Montag , 9 Dezember 2024
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Die Zukunft des Vertrauens

vertrauen handWas bedeutet eigentlich Vertrauen? Vordergründig wissen wir alle, was es bedeutet, jemandem zu vertrauen oder nicht zu vertrauen. Aber tiefgründig reicht unser Wissen über ein paar allgemeine Umschreibungen selten hinaus. Dabei wird niemand bezweifeln, dass Vertrauen eine wichtige Sache ist. Allen voran das Vertrauen in die Zukunft angesichts einer Zeit der Ungewissheit, der Umwälzung. Wem oder was kann man in diesen Zeiten noch vertrauen? Den Politikern? Den Medien? Den Wissenschaftlern? Den Seiten im Internet? Den sozialen Netzwerken? Und doch kommen wir ohne Vertrauen nicht aus. Diese Zeilen hätten ohne Vertrauen nicht geschrieben werden können.

Ist es nicht so, dass in Zeiten, wo nichts mehr sicher zu sein scheint, der Bedarf an Vertrauen umso größer ist? Und brauchen wir nicht eine neue Qualität an Vertrauen, um Gruppen noch effizienter, innovativer und sozialförderlicher zu machen? Bedarf es nicht eines ungeheueren Vorschusses an Vertrauen um das angstgetriebene Paradigma des Konkurrenzkampfes, des Verdrängungswettwerbes zu ersetzen durch Kooperation, durch gerechte Verteilung und Zusammenarbeit zum Wohle aller?

Wo aber soll dieses Vertrauen herkommen? Kann Vertrauen aus dem Nichts geschaffen werden wie heutzutage Geld? Offenbar kann Vertrauen nur aus etwas Realem, Reellen kommen. Aus Quellen, die in den Menschen selbst liegen. Quellen, die möglicherweise immer schon da waren, ohne dass sie ernsthaft in Erwägung gezogen wurden? Oder Quellen, die neu hinzugekommen sind, weil die Entwicklung der Menschheit dafür reif geworden ist? Zu allen Zeiten haben Menschen aus Quellen geschöpft, die für andere zunächst verborgen oder unzugänglich waren. So sind die großen Ideale der Freiheit, der Gerechtigkeit, der Brüderlichkeit in die Menschheit eingeflossen. Auf dem Wege der Bewusstwerdung wurden sie zugleich umgedeutet, dem eigenen Denken und Wünschen angepasst. So wurde Freiheit als Recht der Unterdrückung, der Ausbeutung, der Umweltzerstörung, der Zulassung sozialer Ungleichgewichte verstanden. Gleichzeitig wurde Brüderlichkeit in den Bereich der Philanthropie, der Wohltätigkeit gedrängt, die im rauen Alltag von Wirtschaft und Politik nichts verloren hat. Ist es nicht das Kennzeichen unserer Zeit, die Fehler der Vergangenheit zu berichtigen, die Ideale mit neuem Leben zu füllen und stärker an die Quelle, aus der sie stammen, heranzuführen?

Haben nicht die, die etwas über die tiefere Seite des Menschen zu wissen glauben, eine Verantwortung, sich ihren Mitmenschen mitzuteilen? Dies tun sie in dem Vertrauen Gehör bei denen zu finden, die selbst dafür offen sind und die in der Lage sind die geäußerten Ideen weiter zu entwickeln und weiter zu geben. Tun sie dies aber nicht auch zugleich im Bewusstsein, dass jeder Mensch ein Zipfel der Wahrheit in Händen hält, wo er oder sie Anderen etwas mitzuteilen hat? Aus diesem Verständnis heraus sind die folgenden Darlegungen zum Vertrauen geschrieben. Wie immer gäbe es so viel mehr zu sagen, aber das Ziel ist, ein neues, in die Zukunft gerichtetes Licht auf das bekannte Phänomen des Vertrauens zu werfen.

Was also ist Vertrauen? Das Vertrauen verbindet die Innenwelt mit der Außenwelt. Vertrauen ist zunächst das Vertrauen in sich selbst im Sinne eines Zutrauens. Vertrauen enthält ein Wissen darüber, wie etwas ist oder sein kann. Dazu gehört das Vertrauen in die eigene Stärke, in die eigene Urteilskraft, in das eigene Handeln. Vertrauen bejaht und bestätigt etwas als gegeben. Im Vertrauen wird etwas als existent wahrgenommen. Vertrauen hat mit der Sicht der Dinge zu tun. Es umschließt das, auf was es sich bezieht. Es umschließt und stellt etwas als gegeben hin. Im Vertrauen liegt eine Sicherheit, ein Schutz vor der Angst. Wo Vertrauen ist, haben es Gedanken und Gefühle der Angst schwerer, Fuß zu fassen.

