar der Tom läuft ohne Stock im Arsch viel sympathischer rum, haha! Also ganz klar, wenn Alkohol, dann in Maßen, nur in Gesellschaft – dass ist dann reiner Genuss, ja ich genieße es dann richtig. Leider endete der Abend dann doch nicht ganz so genüsslich. Als wir unsere guten Freunde verabschiedeten und noch zum Auto begleiteten, stand ein paar Häuser weiter ein Krankenwagen. Wir erfuhren später von Nachbarn, dass der Mann ins Krankenhaus gebracht wurde. Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Mensch ein Alkoholproblem hat und seit einiger Zeit, hatte er gesundheitlich total abgebaut. Das musste ja so enden. Wie kann man sich nur so gehen lassen und sich nicht unter Kontrolle haben aber die Leute sind dennoch ordentliche Menschen, vor der Haustür immer sauber, da bleibt kein Dreck lange liegen. Naja, lange lag er dann zum Glück nicht im Krankenhaus. Ich meine ja, dass der sicher eine Entgiftung hinter sich hat und jetzt zusehen muss, wie es weiter geht. Ich meine, ob er das nun schafft, vielleicht kann er ja später weniger trinken, jetzt wo er doch gemerkt hat, was passieren kann. Was aber gut ist, finde ich, nach außen wurde gleich kommuniziert, dass er einen Herzanfall hatte und sogar noch zu Hause reanimiert werden musste. Man muss das ja nicht so nach außen dringen lassen, wenn jemand ein Alkoholproblem hat. Dass er mit solchen Herzproblemen so schnell wieder aus dem Krankenhaus draußen war, merkt sicher auch keiner. Ach, in so einem kleinen Ort muss man schon aufpassen, wie über einen geredet wird. Vielleicht geh ich mal im Sommer zu dem Mann die paar Straßen weiter und lade ihn zu einem Bier ein. Von wegen, wenn aus Nachbarschaft Freundschaft wird, vielleicht erzählt er mir dann, was los war.

Bitter im Abgang

Diesen Text so ausklingen zu lassen, ohne den Zynismus-Schalter, wenn auch nur angedeutet, nicht wieder umzulegen, ist mir dann doch zu bedenklich. Nicht, dass hier ein falsches Bild entsteht und ich über einen Teil unserer intakten Gesellschaft “Falsch Zeugnis ablege“. Ach was soll es, ich schaffe es ja doch nicht.

Bildquelle: Jost Amman [Public domain], via Wikimedia Commons

 

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