Vertrauen ist für eine Einzelperson wie für eine Gruppe ein Angstschutz. Zugleich liegt im Vertrauen eine aufbauende Kraft. Es stellt eine Basis dar, einen tragenden Grund für das Handeln. Auf diesem Boden kann etwas wachsen. Vertrauen ist eine emotionale Grundlage und bereitet zugleich den Boden vor. Im Vertrauen wird das, was wachsen und sich entwickeln soll, vorbereitet. Vertrauen ist ein Nährstoffverbesserer. Es sorgt für eine gute Zirkulation, eine gute Energieverwertung. Man kann daher sagen: In der Stärke des Vertrauens wächst die Chance zu effizientem Handeln, sowohl einzeln als auch gemeinsam mit anderen.

Die Beschreibungen berühren sich mit dem, was Nitschke als die „Erwartung des Gelingens“ bezeichnet hat. Im Vertrauen ist man auf das Gelingen ausgerichtet. In dieser Erwartung wird man zum Erfolgssucher, d.h., man richtet den Blick auf das, was den Erfolg bringt. In dieser Erwartung können Hindernisse und Fixierungen wie Zaudern, Zwang, Zweifel keine Eigenmächtigkeit erhalten, sie werden als Stufen zum Gelingen angenommen. Beim Handeln im Vertrauen ist es so, als ob man eine Bugwelle vor sich herschiebt, die Widerstände aus dem Weg räumt. Die Bugwelle nimmt schon viel ab, daher kann die Haltung der Leichtigkeit beibehalten werden.

Vertrauen macht die Dinge leichter, Misstrauen macht sie schwerer. Vertrauen vereinfacht.
Es reduziert Komplexität. Überdies ist Vertrauen ein Stärkungsmittel für das kreative Potential. Das Vertrauen in das kreative Potential trägt selbst dazu bei, den Zugang dazu offen zu halten. Vertrauen ist ein Türöffner, es weitet oder verbreitet die Wege zum Ziel. Vertrauen macht die Dinge, die in den Fokus genommen werden, heller. Vertrauen ist so gesehen auch ein Aufheller, ein Leuchtmittel. Im Vertrauen sieht man mehr das, was einem nützt und nützen kann. Misstrauen verdunkelt, Vertrauen „erleuchtet“. Vertrauen hilft Gemeinsamkeiten zu entdecken und Kompromisse zu finden. Vertrauen hat die Eigenschaft zu verbinden und Verbindungen zu schaffen. Gute, nachhaltige, förderliche Geschäftsbeziehungen wären auf lange Sicht ohne Vertrauen undenkbar. Das Vertrauen sichert den Fortbestand guter Beziehungen und den verlässlichen Zusammenhalt gerade in Teams.

Vertrauen ist dem Sehen verwandt. Genau genommen steht es zwischen dem Ahnen und dem Sehen. Das eine ist verschwommen, das andere klar. Vertrauen beschreibt den Weg vom Ahnen zum Sehen. Es ist die Fähigkeit, im Teil das größere Ganze vorwegzunehmen. Vertrauen ist eine Art Vorwissen, Wissen darüber, was konkret möglich ist. Da Vertrauen sich mit positiven realen Möglichkeiten beschäftigt, trägt es dazu bei, Möglichkeiten „heranzuzoomen“. Wobei praktiziertes Vertrauen die Möglichkeit, die in der Zukunft liegt, nicht nur neutral beurteilt, sondern in die Gegenwart „zieht“. Vertrauen ist wegen dieser Sogkraft ein Förderer für Realisierungen. Oder in einer für den Leser, die Leserin vielleicht weniger vertrauten Form ausgedrückt: Vertrauen ist Liebe, die nach Erfüllung strebt. Vertrauen ist dem Wesen nach eine pulsierende, dynamische Kraft des Werdens.

Vertrauen ist eine reale Kraft, die aber gewöhnlich unterhalb der Wahrnehmungsschwelle liegt. Bei der Frage: Kann ich x in der Sache y vertrauen, wenden wir Erfahrungswerte an und beurteilen kognitiv oder emotional konkrete Reaktionen von x. Für die Wahrnehmung wichtiger sind aber nicht die Reaktionen, sondern die Intentionen dahinter. Wenn Menschen vorgeben, einander zu vertrauen oder eine Vertrauensbeziehung einzugehen, erzeugen sie ein Kraftfeld. Auch wenn dieses, wie bereits erwähnt, unterhalb der Wahrnehmungsschwelle liegt, so mag es eines Tages vielleicht doch möglich sein, solche Kraftfelder sichtbar zu machen und zu messen.

Kraftfelder gehen Wachstum voraus. Wo immer etwas wächst, muss zuvor ein Kraftfeld bestehen. Kraftfelder sind vergleichbar einem Magnet und daher unsichtbar. So wie Eisenspäne das Kraftfeld eines Magneten anzeigen, so gibt die Qualität der Kommunikation Aufschluss über das vom Vertrauen erzeugte Kraftfeld. Wichtige Qualitätskriterien sind Ehrlichkeit, Verbindlichkeit und Zielbezogenheit.

Vertrauen erzeugt ein Kraftfeld für Wachstum. Das Kraftfeld kann man sich wie einen faradayschen Käfig vorstellen, der Blitze an die äußere Hülle ableitet. Es schützt vor negativen Wirkungen nach innen und sichert so das Wachstum nach außen. Daher ist hilfreich zu wissen, welches Kraftfeld man einzeln und zusammen erzeugt und wo die Schwachpunkte und Anfälligkeiten liegen. In der Sprache der Alchemie ausgedrückt, ist Vertrauen ein Wachstumselixier. In der Sprache der Wirtschaft ist es eine immaterielle Ressource, ein geistiges Kapital. Darüber hinaus und in die Zukunft gerichtet ist Vertrauen die Wissenschaft von dem Wachstum in Beziehungen. In dieser Hinsicht ist Vertrauen noch Neuland, doch wo anders als in der Gegenwart beginnt die Zukunft?

Wie alle Werte-bildenden Zugänge in Menschen, wurde und wird das Vertrauen von der Kommerzialisierung vereinnahmt. Vertrauen auszunützen, um bestimmte Interessen zu erzielen, scheint eine Form der Cleverness, die sich auf allen Ebenen, in allen Bereichen und in allen Richtungen finden lässt. Das Clevere besteht darin, von anderen mehr Vertrauen zu erhalten als man selbst zu geben bereit ist. Natürlich kann das auf Dauer nicht funktionieren und in diesem Sinn ist Vertrauen eine inflationäre Währung, die Beziehungen permanent missbraucht und entwertet. Da auf diese Weise reales Wachstum immer schwieriger zu realisieren ist, muss man auf das künstliche Wachstum der Geldvermehrung und Verschuldung ausweichen. Das Ende ist absehbar: Das Vertrauen in das Geld wird wie eine Seifenblase zerplatzen.

Durch die permanente Erosion des Vertrauens ist eine Kultur der Angst entstanden. Angst ist das schleichende Hintergrundgefühl in allen Bereichen. Angst aber ist ein schlechter Ratgeber, weil in ihr das ganze Augenmerk auf die Abwendung des scheinbar noch Schlimmeren geht. Dadurch wird die Lösungssuche eindimensional, die Kreativität schmalspurig, alles folgt der Logik des „Mehr von Demselben“. In solchen Zeiten haben die Kritiker, die Skeptiker, die Druckmacher Hochkonjunktur. Die Wirkung ist fatal: Um eine halbwegs brauchbare Idee zu entwickeln, müssen quasi zehn geniale geopfert werden.

Vertrauen zeigt sich daran, dass es sich bewährt, rechtfertigt und erwidert wird. Erst die Bewährungsprobe zeigt letztlich, was das aufgebaute Vertrauen wert ist. Und ob es hilft, kritische Situationen zu meistern. Vertrauen bewährt sich im Zusammenhalt, im Zusammenstehen und Durchstehen kritischer Situationen. Vertrauen ist eine Bindekraft, zugleich eine Antriebskraft für gegenseitige Unterstützung und daher eine weithin unterschätzte Ressource.

Vertrauen ist gut, heißt es, doch Kontrolle sei besser. Verdeutlicht dieser Ausspruch nicht, dass sich unsere soziale Einstellung nicht mehr im Gleichgewicht befindet? Wäre ein Zusammenleben, das auf gegenseitigem Vertrauen basiert, nicht der Notwendigkeit ständiger Kontrollen vorzuziehen?

Es mag sein, dass sich viele von uns damit abgefunden haben, dass bei einer immer größer werden Zahl von Mitmenschen negative Eigenschaften, wie Unehrlichkeit, Egoismus, Habgier oder Neid, über das Handeln bestimmen. Vielleicht mag die Einstellung zum Nachbarn, wie sie in entlegenen Dörfern auch heute oft noch gegeben ist, als anschauliches Beispiel dienen. Dörfer, in denen die Haustüren unversperrt bleiben und in denen ein gegebenes Wort noch Gewicht hat. Dürfen wir hoffen, dass die Menschheit den Weg zu dieser Offenheit, zu Ehrlichkeit, Mitgefühl und allen anderen Voraussetzungen, um Vertrauen in sich selbst und in Andere aufzubauen, zurückfindet? Heute mag es noch wie eine Utopie erscheinen, sich ein Leben in der Großstadt, in der Gesellschaft als Ganzes, vorzustellen, das von Harmonie und gegenseitigem Vertrauen bestimmt wird. Doch beginnt nicht jede positive Entwicklung mit einer Idee, mit einem Traum? Es wäre bloß nötig, dass wir selbst und die Menschen um uns sich diesem Traum anschließen. Ich vertraue darauf, dass dies eines Tages auch der Fall sein wird.

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